Herabstufung des § 184b StGB zum Vergehen, Maßnahmen zur Vermeidung von Ersatzfreiheitsstrafen, aber keine Einigung mit Gast Marco Buschmann über Bundesmittel für die Justiz. Die wichtigsten Beschlüsse der Landesjustizminister im Überblick.
37 Anträge lagen auf dem Tisch, 34 davon wurden beschlossen und davon sogar 28 ohne Gegenstimmen: Die Justizminister:innen der Länder haben am Donnerstag auf ihrer 93. Herbstkonferenz in Berlin (Jumiko) außergewöhnliche Einigkeit demonstriert. Bayerns Justizminister Georg Eisenreich sprach im Anschluss von der Jumiko als einer "rechtspolitischen Ideenschmiede".
Mit breiter Mehrheit sprachen sich die Landesjustizminister:innen dafür aus, die in der letzten Wahlperiode von der GroKo verabschiedeten Verschärfungen im Bereich Kinderpornografie teilweise wieder rückgängig zu machen. Konkret soll § 184b Strafgesetzbuch (StGB), der u.a. die Verbreitung und den Besitz kinderpornografischer Inhalte sanktioniert, wieder vom Verbrechen zum Vergehen zurückgestuft werden. Alternativ könnte auch eine Regelung für minderschwere Fälle vorgesehen werden.
In den vergangenen Monaten hatte es an der Neuregelung zunehmend Kritik aus der Praxis, insbesondere von Strafverfolgern, gegeben. Die Neuregelung führte dazu, dass sogar gegen Lehrer, Betreuer oder andere Aufsichtspersonen ermittelt werden musste, die kinderpornografisches Material an sich genommen hatten, ohne dass es ihnen dabei auf den Besitz des inkriminierten Inhalts selbst ankam. Eltern können sich nach der Regelung z.B. strafbar machen, wenn sie entsprechende Fotos auf den Handys ihrer Kinder finden und an andere Eltern der Schulklasse zur Warnung oder Prüfung weiterschicken. Auch "Spaßvideos", die Kinder auf dem Schulhof teilten, können in den Anwendungsbereich fallen.
Die Justizminister bitten daher Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP), diese Verschärfung wieder rückgängig zu machen. Er soll einen Gesetzentwurf vorlegen, der für die Tatbestände des § 184b Absatz 1 StGB "entweder eine Herabstufung zum Vergehen oder eine Regelung für minder schwere Fälle vorsieht und die Mindeststrafe in § 184b Absatz 3 StGB im Hinblick auf die Bandbreite des möglichen Handlungsunrechts auf unter ein Jahr Freiheitsstrafe festlegt", wie es in dem Beschluss heißt.
Ob es zu einer Gesetzesänderung kommen wird, ist offen: Bundesjustizminister Buschmann habe auf das "politische Diffamierungsgspotential" bei diesem Thema hingewiesen, berichtete Eisenreich nach der Sitzung. Gegenüber LTO teilte sein Sprecher mit*: "Das Bundesministerium der Justiz wird den heute gefassten Beschluss der Justizministerinnen und Justizminister Länder zur Anpassung des Strafrahmens des § 184b StGB zügig und sorgfältig prüfen. Die aus der Praxis vorgetragenen Argumente nehmen wir sehr ernst. Wir werden dazu auch das Gespräch mit Parlamentarierinnen und Parlamentariern und Fraktionen suchen."
Datenweitergabe zwecks Vermeidung von Ersatzfreiheitsstrafen
Handlungsbedarf sehen die Landesminister:innen auch im Bereich des Sanktionenrechts beim Thema "Ersatzfreiheitsstrafen". U.a. auf Initiative Bremens soll Minister Buschmann eine Regelung vorlegen, "der es sowohl der Staatsanwaltschaft als auch der Gerichtshilfe erlaubt, personenbezogene Daten im Einzelfall an private Träger der Straffälligenhilfe zu übermitteln". Mit diesen sollen dann Möglichkeiten erörtert werden, "die Geldstrafe in Ratenzahlungen zu tilgen oder durch gemeinnützige Arbeit abzuleisten, um so die Vollstreckung einer Ersatzfreiheitsstrafe abzuwenden".
Hintergrund ist, dass private Träger und Hilfsorganisationen der Straffälligenhilfe betroffenen Personen oft gerne ihre Unterstützung anbieten würden. Allerdings sind Staatsanwaltschaft und Gerichtshilfe bislang aus datenschutzrechtlichen Gründen gehindert, personenbezogene Daten im Einzelfall zu diesem Zweck an private Träger zu übermitteln.
Buschmann hatte kürzlich einen Referentenentwurf vorgelegt, der die Bemessung der Ersatzfreiheitsstrafe nach § 43 S. 2 StGB ändert. Bisher gilt für die Bemessung ein Umrechnungsfaktor von 1:1. Wer zu 30 Tagessätzen Geldstrafe verurteilt wurde, musste bei Nichtzahlung 30 Tage in Haft. Nach den Plänen des BMJ soll sich die Ersatzfreiheitstrafe nun halbieren: 30 nicht gezahlte Tagessätze entsprechen dann nur noch 15 Tagen Ersatzfreiheitsstrafe. Der Beschluss der Jumiko knüpft demgegenüber schon früher an: Es soll zuvor alles getan werden, damit Ersatzfreiheitsstrafen erst gar nicht verhängt werden.
Bremens Justizsenatorin Claudia Schilling freut sich über den Jumiko-Beschluss: "Am Ende ist die Vermeidung der Haft eine Win-Win-Situation für beide Seiten: Den Betroffenen bleibt die Zeit hinter Gittern erspart, die oftmals für zusätzliche Probleme sorgt, wenn durch die Haft beispielsweise 'draußen' parallel der Verlust der Wohnung droht, und auf der anderen Seite werden dem Justizvollzug vermeidbare Kosten erspart." Ein Hafttag in der JVA Bremen werde schließlich mit 135 Euro veranschlagt. Das BMJ versprach gegenüber LTO, den Beschluss der Jumiko zügig und sorgfältig zu prüfen - "gerade auch mit Blick auf die ohnehin angestrebte umfassende Reform der Ersatzfreiheitsstrafe", so ein Sprecher.*
Eine Mehrheit fand auch ein Antrag aus Bremen (und Berlin), das Fahren ohne Fahrschein nicht mehr als Straftat zu werten und § 265a Abs. 1 StGB ersatzlos zu streichen. Der Bundesjustizminister wurde gebeten, "im Zuge der geplanten Modernisierung des Strafrechts auch die Aufhebung der Strafbarkeit des Fahrens ohne Fahrschein in den Blick zu nehmen und diesbezüglich einen Gesetzesvorschlag zur Aufhebung der Strafbarkeit zu unterbreiten sowie den entsprechenden Gesetzgebungsprozess anzustoßen".
Ausweitung des Strafbefehlsverfahrens zugestimmt
Überraschend beschlossen die Justizminister: innen am Donnerstag auch einen Vorschlag ihres rheinland-pfälzischen Kollegen Herbert Mertin (FDP). Um in der Strafjustiz für Entlastung zu sorgen, hatte Mertin eine "maßvolle" Ausweitung des Strafbefehlsverfahrens angeregt. Freiheitsstrafen bis zu zwei Jahren, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wird, sollten künftig per Strafbefehl verhängt werden können – ohne Hauptverhandlung und ohne dass die Schuld des Beschuldigten zur Überzeugung des Gerichts feststehen muss. Bislang sieht § 407 Strafprozessordnung (StPO) nur Freiheitsstrafen bis zu einem Jahr vor. Bei Anwaltsverbänden, aber auch den Ampelfraktionen SPD und Grünen hatte der Vorschlag für Kritik gesorgt.
Beim Thema Vorratsdatenspeicherung sprachen sich die Länder am Donnerstag knapp mit 9:7 für die von Bundesjustizminister Buschmann vorgeschlagene "Quick-Freeze"-Lösung anstelle einer anlasslosen Speicherung aus. Das Thema ist auch innerhalb der Bundesregierung, zwischen BMJ und BMI, umstritten. Buschmanns Referentenentwurf darf daher wegen dieses "Versendungswiderspruches" zum aktuellen Zeitpunkt noch nicht zur Beurteilung an die Länder verschickt werden.
Keine Einigung beim Rechtstaats- und Digitalpakt
Wie LTO bereits bereits im Vorfeld des Treffens berichtet hatte, übten die Landesjustizminister auf der Jumiko erneut massive Kritik am Bund bzw. dem Bundesjustizminister in Sachen Rechtsstaats- und Digitalpakt. Die Länder werfen dem Bund vor, hier trotz gegenteiligem Versprechen im Ampel-Koalitionsvertrag bisher untätig geblieben zu sein bzw. zu wenig finanzielle Mittel anzubieten.
Bayerns Justizminister Eisenreich erklärte nach der Jumiko, es habe auch am Donnerstag im Gespräch mit Buschmann bei diesem Thema keine Einigung gegeben. "Heute ist der Pakt für den Rechtsstaat nicht verlängert worden", erklärte Eisenreich. Im Bereich Digitalisierung sei aber immerhin voraussichtlich im Frühjahr ein Digitalgipfel geplant, auf dem Bund und Länder dann "auf Augenhöhe" weiter verhandeln würden. Hamburgs Senatorin Anna Gallina warf dem Bund vor, bei diesem Thema die Problembeschreibung der Länder zu ignorieren und sich stattdessen vor allem um eigene neue Digitalisierungsprojekte zu kümmern.
Die Länder erwarten in diesem Kontext für die nächsten Jahre knapp 1,3 Milliarden Euro Bundesmittel. Buschmann hatte für die Justiz, die im Prinzip "Ländersache" ist, bislang eine wesentlich geringere Summe in Aussicht gestellt.
Kein entschlossener Fahrplan beim Jura-Bachelor
Auf Initiative Hamburgs beschloss die Jumiko schließlich Erleichterungen für Mieter:innen: "Unter anderem sollte in den Fällen, in denen sie bei der Zahlung der Betriebskosten in Verzug geraten, das Kündigungsrecht der Vermieter:innen für einen befristeten Zeitraum beschränkt werden. Zudem sollen Mieter:innen künftig einfacher als bisher eine Kündigung wegen Zahlungsverzug abwenden können, wenn sie den offenen Betrag nachzahlen", erklärte Gallina: Hintergrund ist die aktuelle Energiekrise: "Wenn aufgrund des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine gestiegene Betriebskosten dazu führen, dass die Forderungen aus dem Mietvertrag nicht mehr beglichen werden können, droht im schlimmsten Fall die Kündigung des Mietverhältnisses. Der Bund ist hier aufgefordert, gerade in diesen schwierigen Zeiten Schutzlücken für die Mieter:innen zu schließen."
Wenig Konkretes gibt es unterdessen beim Thema integrierter Jura-Bachelor von der Jumiko zu vermelden. "Die Justizministerinnen und Justizminister bitten den Koordinierungsausschuss Juristenausbildung, die Thematik eines integrierten 'Bachelor of Laws'-Abschlusses zum Gegenstand seiner Beratungen und eines regelmäßigen Erfahrungsaustausches zu machen und dabei insbesondere die unterschiedlichen Ausgestaltungen in den Blick zu nehmen." Nach einem entschlossenen Fahrplan klingt das nicht.
Alle Beschlüsse der 93. Herbstkonferenz der Justizminister:innen finden Sie hier.
*Ein Statement des BMJ wurde ergänzt; es erreichte die Redaktion erst nach Veröffentlichung des Artikels am Erscheinungstag ( 16.30 Uhr)
Beschlüsse der 93. Herbst-Jumiko: . In: Legal Tribune Online, 10.11.2022 , https://www.lto.de/persistent/a_id/50138 (abgerufen am: 07.11.2024 )
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