Justiz in der Corona-Krise: Macht die Gerichte dicht!

Gastkommentar von Martin W. Huff

16.03.2020

Langsam beginnt die Justiz auf die Krise zu reagieren. Dabei müssten nicht nur Termine standardmäßig aufgehoben und Fristen verlängert werden. Martin W. Huff plädiert für einen erweiterten Eildienst-Modus.

Das öffentliche Leben in Deutschland kommt immer mehr zum Stillstand, um die Ausbreitung des Coronavirus zumindest zu verlangsamen. Dazu gehört es auch, unnötige Sozialkontakte möglichst zu vermeiden. So haben Unternehmen und Verwaltungen schon flächendeckend Sitzungen abgesagt, Schulungsstätten geschlossen und Veranstaltungen verlegt.

Viele Verwaltungen gehen mittlerweile noch weiter und haben ihren Publikumsverkehr eingeschränkt. Die drei nordrhein-westfälischen Rechtsanwaltskammern zum Beispiel haben ihre Geschäftsstellen für den Publikumsverkehr weitgehend geschlossen. Vereidigungen der Anwälte, die zur Sicherung der beruflichen Existenz dringend notwendig sind, führen sie nicht mehr als Sammelveranstaltung durch, sondern als Einzelvereidigung unter Beachtung aller Hygienevorschriften. Möglich bleibt es für Rechtsanwälte weiterhin, sich bei den Kammern zu identifizieren – das ist Voraussetzung, um eine elektronische Signatur für ihre Karte für das besondere elektronische Anwaltspostfach zu bekommen. Und die wiederum ist gerade äußerst sinnvoll, um den Kanzleibetrieb notfalls auch von außerhalb der Kanzlei aufrecht zu erhalten.

Nur die Justiz führt bisher ihren Geschäftsbetrieb fast normal weiter. Erst mit dem heutigen Montag gibt es die ersten Äußerungen dazu, wie es weiter gehen soll. Doch die Justiz und auch die Richterschaft sollten sich sehr schnell überlegen, ob die Corona-Krise nicht ganz andere Maßnahmen erfordert.

Wer was entscheiden darf - und wer bisher was entschied

Selbstverständlich steht es in der richterlichen Unabhängigkeit eines jeden Richters, einen jetzt angesetzten Gerichtstermin noch durchzuführen. Denn dies gehört zum Kernbereich der Unabhängigkeit und steht nicht zur Disposition der Justizverwaltung.

Ob die Justizverwaltung das dem Richter durch die Schließung des Gerichtsgebäudes faktisch untersagen kann, ist eine der offenen Rechtsfragen, die bisher nicht geklärt sind. Einen Stillstand der Rechtspflege im Sinn von § 245 Zivilprozessordnung haben wir zur Zeit sicherlich nicht. Die Kommentierungen zu dieser Vorschrift sind insgesamt sehr dünn, bisher der Fall ist in der Justizgeschichte auch noch nicht vorgekommen.

Größere Einschränkungen im Justizbetrieb nimmt, Stand heute, offenbar Schleswig-Holstein vor. Aber das Grundproblem des Zugangs zu den Verhandlungen wird auch dort nicht gelöst, die Gerichtsöffentlichkeit bleibt, wo Termine nicht abgesagt werden, erhalten – und damit genau die Ansammlung von Menschen auf engem Raum, die derzeit eigentlich vermieden werden soll. Ein Ausschluss der Öffentlichkeit von Verhandlungen wäre mit Blick auf den Grundsatz der Öffentlichkeit (§ 169 Gerichtsverfassungsgesetz (GVG)) zumindest zweifelhaft. Wenn die Voraussetzungen für einen ausnahmsweisen Ausschluss der Öffentlichkeit nach § 171b GVG nicht erfüllt sind, wäre jedes ergangene Urteil angreifbar. Schleswig-Holstein will zudem auch die Rechtsanwälte zwingen, Fragebögen auszufüllen, wenn sie das Gebäude betreten wollen. Auch diese Maßnahme ist rechtlich durchaus zweifelhaft, kein Anwalt muss sich dazu erklären, welchen Termin er wahrzunehmen hat und bei welcher Verhandlung er zuhören möchte.

Niedersächsische Gerichte bitten ihre Bürger eher darum, zu überdenken, ob ihre Anliegen außerhalb von terminierten Verhandlungen wirklich dringend sind; über Gerichtsverhandlungen und Termine entscheide der jeweils zuständige Richter, heißt es. Ähnlich wird es offenbar bei Oberlandesgericht Thüringen gehandhabt, das seine Öffnungszeiten verkürzt hat. Der Bundesgerichtshof hat erste Verhandlungen abgesagt, allerdings nur für diese Woche. Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof stellt ab morgen, Dienstag den Sitzungsbetrieb nach eigenen Angaben für zunächst zwei Wochen ein, bereits terminierte mündliche Verhandlungen sollen aber nur "soweit als möglich abgesetzt" werden. In Nordrhein-Westfalen gab es am Freitag noch einen Runderlass, dass der Geschäftsbetrieb zunächst weitergeführt wird. Radikaler agiert der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte: Die Richter seien auf Homeoffice eingerichtet, der Gerichtsbetrieb werde im Prinzip fortgesetzt, vor allem Eilsachen bearbeitet, teilte das Gericht am Montag mit. Die Räumlichkeiten in Straßburg aber seien nicht mehr für die Öffentlichkeit zugänglich, alle Anhörungen im März und April erst einmal gecancelt. 

Was jetzt schon geht: Termine verlegen, Fristen verlängern

Auch in Deutschland häufen sich, wie zu hören ist, die Aufhebungsanträge von Rechtsanwälten und Parteien bei den Gerichten. Denn viele Advokaten, aber auch deren Mandanten, wollen nicht mehr reisen, keine öffentlichen Verkehrsmittel benutzen und einfach nicht in Kontakt mit fremden Personen kommen.

Jeder Richter sollte selbstverständlich auf Terminsverlegungsanträge von Rechtsanwälten und Parteien vernünftig reagieren. Einen Verlegungsantrag nicht stattzugeben, sollte die absolute Ausnahme sein. Es könnte unter Umständen sogar zu einer Ablehnung wegen Befangenheit des Richters führen.

Auch sollte die Richterschaft großzügig bei Fristverlängerungsanträgen aus der Anwaltschaft sein. Viele Kanzleien beschäftigen Mitarbeiter, deren Kinder seit Montag zu Hause sind. Oft können sie die Bearbeitung von Akten nicht im normalen Umfang gewährleisten. Nicht in jeder Nebenkostenangelegenheit oder dem seit Jahren laufenden Finanzgerichtsverfahren muss ein Schriftsatz automatisch mit einer Zweiwochenfrist an den Gegner übermittelt werden. Es wäre gut, wenn alle Justizmitarbeiter mit Augenmaß vorgingen.

Doch es braucht mehr als das. Wäre es nicht überlegenswert, alle Termine bis nach den Osterferien (Ende April 2020) initiativ von Richterseite aufzuheben, soweit sie nicht aus grundsätzlichen rechtsstaatlichen Überlegungen durchgeführt werden müssen, wie etwa bestimmte Strafverhandlungen, Verfahren in Gewaltschutzsachen oder auch Betreuungsangelegenheiten? Wäre es nicht gut, wenn die Justizministerien der Länder als zuständige Justizverwaltung und oberster Dienstherr und damit auch in Verwaltungsangelegenheiten Vorgesetzter aller Gerichtsverwaltungen zusammen mit den Richtervereinigungen dafür plädieren würden, auch wenn die Aufhebung eines Termins am Ende Richtersache ist?

Was gehen sollte: Schließt die Gerichte

Am besten aber sollte die Justiz sollte darüber nachdenken, ihre Gerichtsgebäude für den Publikumsverkehr komplett zu schließen und das Gerichtswesen inhaltlich beschränkt, etwa wie an einem Wochenende, aufrechtzuerhalten. Hier hat die Justizverwaltung das Hausrecht und könnte dies anordnen.  Natürlich ist dies nicht so einfach wie bei anderen Einrichtungen, die ihre Dienstleistungen einfach vom Zuhause der Mitarbeiter aus mit digitalen Mitteln anbieten können.

Die Justiz könnte – und müsste – selbstverständlich einen "Eildienst" in erweiterter Form anbieten, die Anwaltschaft ist sicherlich zu jeder Form der Zusammenarbeit bereit.

Schon heute gibt es bei den Gerichten an Wochenenden und über Feiertage einen sogenannten Eildienst. Dieser macht auch außerhalb der normalen Öffnungszeiten eines Gerichtsgebäudes und der normalen Arbeitszeiten von Richtern und Staatsanwälten eine rasche Bearbeitung von Angelegenheiten möglich, die aus rechtsstaatlichen Gründen schnell abgearbeitet werden müssen. Dieser Eildienst findet in aller Regel auch nicht vom Gerichtsgebäude aus statt, sondern über Mobiltelefone und digitale Medien.

Ein Notdienst für den Rechtsstaat

Ein solcher Eildienst in der jetzigen Corona-Krise müsste selbstverständlich Haftsachen umfassen und einstweilige Verfügungsanträge berücksichtigen. Aber auch Entscheidungen in Betreuungsangelegenheiten, in so mancher  Grundbuchsache und in Vollstreckungsangelegenheiten müssten möglich bleiben. Für dringend notwendige tatsächliche mündliche Verhandlungen könnte man vielleicht auf besonders abgeschottete Räumlichkeiten zurückgreifen, wie es heute schon bei Haftsachen in manchen Gerichtsgebäuden gang und gäbe ist.

Diese Überlegungen gelten nicht nur für die Straf-und Ziviljustiz, sondern selbstverständlich auch für die Verwaltungsgerichtsbarkeit. Speziell in eiligen Asylsachen, aber auch in anderen Angelegenheiten müssen Entscheidungen der öffentlichen Verwaltung vor den Verwaltungsgerichten im Wege der einstweiligen Anordnung angefochten werden können.

Es ist zu hoffen, dass in den kommenden Tagen rasch Klarheit geschaffen wird. Für die Anwälte. Und für all die Menschen, die kaum nachvollziehen können, warum die öffentliche Hand an dieser Stelle so langsam reagiert.

Der Autor ist Geschäftsführer der Rechtsanwaltskammer Köln und Rechtsanwalt in der Kölner Sozietät LLR.

Zitiervorschlag

Justiz in der Corona-Krise: . In: Legal Tribune Online, 16.03.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/40859 (abgerufen am: 02.10.2024 )

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