Weil das Potsdamer Landgericht zu langsam gearbeitet hat, wird ein wegen Mordes verurteilter Mann aus der Haft entlassen. Die OLG-Richter sehen die Verantwortung beim Land, das die Justiz nicht hinreichend ausgestattet habe.
Überlange Verfahrensdauer ist der Grund dafür, dass das Brandenburgische Oberlandesgericht (OLG) in der vergangenen Woche einen wegen Mordes verurteilten Mann aus der Haft entlassen hat. Der Mann aus Stahnsdorf (Potsdam-Mittelmark) war im Februar dieses Jahres vom Landgericht (LG) Potsdam wegen Mordes an seiner Ehefrau zu zehn Jahren Haft verurteilt worden. Vergangenen Donnerstag kam er nach einem Jahr und neun Monaten in Untersuchungshaft auf freien Fuß, das OLG hob den Haftbefehl und die Haftfortdauerentscheidung des LG auf (Beschl. v. 06.12.2018, Az. 1 Ws 184/18).
Nach dem landgerichtlichen Urteil, das am 5. Februar verkündet worden war, wurde das Hauptverhandlungsprotokoll erst am 27. Juli fertiggestellt, Urteil und Protokoll wurden den Verteidigern danach erst am 8. August zugestellt. Das OLG hält das für mit dem verfassungsrechtlich zu beachtenden Beschleunigungsgebot unvereinbar, der Fortgang des Revisionsverfahrens sei dadurch erheblich verzögert worden. Die Fortdauer der Untersuchungshaft sei unverhältnismäßig, obwohl der Mann weiterhin dringend verdächtig sei, die Tat begangen zu haben.
Nach Überzeugung des Potsdamer LG ist der Mann am 1. Weihnachtsfeiertag 2015 absichtlich mit seiner Frau im Auto auf einer Landstraße gegen einen Baum gefahren. Während der damals 63-Jährige schwer verletzt überlebte, starb die 57-Jährige an den Folgen ihrer Verletzungen. Das Gericht ging davon aus, dass der Mann wegen schwerer Depressionen einen erweiterten Suizid geplant hatte. Gegen das Urteil legte er Revision ein, es ist nicht rechtskräftig. "Den bekannten Zustand dauerhafter Überlastung am Landgericht hat nicht der Angeklagte, sondern allein die Justizverwaltung zu vertreten", sagte der Verteidiger des 64-Jährigen, Sven Oliver Milke, der Deutschen Presse-Agentur.
Fall soll im Rechtsausschuss diskutiert werden
Das sieht auch das OLG so. Die verspätete Fertigstellung des Protokolls sei sachlich nicht gerechtfertigt und vermeidbar gewesen, insbesondere weil dieses keinen außergewöhnlichen Umfang habe, so die Richter in dem Beschluss, der LTO vorliegt. Eine nicht nur kurzfristige Überlastung des Gerichts könne kein Grund für die Anordnung der Haftfortdauer sein. Eine derartige Situation falle in den Verantwortungsbereich des Staates. "Dem Beschuldigten darf nicht zugemutet werden, eine längere als die verfahrensangemessene Aufrechterhaltung des Haftbefehls nur deshalb in Kauf zu nehmen, weil der Staat es versäumt, seiner Pflicht zur verfassungsgemäßen Ausstattung der Gerichte zu genügen", so das OLG.
Unter Rückgriff auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts erklärt das OLG den Vollzug von Untersuchungshaft von mehr als einem Jahr bis zum Beginn der Hauptverhandlung oder dem Erlass eines Urteils (vorliegend fast elf Monate bis zum Erlass des Urteils) für nur in ganz besonderen Ausnahmefällen gerechtfertigt. Dafür reiche zumindest bei erheblichen, vermeidbaren und dem Staat zuzurechnenden Verfahrensverzögerungen nicht schon aus, dass es sich um ein Tötugnsdelikt handelt und der Beschuldigte daher eine hohe Strafe zu erwarten hat.
Das Brandenburger Justizministerium wird von dem Linke-Minister Stefan Ludwig geführt. Linke-Fraktionschef Ralf Christoffers erklärte am Dienstag nach der Fraktionssitzung im Landtag, die rot-rote Landesregierung wolle im Doppelhaushalt 2019/2020 zusätzlich 7 Millionen Euro für 100 zusätzliche Stellen in der Justiz und 33 weitere Stellen im Justizvollzug bereitstellen. "Im Übrigen habe ich nur Unverständnis dafür, dass ein Verurteilter freigelassen werden muss, weil ein Protokoll nicht rechtzeitig unterzeichnet wurde", sagte Christoffers. Der Fall solle auch im Rechtsausschuss diskutiert werden.
Der Parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Fraktion, Björn Lüttmann, räumte ein, nicht nur in der Justiz, sondern auch bei der Polizei sei in den vergangenen 15 Jahren massiv Personal eingespart worden. Inzwischen sei jedoch nicht nur der Peronalabbau gestoppt worden, sondern es werde auch zusätzliche Stellen geben. "Ich bin froh, dass wir in diesem Haushalt umsteuern können", sagte Lüttmann. "Das hängt natürlich auch immer von der Haushaltslage ab."
dpa/acr/LTO-Redaktion
Wegen überlanger Verfahrensdauer: . In: Legal Tribune Online, 11.12.2018 , https://www.lto.de/persistent/a_id/32665 (abgerufen am: 02.12.2024 )
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