In Frankfurt kann man bei der Kammer für internationale Handelssachen auf Englisch verhandeln. In geeigneten Fällen kann dies eine gute Alternative zur Schiedsgerichtsbarkeit sein, finden Daniel Schnabl und Denise Gruber.
Um einen attraktiven Gerichtsstand für grenzüberschreitende Rechtsstreite englischsprechender Parteien zu schaffen, wurde zum 1. Januar 2018 am Landgericht (LG) Frankfurt eine Kammer für internationale Handelssachen eingerichtet. Verfahren, die vor dieser Kammer geführt werden, unterliegen grundsätzlich der deutschen Zivilprozessordnung. Es gibt allerdings die Besonderheit, dass die mündliche Verhandlung nicht auf Deutsch, sondern in englischer Sprache durchgeführt wird. Zusätzliche Kosten fallen hierfür nicht an.
Besetzt ist diese Kammer, wie auch "herkömmliche" Kammern für Handelssachen, mit drei Richtern – einem auf Lebenszeit ernannten Berufsrichter sowie zwei Handelsrichtern. Letztere sind üblicherweise Geschäftsleute, die auf Empfehlung der Industrie- und Handelskammer für einen Zeitraum von fünf Jahren zu Handelsrichtern ernannt wurden und ihre Fachkenntnisse und praktischen Erfahrungen aus dem Wirtschaftsleben in die Kammer einbringen.
Voraussetzung für eine Verweisung an die Kammer für internationale Handelssachen ist zunächst, wie üblich, das Vorliegen einer Handelssache im Sinne von § 95 Gerichtsverfassungsgesetz (GVG). Hinzukommen muss ein internationaler Bezug. Zudem müssen beide Parteien bis zum Ablauf der Klageerwiderungsfrist übereinstimmend erklären, dass sie die mündliche Verhandlung in englischer Sprache führen möchten und auf einen Dolmetscher verzichten.
Man korrespondiert ohnehin auf Englisch
Ein Verweisungsantrag an die Kammer für internationale Handelssachen bietet sich daher besonders für solche Streitigkeiten an, bei denen die Parteien bereits selbstverständlich auf Englisch miteinander korrespondiert haben, wie z.B. bei internationalen Unternehmenstransaktionen, und/oder die Verträge in englischer Sprache verfasst wurden. So ist bereits von vornherein sichergestellt, dass die Parteien und ihre Prozessvertreter darin geübt sind, über den Streitgegenstand auf Englisch zu kommunizieren und sich auch dazu im Stande sehen, eine mündliche Verhandlung in englischer Sprache kompetent zu führen. Zugleich macht die Verhandlung in englischer Sprache in diesen Fällen auch den Umgang mit englischsprachigen Beweismitteln viel einfacher, weil direkt über den Originalwortlaut des Vertrages in gleicher Sprache verhandelt werden kann.
Neben der Kammer für internationale Handelssachen am LG Frankfurt schuf auch das LG Hamburg im Mai 2018 verschiedene englischsprachige Zivil- und Handelskammern. 2020 wurden zudem sog. Commercial Courts in Stuttgart und Mannheim eingerichtet, die sich auf "größere wirtschaftsrechtliche und internationale Streitverfahren spezialisiert" haben. Schließlich wurden im Jahr 2021 zwei internationale Kammern (eine Kammer für Handelsstreitigkeiten und Streitigkeiten über unlautere Handelspraktiken und Markenangelegenheiten sowie eine Kammer für Streitigkeiten im Baurecht und allgemeine zivilrechtliche Streitigkeiten) am LG Berlin etabliert.
Vorteile einer englischen Verhandlung
Die Durchführung einer mündlichen Verhandlung auf Englisch bietet viele Vorteile für ausländische Parteien, die der deutschen Sprache nicht in gleicher Weise mächtig sind wie der international geschäftsüblichen Sprache Englisch. Sie können dem Verhandlungsverlauf unmittelbar und ohne Zuziehung eines Dolmetschers folgen, wodurch sichergestellt wird, dass sie jederzeit einschreiten können, sollte Sachvortrag richtig zu stellen sein oder wenn Hinweise an ihre Prozessvertreter angezeigt sind. Denn selbst bei der Hinzuziehung von Simultanübersetzern kann es – gerade bei hitzigen Diskussionen der Parteivertreter über Sach- und Rechtsfragen – dazu kommen, dass wichtige Teile des Verhandlungsgeschehens untergehen.
Gleichzeitig können Parteivertreter oder Zeugen unmittelbar – ebenfalls ohne Zuziehung eines Dolmetschers – von dem Gericht vernommen werden. Dies ermöglicht es den betroffenen Personen, ihre Eindrücke direkt und in ihren eigenen Worten zu schildern, ohne dass eine mögliche Verfälschung des Inhalts oder des Kontexts durch die Übersetzung zu befürchten ist. Gerade für die Beurteilung der Glaubwürdigkeit einer Person und die Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme ist es für das Gericht von besonderer Bedeutung, die konkrete Wortwahl und auch den gewählten Ton verstehen zu können. Zudem kann das Gericht durch die direkte Befragung sicherstellen, dass die gestellten Fragen auch richtig verstanden und adäquat beantwortet werden.
Kammer ist Alternative zum Schiedsgericht
Erfahrungen aus der Praxis von Verhandlungen vor der Kammer für internationale Handelssachen in Frankfurt zeigen, dass die Attraktivität des Gerichtsstands Deutschland durch die Einführung von englischsprachigen Zivil- und Handelskammern steigt. Die internationalen Kammern sind hochqualifiziert und zum Teil mit Richtern besetzt, die selbst wertvolle Erfahrungen sowie Praxiskenntnisse als ehemalige Wirtschaftsanwälte mitbringen.
Durch den Wegfall der Sprachbarriere können diese Kammern eine gute Alternative zur Schiedsgerichtsbarkeit darstellen, auf die ausländische Parteien, die in englischer Sprache verhandeln wollten, bislang ausweichen mussten. Dies gilt insbesondere für Konstellationen, in denen die Parteien nicht um streng vertrauliche Angelegenheiten streiten, sodass die auch vor der Kammer für internationale Handelssachen geltende Öffentlichkeit keinen Nachteil gegenüber der strengen Vertraulichkeit von Schiedsverfahren darstellt.
Doch selbst wenn den Parteien auf Grund eines Streites über wichtige Geschäftsgeheimnisse grundsätzlich an der Vertraulichkeit ihres Rechtsstreits gelegen ist, kann die Kammer für internationale Handelssachen eine Alternative sein. Denn auch hier besteht die Möglichkeit, nach § 172 GVG einen Ausschluss der Öffentlichkeit zum Schutz der Geschäftsgeheimnisse zu beantragen.
Kammer in der Gerichtsstandsklausel vereinbaren
Sollten sich Parteien dazu entscheiden, einen Rechtsstreit vor der Kammer für internationale Handelssachen in Frankfurt führen zu wollen, bietet es sich daher an, bereits früh die Weichen hierfür zu stellen. So könnte beispielsweise bereits in die Gerichtsstandsklausel aufgenommen werden, dass die Parteien übereinstimmend erklären, eine etwaige mündliche Verhandlung in englischer Sprache führen zu wollen sowie auf einen Dolmetscher zu verzichten.
Auf diese Weise können die von beiden Seiten zu erfüllenden formalen Anforderungen auf ein Minimum – nämlich einen Verweisungsantrag mit Referenz auf die Erklärungen in der Gerichtsstandsklausel – reduziert werden. Denn in dem Erfordernis einer Zustimmung beider Parteien liegt der eigentliche Webfehler, der erklärt, warum es bislang noch so wenige Fälle gibt, in denen vor deutschen Gerichten in englischer Sprache verhandelt wurde. Befinden sich die Parteien einmal in einer streitigen Auseinandersetzung und eine Partei regt die Verweisung an, ist die Zustimmung der anderen Partei nicht mehr leicht zu erlangen – zu groß ist in streitigen Auseinandersetzungen das gegenseitige Misstrauen, dass die Zustimmung einen Vorteil für die Gegenseite begründen könnte. Bei Vertragsschluss, also wenn die Parteien noch ohne Streit vertrauensvoll zusammenarbeiten, lässt sich dies leichter vereinbaren. Wünschenswert wäre gleichwohl, dass auch ohne eine solche vorherige Regelung die hochqualifizierten Kammern für internationale Handelssachen in der Praxis häufiger genutzt werden und nicht an vermeintlichen prozesstaktischen Erwägungen der Parteien bzw. ihrer anwaltlichen Vertreter scheitert.
Der Autor Dr. Daniel Schnabl LL.M. ist Partner im Frankfurter Büro von Freshfields Bruckhaus und im Bereich Dispute Resolution tätig. Schwerpunkt seiner anwaltlichen Tätigkeit sind nationale und internationale Zivilprozesse und Schiedsverfahren einschließlich Investitionsstreitigkeiten. Dr. Denise Gruber ist Associate in dem Bereich.
Englische Verhandlung in Frankfurt: . In: Legal Tribune Online, 15.11.2022 , https://www.lto.de/persistent/a_id/50122 (abgerufen am: 07.12.2024 )
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