Die Justizminister der Länder haben sich auf ihrer Konferenz in Berlin unter anderem auf höhere Haftentschädigungen für zu Unrecht Inhaftierte geeinigt. Außerdem gab es zahlreiche Reformaufträge an die künftige Koalition.
Die Justizminister haben sich für eine Erhöhung der Pauschale zur Entschädigung für Strafverfolgungsmaßnahmen ausgesprochen Der Hamburger Justizminister Till Steffen (Grüne) erklärte: "Niemand kann die Zeit zurückgeben, die jemand unschuldig in Haft verbracht hat. Was als Wiedergutmachung erwartet werden darf, ist eine angemessene finanzielle Kompensation." Bisher werden 25 Euro Haftentschädigung pro Tag gezahlt. "Das halten wir für äußerst unangemessen", so Steffen. Auf eine konkrete Summe konnten sich die Länder jedoch nicht einigen.
Der Deutsche Anwaltverein (DAV) begrüßt den Beschluss der Justizminister, fordert aber eine Erhöhung auf 100 Euro pro Tag: "Eine Haftentschädigung von derzeit 25 Euro pro Tag ist deutlich zu gering und muss mindestens vervierfacht werden", sagte DAV-Präsident Ulrich Schellenberg. "Auch die Justiz muss lernen, über ihre Fehler zu sprechen und die angemessen Maßnahmen ergreifen, um die Schäden wieder auszugleichen. Wir fordern eine rasche Gesetzgebungsinitiative."
Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) hat sich vor der Konferenz bereits dafür ausgesprochen, Opfer von Fehlurteilen für ihre Haft besser zu entschädigen. "Wer zu Unrecht im Gefängnis saß, sollte eine deutlich höhere finanzielle Entschädigung als bisher erhalten", so Maas. Er mahnte allerdings, der Ball liege bei den Ländern. "Sie müssen bereit sein, höhere Entschädigungskosten zu tragen."
Änderungen im Asylprozess
Die Justizminister haben sich außerdem für Änderungen im Asylverfahrensrecht ausgesprochen, mit denen die Verwaltungsgerichte entlastet werden sollen. Das Bundesjustizministerium soll nun prüfen, ob den Verwaltungsgerichten die Möglichkeit gegeben werden soll, bei grundsätzlicher Bedeutung der Asylsache sowie bei uneinheitlicher Rechtsprechung die Berufung zuzulassen.
Die niedersächsische Justizministerin Antje Niewisch-Lennartz (Grüne) sagte, sie freue sich "dass meine Amtskolleginnen und Amtskollegen den von Niedersachsen initiierten Vorschlag unterstützen, zu einer Rechtsvereinheitlichung im Asylprozess beizutragen". Nun bleibe zu hoffen, dass die von den Präsidenten der Oberverwaltungsgerichte auf ihrer Jahrestagung im Oktober geforderten Möglichkeiten, Rechtszersplitterung zu vermeiden und gerichtliche Asylverfahren zu beschleunigen, auf der Agenda blieben. Allein die Ausstattung der Verwaltungsgerichte mit mehr Personal allein reiche nicht aus.
Die Besonderheiten des Asylprozessrechts führen dazu, dass es wenig Leitentscheidungen gibt, die grundsätzliche Fragen allgemeingültig klären könnten. Die Präsidenten der Oberverwaltungsgerichte hatten deshalb außerdem eine Klarstellung vorgeschlagen, dass das Bundesverwaltungsgericht als Revisionsinstanz in Asylverfahren auch fallübergreifende allgemeine Tatsachenfragen überprüfen kann. Diesen Vorschlag soll eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe weiter prüfen. Der Vorschlag, in Eilverfahren eine zweite Instanz zu eröffnen, wurde von der Justizministerkonferenz in ihren Beschluss nicht aufgegriffen.
2/2 Neue Regeln für Social Bots
Mit Blick auf die kommende Legislaturperiode sprachen sich die Justizminister für zahlreiche Reformen aus, die die künftige Koalition angehen sollte. Dazu gehören neue Regelungen zum Umgang mit Social Bots. Die Computerprogramme gelten vor allem deshalb als problematisch, weil einzelne Akteure damit massenhaft Nachrichten im Netz verbreiten können und so den Anschein erwecken, sehr viele Nutzer teilten ihre Meinung.
Die Justizminister schlagen der Bundesregierung deshalb vor, eine Neuregelung im Telemediengesetz bzw. auf europäischer Ebene zu prüfen, mit denen Betreiber sozialer Netzwerke verpflichtet würden, Beiträge von Social Bots zu kennzeichnen. Außerdem müsse das Sexualstrafrecht systematisch überarbeitet werden. Grundlage dafür soll nach Auffassung der Justizminister der Abschlussbericht der Reformkommission zum Sexualstrafrecht sein, der im Sommer dieses Jahres vorgelegt wurde.
Ein weiteres Thema waren die Entwicklungen im Bereich Legal Tech. Berlin und Baden-Württemberg sollen eine Arbeitsgruppe einrichten, die sich mit der fortschreitenden Entwicklung von Legal-Tech-Anwendungen und ihren Auswirkungen auf die Justiz befasst.
Effektivere Strafverfahren
Diskutiert wurden unter anderem die umstrittenen Forderungen des Strafkammertages, Strafverfahren effizienter zu gestalten. Die Länder befürworteten grundsätzlich weitere Reformen.
Herbert Mertin (FDP), der als Justizminister von Rheinland-Pfalz die Konferenz ausrichtete, erklärte, eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe solle sich mit der Frage der effizienteren Ausgestaltung von umfangreichen Strafverfahren befassen. "Wir wollen anstreben, dass solche Umfangsverfahren in der Praxis handhabbar bleiben und in kürzerer Zeit bewältigt werden können. Die Bürgerinnen und Bürger erwarten zu Recht, dass Strafverfahren zügig abgeschlossen werden." Ansatzpunkte könnten beispielweise die Bündelung von Nebenklägerinteressen oder die Abschichtung von bestimmten streitigen Verfahrensfragen sein.
Zudem betonten die Länder, die Ermittlungsbehörden müssten wieder Zugriff auf die bei den Telekommunikationsanbietern gespeicherten Standortdaten erhalten. Dafür hatte sich insbesondere der bayerische Justizminister Winfried Bausback (CSU) stark gemacht: "Ich bin mir mit meinen Kollegen völlig einig: Unsere Strafverfolger brauchen schleunigst wieder Zugriff auf sogenannte Handy-Standortdaten." Damit lässt sich nachvollziehen, aus welcher Funkzelle über einen Anschluss telefoniert oder eine Internetverbindung genutzt wurde. Das sei "zur Aufklärung von Straftaten unverzichtbar", so Bausback.
Die aktuelle gesetzliche Regelung, die den Ermittlern den Zugriff auf verpflichtend gespeicherte Daten ermöglicht, läuft derzeit leer, weil die deutsche Rechtslage nach Ansicht des Oberverwaltungsgerichts Nordrhein-Westfalen gegen europäische Datenschutzrichtlinien verstößt.
Schließlich soll das Bundesjustizministerium Änderungen des Strafrechts prüfen, mit denen die Bekämpfung von Terrorismus gemäß der EU-Richtlinie zur Terrorismusbekämpfung verbessert werden könnte. Die Richtlinie muss bis zum 8. September 2018 umgesetzt werden.
Im kommenden Jahr wird Thüringen den Vorsitz der Justizministerkonferenz übernehmen. Die nächste Konferenz findet im Juni 2018 in Eisenach statt.
Annelie Kaufmann, Justizministerkonferenz in Berlin: Höhere Haftentschädigungen . In: Legal Tribune Online, 09.11.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/25467/ (abgerufen am: 24.04.2024 )
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