Während in Berlin weiter um die Regierungsbildung gestritten wird, nimmt das Programm der Großen Koalition in Niedersachsen Formen an. Was heißt das für die Justiz?
Die niedersächsische Justizministerin Barbara Havliza (CDU) will rund 250 neue Richter und Staatsanwälte einstellen. "Ich bin zuversichtlich, dass wir bereits im laufenden Jahr Personal aufstocken können", sagte Havliza am Mittwoch im Landtag. Dort stellte sie dem Rechtsausschuss ihre Agenda für die Legislaturperiode vor.
Der niedersächsische Richterbund (NRB) begrüßt die Pläne der großen Koalition und fordert eine schnelle Umsetzung: "250 neue Stellen sind notwendig, um den jahrelangen Missstand nun schrittweise abzubauen," so der NRB-Vorsitzende Frank Bornemann gegenüber LTO. "Wir erwarten jetzt aber auch ein politisches Signal, dass die Umsetzung des Koalitionsvertrages ernst gemeint ist. Die ersten 50 Stellen müssen noch in diesem Jahr im Nachtragshaushalt vorgesehen werden."
Wie die neuen Stellen aufgeteilt werden, ist noch nicht klar. Nach bisheriger Einschätzung des Justizministeriums müssen etwa zwei Drittel davon mit Richtern besetzt werden, ein Drittel mit Staatsanwälten. Bis Ende der fünfjährigen Legislaturperiode solle die Personalaufstockung abgeschlossen sein, sagte Havliza. Die Situation an den Strafgerichten und bei der Staatsanwaltschaft gilt als besonders kritisch.
Havliza ist selbst Richterin, zuletzt war sie Vorsitzende des 6. Strafsenats für Staatsschutzsachen am Oberlandesgericht Düsseldorf. Von 2001 bis 2006 war sie – damals als Richterin am Landgericht Osnabrück – auch Mitglied des Landesvorstands des Niedersächsischen Richterbunds.
Eingangskontrollen bei allen Gerichten
Nun will die große Koalition auch eine weitere langjährige Forderung des NRB umsetzen: flächendeckende Einlasskontrollen an allen Gerichten. Havliza betonte, auch in der Justiz sei zu spüren, dass immer mehr Menschen staatlichen Institutionen und deren Repräsentanten nicht mit dem notwendigen Respekt begegneten: "Die rechtsuchenden Bürgerinnen und Bürger und unsere Justizangehörigen haben einen Anspruch auf einen sicheren Aufenthalt in den Justizgebäuden," so die Ministerin. Deshalb sollten künftig "in der Regel an allen Gerichten und - soweit erforderlich - Staatsanwaltschaften tägliche Einlasskontrollen" durchgeführt werden.
"Wir haben seit vielen Jahren gefordert, dass die Sicherheit an den Gerichten erhöht wird", sagt Bornemann. "Dazu gehören durchgängige Einlasskontrollen, nicht nur Stichproben." Nun müsse die Landesregierung schnell die notwendigen Gelder zur Verfügung stellen.
Außerdem sollen künftig elektronische Fußfesseln im Strafvollzug eingesetzt werden, wenn Gefangene vorübergehend die Haftanstalt verlassen. CDU und SPD wollen eine entsprechende gesetzliche Grundlage schaffen, wonach Gefangene und Sicherungsverwahrte angewiesen werden können, außerhalb der Justizvollzugsanstalt ein entsprechendes Gerät zu tragen. "Eingesetzt werden soll die elektronische Fußfessel insbesondere zur Überprüfung der Einhaltung aufenthaltsbezogener Weisungen", so Havliza. "Zum Beispiel um das Verbot der Kontaktaufnahme mit dem Opfer zu überprüfen."
Kein Kopftuch für Richterinnen
Havliza will außerdem eine gesetzliche Regelung, mit der Richterinnen und Richtern untersagt wird, religiöse Symbole – wie etwa ein Kopftuch – zu tragen. "Ich strebe eine gesetzliche Regelung an, die das Tragen religiöser und weltanschaulicher Symbole bei der Vornahme richterlicher Amtshandlungen gegenüber den Verfahrensbeteiligten generell untersagt", so die Ministerin. Richter seien zur Neutralität verpflichtet. Es gefährde das Vertrauen in den Rechtsstaat, wenn der Anschein erweckte werde, eine Entscheidung orientiere sich nicht allein an Recht und Gesetz, sondern könne durch die religiöse oder weltanschauliche Einstellung des Richters beeinflusst sein. Allerdings betonte die Ministerin, die Diskussion dazu sei innerhalb der großen Koalition noch nicht abgeschlossen.
NRB-Chef Bornemann hält ein Verbot religiöser Symbole für richtig: "Religiöse Zeichen – gleich ob ein Kopftuch oder etwa ein großes Kreuz – sollten für Amtsträger in der Justiz verboten sein." Darüber hinaus müsse es im Gerichtssaal grundsätzlich untersagt sein, das Gesicht zu verschleiern, so Bornemann. Ein Kopftuch sei bei einer Zeugin zwar kein Problem, eine Burka oder ein Niqab hingegen schon: "Bei einer Zeugenaussage muss ich das Mienenspiel erkennen können, auch ein Zucken des Mundwinkels."
Das allerdings müsste im Verfahrensrecht geregelt werden und ist damit Sache des Bundesgesetzgebers. Havliza kündigte an, sich bei der kommenden Justizministerkonferenz für eine entsprechende Gesetzesänderung einzusetzen. Zur Verhandlungsführung gehöre eine "offene Kommunikation im Gerichtssaal".
Mit Materialien von dpa
Annelie Kaufmann, Justizministerin Havliza stellt Agenda vor: . In: Legal Tribune Online, 18.01.2018 , https://www.lto.de/persistent/a_id/26551 (abgerufen am: 11.10.2024 )
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