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LG Osnabrück hebt Durchsuchungsbeschluss auf: Durch­su­chung beim BMJV war rechts­widrig

von Alexander Cremer und Dr. Markus Sehl

10.02.2022

Das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz.

Das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz - Bild: picture alliance/dpa | Christoph Soeder

Die Durchsuchung beim BMJV kurz vor der Bundestagswahl 2021 war unzulässig. Das LG Osnabrück hat den Durchsuchungsbeschluss aufgehoben. Unter anderem habe das gesuchte Schriftstück der Staatsanwaltschaft schon vorgelegen.

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Das Landgericht (LG) Osnabrück hat den Durchsuchungsbeschluss, auf dessen Grundlage die Osnabrücker Staatsanwaltschaft Anfang September 2021 das Bundesamt für Justiz und Verbraucherschutz (BMJV) und das Bundesfinanzministerium (BMF) in Berlin durchsuchen ließ, aufgehoben. Die Durchsuchungsanordnung sei unverhältnismäßig gewesen, so das Gericht in einer am Donnerstag veröffentlichten Mitteilung. 

Die Durchsuchung kurz vor der Bundestagswahl 2021 hatte für Unruhe im Umfeld vom damaligen Finanzminister und Kanzlerkandidat Olaf Scholz (SPD) gesorgt. Insbesondere stand die Frage im Raum, ob die Durchsuchung politisch motiviert war. 

Hintergrund der Durchsuchung war ein von der Osnabrücker Staatsanwaltschaft geführtes Ermittlungsverfahren gegen Unbekannt wegen des Verdachts der Strafvereitelung im Amt. Bei der bundesweit tätigen Antigeldwäscheeinheit FIU waren Geldwäscheverdachtsanzeigen eingegangen, die jedoch nicht an die Ermittlungsbehörden weitergeleitet wurden. Bereits am 14. Juli 2020 durchsuchte die Staatsanwaltschaft in diesem Zusammenhang Räume der FIU. 

Die FIU hat ihren Hauptsitz in Köln und ist seit einer Reform 2017 dem Zoll unterstellt, der wiederum an das BMF angegliedert ist. Bei der Durchsuchung wurde unter anderem ein Schreiben des BMJV an das BMF mit dem Betreff "Zusammenarbeit der Zentralstelle für Finanztransaktionsuntersuchungen (FIU) mit den Strafverfolgungsbehörden" sichergestellt und beschlagnahmt. Etwa ein Jahr später erfragte die Osnabrücker Staatsanwaltschaft telefonisch die Herausgabe dieses Schreibens beim BMJV. Der zuständige Referatsleiter des BMJV lehnte die Übermittlung allein aufgrund der telefonischen Anfrage jedoch ab. 

Daraufhin beantragte die Staatsanwaltschaft die Durchsuchung der Diensträume des BMF sowie des BMJV. Eine dagegen gerichtete Beschwerde des BMJV blieb vor dem Amtsgericht (AG) Osnabrück zunächst ohne Erfolg. Nach Informationen von LTO hat das Finanzministerium seinerzeit von einer Beschwerde gegen die Durchsuchung im eigenen Haus abgesehen. 

LG: Das gesuchte Schriftstück lag Staatsanwaltschaft schon vor

Das LG hob den Durchsuchungsbeschluss und den Beschluss des Amtsgerichts nun auf (Beschl. v. 09.02.2022, Az. 12 Qs 32/21). Die Voraussetzungen für eine Durchsuchung hätten nicht vorgelegen, so die 12. Große Strafkammer des LG. Schriftlich habe die Staatsanwaltschaft keine Beweismittel angefordert und aus der telefonischen Weigerung eines Referatsleiters gegenüber der ermittelnden Staatsanwältin habe nicht gefolgert werden dürfen, dass die Behörde generell nicht zur Herausgabe bereit gewesen sei. Ferner sei weder die Vernichtung von Beweismitteln zu befürchten gewesen noch habe eine besondere Dringlichkeit oder Eilbedürftigkeit bestanden. 

Nach Auffassung des LG war die Durchsuchungsanordnung auch unverhältnismäßig. Die Durchsuchung sei nicht erforderlich gewesen, da das angeforderte Schriftstück der Staatsanwaltschaft bereits vorlag. Auch andere erstrebte Beweismittel hätten sich bereits in den Ermittlungsakten befunden. 

Darüber hinaus sei wegen des nur geringen Verdachts einer Strafvereitelung im Amt "ein angemessenes Verhältnis zu den Auswirkungen der Durchsuchung und Beschlagnahme nicht mehr gegeben", hieß es. Anhaltspunkte für ein Fehlverhalten innerhalb des BMJV hätten nicht bestanden und ein Bezug des Ministeriums oder seiner Mitarbeiter zu potentiellen Straftaten innerhalb der FIU hätte nicht hergestellt werden können. Dafür, dass die Durchsuchung ungeachtet dessen angeordnet wurde zeigte das LG kein Verständnis. Die Vorgehensweise sei geeignet, "dem Ansehen der Bundesrepublik Deutschland und ihrer Institutionen einen nicht unbeachtlichen Schaden zuzufügen", so das Gericht.

Gegen die Entscheidung des LG sind keine Rechtsmittel mehr möglich. Die Begründung der Entscheidung wurde noch nicht veröffentlicht.

**Update am Tag der Veröffentlichung, 16:15 Uhr**

Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) begrüßte die "klare Entscheidung" in einer Stellungnahme am Nachmittag. "Man kann dem Justizministerium und seinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern vertrauen - das ist die wichtige Botschaft, die aus dem heutigen Beschluss des Landgerichts Osnabrück spricht und hinter der ich voll und ganz stehe", so Buschmann. 

Der Strafrechtsprofessor Kilian Wegner von der Universität Frankfurt (Oder) kritisiert das Vorgehen der Staatsanwaltschaft scharf. "Die Entscheidung des LG entlarvt das Vorgehen der Staatsanwaltschaft Osnabrück als rechtsstaatswidrige Posse in der heißen Phase des Wahlkampfs", so Wegner gegenüber LTO. Die Behauptung der Staatsanwaltschaft, das Bundesministerium würde im Falle einer Anfrage zur freiwilligen Herausgabe Beweismittel vernichten, entbehre laut Wegner jeder Grundlage. "Dass die Staatsanwaltschaft das selbst nicht wirklich ernst meinte, zeigt sich nicht zuletzt dadurch, dass die pressewirksam inszenierte 'Durchsuchung' sich darauf beschränkte, dass die niedersächsischen Beamten im Bundesministerium vor Ort um Einsicht in die maßgeblichen Dokumente baten und nicht etwa mit einer Hundertschaft selbst in die Aktenkammern rückten. Das ist letztlich nichts anderes als ein Herausgabeverlangen, nur persönlich und vor der eifrig bestellten Presse vorgetragen. Der Schaden, den das Ansehen der Rechtspflege dabei schon durch den bloßen Verdacht politischer Instrumentalisierung justiziabler Macht erlitten hat, ist erheblich", so Wegner weiter.

*Die Aufhebung des Durchsuchungsbeschlusses habe keine Auswirkungen auf das Ermittlungsverfahren, da die Unterlagen von den Mitarbeitern des Ministeriums freiwillig herausgegeben worden seien, teilte die Staatsanwaltschaft Osnabrück am Donnerstag mit. Die Annahme des Landgerichts stimme aber nicht, dass alle sichergestellten Unterlagen zum Zeitpunkt der Durchsuchung bereits vorgelegen hätten.

"Wegen des möglicherweise zu erwartenden Wechsels von Mitarbeitern in den Ministerien aufgrund der Bundestagswahl ging die Staatsanwaltschaft Osnabrück von einem möglichen Beweismittelverlust aus." Die Staatsanwaltschaft verwahrte sich gegen den Vorwurf des Gerichts, mit der Durchsuchung dem Ministerium geschadet zu haben. Man habe damit auch nicht "sogenannten Reichsbürgern, Selbstverwaltern, Querdenkern, Corona-Leugnern und anderen Gegnern der derzeitigen Staats- und Gesellschaftsordnung Vorschub geleistet".

*Statement der Staatsanwaltschaft Osnabrück ergänzt am Tag der Veröffentlichung, 17:15 Uhr.

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LG Osnabrück hebt Durchsuchungsbeschluss auf: . In: Legal Tribune Online, 10.02.2022 , https://www.lto.de/persistent/a_id/47490 (abgerufen am: 17.06.2025 )

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