Neues Gutachten im Fall Maier sieht Chancen: Rich­ter­an­klage, wenn andere Ver­fahren schei­tern

von Annelie Kaufmann

22.03.2022

Falls der sächsische Landtag im Fall Maier eine Richteranklage auf den Weg bringen will, muss er sich vor allem ein gutes Timing überlegen. Das zeigt ein Gutachten des Berliner Staatsrechtlers Christoph Möllers.

Die Grünen im Sächsischen Landtag haben ein Gutachten des Berliner Staatsrechtsprofessors Christoph Möllers vorgelegt, um zu klären, ob eine Richteranklage im Fall Jens Maier Erfolg haben könnte. Das Gutachten sieht zwar Chancen für ein solches Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht (BVerfG), weist aber auch auf ein wichtiges Problem hin: Die Richteranklage würde die derzeit schon laufenden Verfahren gegen Maier unterbrechen, das Dienstgericht könnte nicht parallel über Maiers Entfernung aus dem Dienst entscheiden. Andererseits muss der Landtag die vorgesehenen Fristen beachten, sollte also nicht zu lange abwarten.

Gegen Maier läuft derzeit ein Disziplinarverfahren, zudem hat das Sächsische Justizministerium beim Dienstgericht beantragt, ihn in den Ruhestand zu versetzen und einen Eilantrag gestellt, um Maier vorläufig die Amtsgeschäfte zu untersagen. Möllers schlägt vor, zumindest die Entscheidung über den Eilantrag abzuwarten. Nur wenn das Ministerium keinen Erfolg hat und Maier vorerst im Dienst bleibt, wäre ein Antrag vor dem BVerfG sinnvoll – und zwar ebenfalls im Eilverfahren.

Der rechtspolitische Sprecher der Grünen Valentin Lippmann sagte, man wolle nun auf die Koalitionspartner zugehen und eine Richteranklage zügig vorbereiten. "Das Gutachten hat viele Bedenken ausgeräumt." Es sei sinnvoll, den Ausgang des Eilverfahrens abzuwarten, dann aber müsse man sofort handeln, so Lippmann: "Wir dürfen keine weitere Zeit verlieren, sonst stehen wir am Ende mit leeren Händen da." Die SPD hatte sich bereits für eine Richteranklage ausgesprochen, auch die Linke ist dafür – der große Koalitionspartner CDU ist jedoch bisher zurückhaltend. Ohne die CDU geht es nicht, der Landtag müsste den Antrag mit einer Zweidrittelmehrheit beschließen. Ein Untersuchungsausschuss ist für das Verfahren nicht notwendig, so das Gutachten. Stattdessen könne Maier im Rechtsausschuss angehört werden, bevor der Landtag den Antrag beschließe, so Lippmann.

Der Landtag soll es zumindest versuchen

Niemand gewinne ein Verfahren in Karlsruhe "sicher", betont Möllers in seinem Gutachten. Im Fall Maier sei der Sachverhalt jedoch recht eindeutig, das könne die Gelegenheit bieten, die Ungewissheiten des Verfahrens einer Richteranklage aufzuklären. Bei einem nachweislich verfassungsfeindlichen Richter könne der Staat nicht einfach untätig bleiben, so Möllers weiter. Maier – zuvor Richter am Landgericht (LG) Dresden – war von 2017 bis 2021 Bundestagsabgeordneter für die AfD. Er gehörte zum mittlerweile angeblich aufgelösten völkischen Flügel um Björn Höcke und fiel mehrfach mit rechtsextremistischen Äußerungen auf. Der sächsische Verfassungsschutz stuft ihn als Rechtsextremist ein. Bei der Bundestagswahl 2021 ging Maier leer aus, seit Mitte März ist er wieder als Richter tätig, nun am Amtsgericht Dippoldiswalde. Dass es bisher nicht gelungen ist, Maier die Rückkehr in die Justiz zu verwehren, stieß auf scharfe Kritik.

Ob die – bisher noch nie angewendete – Richteranklage in so einem Fall das richtige Instrument ist, ist allerdings umstritten. Möllers sagte dazu auf der Pressekonferenz: "Die Mütter und Väter hatten politischen Extremismus vor Augen. Die Richteranklage ist nicht das einzige Instrument in solchen Fällen, aber sie kann eingesetzt werden, wenn die Justizverwaltung keinen Weg findet, einen verfassungsfeindlichen Richter aus dem Amt zu entfernen."

Grundlage für die Richteranklage ist Art. 98 Abs. 2 Grundgesetz (GG) iVm Art. 80 der Sächsischen Landesverfassung. Demnach kann das BVerfG einen Richter aus dem Amt entlassen, wenn er vorsätzlich gegen die "Grundsätze des Grundgesetzes" verstößt. Gemeint sei damit die freiheitlich-demokratische Grundordnung, ähnlich wie etwa bei einem Parteiverbotsverfahren. Umstritten ist, ob es lediglich auf eine verfassungsfeindliche Überzeugung ankommt oder ob auch eine aggressiv-kämpferische Grundhaltung vorliegen muss – so sieht es das BVerfG in Parteiverbotsverfahren. Für den Fall Maier komme es darauf jedoch letztlich nicht an, so das Gutachten, denn Maier habe sich mehrfach eindeutig für einen ethnischen Volksbegriff ausgesprochen, der im Gegensatz zu einer freiheitlich-demokratischen Grundordnung steht, in der alle Staatsbürger die gleichen Rechte genießen. Zudem habe er diese Überzeugung auch gewaltaffin formuliert.

"Maier hat sein völkisches Weltbild klar ausgesprochen"

Ohnehin seien die meisten Äußerungen Maiers bemerkenswert eindeutig, so Möllers: "Hier wird nicht kodiert, angedeutet oder verdruckst formuliert, sondern ein völkisches Weltbild klar ausgesprochen." Maier hatte etwa 2017 in einer Rede in Dresden von der "Herstellung von Mischvölkern" gesprochen – aufgrund dieser Rede sprach der LG-Präsident einen Verweis wegen des Verstoßes gegen das richterliche Mäßigungsverbot aus.

Maier wurde danach nicht etwa vorsichtiger, er hielt eine weitere Rede bei einer AfD-Wahlkampfveranstaltung in Dresden, bezeichnete sich selbst als "kleiner Höcke", äußerte Verständnis für den norwegischen rechtsextremen Massenmörder Anders Breivik und schrieb in einem Facebook-Eintrag man solle die ZDF-Journalistin Marietta Slomka "entsorgen". Auch nach der Auflösung des "Flügels" bekannte sich Maier zu dessen Positionen, 2021 trat Maier bei Pegida-Demonstrationen als Redner auf.

Möllers betonte, es hätte schon 2016 auf der Hand gelegen, disziplinarrechtlich entschieden gegen Maier vorzugehen: Damals gab Maier als Einzelrichter zunächst einem Antrag der NPD statt und verbot dem Dresdener Politikwissenschaftler Steffen Kailitz zu behaupten, die NPD "plane rassistische Staatsverbrechen". Später hob Maier die einstweilige Anordnung wieder auf, da die Dringlichkeit für den Eilrechtsschutz nicht mehr gegeben war. Der Fall sorgte damals für öffentliche Empörung. Er zeige aber auch, dass Maier bereit sei, sein Gedankengut in seine Rechtsprechung einfließen zu lassen, so Möllers.

Sind die Äußerungen Maiers zu lange her?

Die Richteranklage kann sich allerdings nur auf Äußerungen Maiers beziehen, die nicht länger als zwei Jahre her sind, bei Äußerungen im Amt gilt sogar nur eine Frist von sechs Monaten. Nach dem aktuell bekannten Stand sind das nur die Bekenntnisse Maiers zum Flügel aus dem Jahr 2020 und die Auftritte bei Pegida im vergangenen Jahr – und auch in diesen Fällen dürfte der Landtag nicht mehr lange abwarten. Die Äußerungen auf den Pegida-Demonstrationen sind zudem weniger aggressiv als frühere Äußerungen Maiers.

Dennoch könnten auch seine früheren Äußerungen in einem Verfahren vor dem BVerfG eine Rolle spielen, so Möllers: "Ich gehe davon aus, dass das Bundesverfassungsgericht sich ein Gesamtbild machen würde." Anknüpfungspunkt für die Richteranklage dürften zwar nur Äußerungen aus den vergangenen zwei Jahren sein, es stehe dem BVerfG aber frei, die Kontinuität der vorherigen Äußerungen Maiers zur Ermittlung seiner Haltung zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung mit heranzuziehen.

An der Verfassungsfeindlichkeit Maiers dürfte tatsächlich niemand ernsthaft zweifeln. Wie hoch die Chancen für eine erfolgreiche Richteranklage sind, lässt sich angesichts der verfahrenstechnischen Hürden dennoch nicht vorhersehen. Vorerst bleibt also abzuwarten, wie das Dienstgericht entscheidet – der einfachere Weg, um Maier aus dem Justizdienst zu entfernen, wäre das auf jeden Fall.

Zitiervorschlag

Neues Gutachten im Fall Maier sieht Chancen: . In: Legal Tribune Online, 22.03.2022 , https://www.lto.de/persistent/a_id/47908 (abgerufen am: 05.12.2024 )

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