Windhunde oder Lostrommel, im Saal nur Stift und Papier, Ton statt Bildübertragung. Warum fällt es Gerichten oft so schwer, mit dem Andrang von Medienvertretern umzugehen?
Auch am Mittwochmorgen hat sich vor dem Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt am Main wieder eine lange Schlange gebildet. Im Prozess um den Mord an dem Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke wird erwartet, dass der Angeklagte Stephan E. sich erstmals vor Gericht äußern wird.
Die Bilder erinnern an den Prozessauftakt Mitte Juni. Einige Medien hatten auch damals bezahlte Ansteller bereits in der Nacht Schlange stehen lassen, um Journalisten Plätze freizuhalten. Selbst wer früh am Morgen mehrere Stunden vor Prozessbeginn erschien, musste bald erkennen, dass er keine Chance auf einen Platz im Saal haben wird.
An diesem Morgen im Juni schritt der Gerichtspräsident die lange Reihe der wartenden Journalisten ab und hatte um Verständnis geworben. "Dort habe ich mich von Journalisten auch beschimpfen lassen und das akzeptiere ich auch", erinnert sich Roman Poseck, Gerichtspräsident und damit auch Verwaltungschef am OLG.
Warum wird es so eng?
Aber warum fällt es Gerichten oft so schwer, mit dem Andrang von Medienvertretern umzugehen? Grundsätzlich gilt dabei für Journalisten das Gleiche wie für andere Zuschauer auch: Gerichtsverhandlungen sind nach § 169 Gerichtsverfassungsgesetz (GVG) öffentlich, es sei denn die Öffentlichkeit wird aus bestimmten Gründen ausgeschlossen – etwa weil es um besonders intime Angelegenheiten von Zeugen oder Angeklagten geht, weil die Staatssicherheit gefährdet ist oder weil schutzwürdige Geschäftsgeheimnisse besprochen werden. Solche Fälle sind aber die Ausnahme und im Gesetz klar geregelt.
Nicht geregelt ist dagegen: Was ist zu tun, wenn es einfach nicht genügend Plätze für alle gibt? Bei größeren Verfahren ist es zumindest üblich, dass einige Plätze für Medienvertreter reserviert werden. Oft wird auch ein Akkreditierungsverfahren durchgeführt: Journalisten, die sich für die Berichterstattung interessieren, können sich vorher anmelden, sodass das Gericht ungefähr den Andrang abschätzen kann.
Oft ist es ohnehin vorher absehbar, dass ein Verfahren auf großes Medieninteresse stoßen wird – und die erste entscheidende Frage ist dann, welcher Gerichtssaal gewählt wird. Das ist Sache der Gerichtsverwaltung. Das OLG Frankfurt hat etwa für den Lübcke-Prozess den Saal 165 gewählt, es ist der größte Saal des Hauses und hat auf zwei Ebenen normalerweise 60 Sitzplätze für die Öffentlichkeit und nochmal 60 Plätze für Medienvertreter. Aufgrund der Coronaschutzmaßnahmen dürfen zur Zeit statt der 120 aber nur insgesamt 37 Sitzplätze belegt werden, 19 für Journalisten, 18 für die Öffentlichkeit.
"Die relativ strengen Corona-Regeln in Hessen zwingen uns zu dieser Platzverknappung", erklärt Poseck. Das OLG Naumburg hat im Prozess gegen den mutmaßlichen Attentäter auf die Synagoge in Halle extra ins Landgericht (LG) Magdeburg verlegt, das über einen größeren Saal verfügt. Dort stehen 46 Plätze für die Öffentlichkeit, 44 für Presse und in einem getrennten Medienübertragungsraum 44 Plätze zur Verfügung.
Prozesse in Messehallen
Grundsätzlich kann das Gericht auch auf einen Saal außerhalb des Gerichtsgebäudes ausweichen. So fand der Prozess gegen den Krankenpfleger Nils Högel, der vor dem LG Oldenburg wegen Mordes in 85 Fällen verurteilt wurde, im Veranstaltungszentrum Weser-Ems-Hallen statt. Und für den Loveparade-Prozess reservierte das LG Duisburg eine Messehalle in Düsseldorf.
Vor dem Lübcke-Mordprozess habe man sich in Frankfurt mit dem Vorsitzenden Richter, der Gerichtsverwaltung, der Pressestelle und auch dem Landeskriminalamt zusammengesetzt und das Vorgehen besprochen, sagt Poseck. Gegen die Anmietung eines externen Raumes hätten letztlich Sicherheitserwägungen gesprochen. Und Poseck deutet an, dass die Suche nach einem geeigneten Raum in Frankfurt auch kein leichtes Unterfangen gewesen wäre. "Ein privates Unternehmen wie die Frankfurter Messe unterwirft sich nicht einfach mal so den Interessen der Justiz." Und die Justiz mit einem Mordprozess im Gepäck ist schon ein spezieller Kunde: Wie lange der Prozess dauern wird, ist nicht absehbar, Termine müssen flexibel angesetzt und verschoben werden, auch Umbaumaßnahmen für die Sicherheit hätten angestanden.
Das Gericht ist nicht verpflichtet, bei großem Andrang in externe Räume auszuweichen. Reichen die Sitzplätze im Saal nicht für alle, ist es Sache des Vorsitzenden Richters, zu entscheiden, wie er den Zugang regelt.
Windhundprinzip, Losverfahren, Kontingente
"Im Prinzip gibt es drei Möglichkeiten: Das Windhundprinzip, das Losverfahren und die Bildung von Kontingenten – und diese drei Möglichkeiten können auch miteinander kombiniert werden", erklärt Dr. Anna K. Bernzen. Sie hat sich in ihrer kürzlich erschienenen Dissertation mit der Gerichtssaalberichterstattung in England und Deutschland befasst.
Beim Windhundprinzip zählt Schnelligkeit. Beim NSU-Verfahren hatte das OLG München per Mail aufgefordert, sich ab einem bestimmten Zeitpunkt zu akkreditieren. Einen Platz bekam, wer rechtzeitig auf die Mail antwortete. Innerhalb von wenigen Stunden waren die 50 Plätze an Medien vergeben.
Nachdem dabei kein einziges türkisches Medium zugelassen wurde, obwohl die meisten Opfer der Mordserie türkische Wurzeln hatten, wurde das Bundesverfassungsgericht eingeschaltet. Die Karlsruher Richter segneten neben dem Windhundprinzip auch das Losprinzip grundsätzlich ab. Sie gaben dem Vorsitzenden Richter aber auf, das Interesse ausländischer Medien an der Berichterstattung über eine rechtsextremistische Mordserie an Menschen mit türkisch, griechischen oder iranischen Wurzeln angemessen zu berücksichtigen. Dazu schlugen die Richter etwa ein Zusatzkontingent für ausländische Medien vor, sodass aus dieser Gruppe zumindest einige Medien überhaupt Zugang erhalten.
Der Vorsitzende Richter am Münchner OLG bildete daraufhin Haupt- und Untergruppen – und in diesen Gruppen wurde dann gelost. Also eine Kombination aus Kontingent- und Losverfahren. Glück hatten etwa lokale Radiosender, Anzeigenblätter und Frauenzeitschriften; Pech hatten überregionale Medien, wie die FAZ neulich noch einmal schrieb. Am OLG Frankfurt ist die Akkreditierung dagegen nur eine Interessenbekundung. In den Saal kommt nur, wer früh genug in der Schlange vor dem Gerichtseingang steht. "Das Schlange-Stehen mag unangenehm sein, aber es ist verfassungsrechtlich abgesichert", sagt Poseck. "Wir können nicht den Strafprozess allein den Medieninteressen unterordnen. Die Hauptaufgabe des Gerichts ist es, in einem geordneten Verfahren die Wahrheit herauszufinden und Recht zu sprechen."
"Es macht eben jeder Vorsitzender Richter, wie er denkt – und dem ist auch kaum beizukommen", sagt Bernzen. "Wichtig wären klare Rechtsbehelfsmöglichkeiten für Medienvertreter, etwa wenn es um die Akkreditierung geht. Bisher bleibt meistens nur der Eilrechtsschutz vor dem Bundesverfassungsgericht – und das führt dann auch dazu, dass es wenig klärende Rechtsprechung gibt."
Übertragung in einen separaten Medienarbeitsraum als Ersatz?
Berichterstattung aus dem Gerichtssaal war in Deutschland nicht immer untersagt, in den 1950er Jahren lief etwa im Sender Freies Berlin wöchentlich "Menschen und Paragraphen – Originalaufnahmen aus Berliner Gerichtssälen".
Der BGH schränkte das zunächst für Strafverfahren ein, 1964 wurden Ton- und Filmaufnahmen während der mündlichen Verhandlung generell verboten. Ausnahmen gelten am Bundesverfassungsgericht und seit 2017 darf auch die Urteilsverkündung an den obersten Bundesgerichten übertragen werden. Für Textberichterstattung und Fotos gilt dagegen: Was erlaubt ist und was nicht, entscheidet der Vorsitzende Richter auf Grund seiner Sitzungsgewalt (§ 176 GVG), außerhalb des Gerichtssaals gilt das Hausrecht der Gerichtsverwaltung.
So hat der Vorsitzende Richter Sagebiel im Lübcke-Prozess Maskenpflicht und Laptop-Verbot für seinen Saal angeordnet. Was davor auf den Fluren des Gerichts gilt, darüber entscheidet die Gerichtsverwaltung. Im Medienübertragungsraum gilt keine Maskenpflicht, und auch kein Laptopverbot. Aus diesen verschiedenen Ansätzen könne eine "Spannungslage" entstehen, sagt Poseck, man habe sich aber immer eng abgestimmt, ohne, wie Poseck betont, den Richter in seiner Unabhängigkeit in irgendeiner Weise zu beeinträchtigen.
Und so schreiben die Journalisten im Saal 165 auf Papier mit, später müssen sie dann in einem gesonderten Arbeitsraum alles abtippen und an ihre Redaktionen schicken. Sobald sie dort sitzen, bekommen sie aber nicht mehr mit, was im Saal gesprochen wird.
Zusätzlich wurde ein Medienarbeitsraum eingerichtet, in dem Journalisten Platz nehmen können, die keinen Zutritt zum Saal erhalten haben. In diesen Raum wird die Verhandlung übertragen – allerdings nur der Ton, nicht das Bild. In Frankfurt hatte man vor dem Prozess extra ein neues Übertragungssystem angeschafft, die Soundqualität war gut, ein Techniker war anwesend und eine Pressesprecherin. Und nach zwanzig Minuten war auch klar, wem welche Stimme im Prozess gehört.
In Frankfurt am Main betont die Gerichtsverwaltung, dass ihr Medienübertragungsraum mit 44 Plätzen seit Beginn des Prozesses noch nie voll besetzt war. Der Saal "Bad Homburg"/"Usingen" liegt in einem anderen Gebäudeteil des Frankfurter Gerichtskomplexes, im Landgerichtsflügel, Laufweg fünf Minuten. Wenn die Verteidiger in einer Verhandlungspause ein Statement für die Medien abgeben, dann erfährt das nur, wer schnell genug aus dem Gebäude und durch die Sicherheitskontrolle wieder vor das Gericht eilt.
"Die Justiz für die Bedürfnisse der Medien sensibilisieren"
Aber kann die Tonübertragung den unmittelbaren Eindruck aus dem Saal ersetzen? Bernzen schlägt vor, auch eine Videoübertragung in den Medienarbeitsraum einzuführen – zumindest versuchsweise: "Man könnte ja beim Bundesverfassungsgericht damit anfangen und dann überlegen, ob das auch für andere große Verfahren eine Möglichkeit ist."
Poseck zeigt sich nach den Erfahrungen in Frankfurt zurückhaltend. "Ich mahne eher zur Vorsicht, bevor man so einen weitreichenden Schritt wie die Videoübertragung zulässt." Er befürchtet, dass eine Videoübertragung die Verfahrenskultur, auch für die Beteiligten, verändern und dass Gerichtsverfahren zu Schauprozessen werden könnten. Die Lage während der Coronakrise hält er für einen zweifelhaften Anlass, um eine neue Regelung zu schaffen.
Rahmenrichtlinien zum Umgang mit großer (Medien)öffentlichkeit bei Prozessen gibt es in Hessen nicht, erklärt Poseck. "Wegen der Unabhängigkeit der Richter sehe ich dafür auch nicht viel Spielraum."
Bernzen sagt: "Ich glaube, es wichtig, die Justiz für die Bedürfnisse der Medien zu sensibilisieren und Einblicke in die Medienwelt zu geben –– etwa indem Richter mal in die Redaktion eingeladen werden". Das könne helfen, um die Medienberichterstattung weniger als Bedrohung wahrzunehmen und mehr als Chance, über die Medien auch ein Verständnis für Gerichtsentscheidungen zu erreichen, so Bernzen. "Und dann klären sich auch ganz banale Fragen, etwa, dass die meisten Journalisten einen Laptop brauchen – und auch eine Steckdose dafür."
Wie die Justiz mit Medien umgeht: . In: Legal Tribune Online, 05.08.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/42406 (abgerufen am: 05.12.2024 )
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