Projekt einer Aktivistin: Viele deut­sche Knast­zei­tungen online ver­öf­f­ent­licht

von Dr. Jochen Zenthöfer

26.01.2025

Bislang wurden Zeitungen, die in Gefängnissen entstehen, nur im Strafvollzugsarchiv an der FH Dortmund verwahrt. Nun hat die Aktivistin Lilith Wittmann viele Ausgaben selbst gesammelt und online verfügbar gemacht. Zuvor schwärzte sie darin enthaltene Namen; außer "Beate Z.".

Wer schon immer mal wissen wollte, was Gefangene schreiben und wie deutsche Knastzeitungen aussehen, kann nun im frei zugänglichen Online-"Knastarchiv" stöbern.

Hinter dem vor wenigen Wochen gestarteten Projekt steht die Aktivistin Lilith Wittmann. Bekannt wurde die 1995 geborene Softwareentwicklerin, als sie Sicherheitslücken in einer Wahlkampf-App der CDU aufdeckte. Später enttarnte sie unter anderem Sicherheitsprobleme bei Bonitätsprüfungsplattformen. Momentan forscht sie zu Software, die in Justizvollzugsanstalten in Deutschland und Luxemburg eingesetzt wird. Ihre Ende 2024 beim Chaos Communication Congress vorgestellten Erkenntnisse mündeten jüngst in eine Parlamentarische Anfrage des luxemburgischen Piraten-Abgeordneten Sven Clement an die dortige Regierung.

Wittmann hat bislang 500 Ausgaben 19 verschiedener Zeitungen aus 18 deutschen Gefängnissen gesammelt. Sie stammen aus öffentlichen Quellen, Archiven und sind mit Hilfe des Informationsfreiheitsgesetzes angefordert worden. Alle Zeitungen erscheinen in deutscher Sprache, nur ganz selten findet sich ein fremdsprachiger Artikel darin. Bekannteste deutsche Knastzeitung ist der "Lichtblick" der JVA Tegel in Berlin. Er wird von der "taz" unterstützt. "Der Riegel" aus Dresden wird von einem Verein herausgegeben, der auch außerhalb der Gefängnismauern aktiv ist.

In der Regel entstehen die Zeitungen jedoch ausschließlich im Strafvollzug. Die Redaktion besteht aus Gefangenen; Herausgeber, gelegentlich "Chefredakteur" genannt, ist meist der Anstaltsdirektor. Laut Wittmann ist der Rechtscharakter der Publikationen ungeklärt: Handelt es sich um Presseerzeugnisse, wofür der Inhalt spricht, oder um amtliche Anstaltsinformationen, was durch die Herausgeberregelung unterstützt wird und die Tatsache, dass die Zeitungen unter die Gesetze zur Informationsfreiheit fallen? Andernfalls hätte Wittmann sie schließlich nicht erhalten. Jedenfalls enthalten die Zeitungen tatsächlich amtliche Informationen, etwa die Verkündung neuer Anstaltsregeln oder Berichte der Gefangenenmitverantwortung. 

Vom Wunsch einer Playstation bis zum Thema Veganismus

Viele Knastzeitungen erscheinen einige Male im Jahr und werden dann kostenlos innerhalb der Anstalt verteilt, auf Anfrage auch nach außerhalb. Oft wird dabei um eine Spende gebeten. Das Themenspektrum im redaktionellen Teil unterscheidet sich. Manche Zeitungen berichten nur vom Anstaltsalltag. Sie klären auf, ob man als Gefangener eine Playstation besitzen darf, oder fordern, dass es mehr als eine Brotsorte geben sollte. Während der Pandemie klagten Gefangene über zu wenig Schutzmasken. Andere Knastzeitungen recherchieren auch allgemeinpolitische oder gesellschaftliche Themen wie Veganismus. Was den Ausgaben gemein ist: bezahlte Anzeigen von Strafverteidigern.

Ein wiederkehrendes Thema in den Zeitungen ist das Thema "Zensur". In der "Pro-Reo" aus Saarbrücken heißt es dazu (Ausgabe 2024/1): "Tatsache ist, dass wir der Zensur unterliegen. Allgemein haben wir jedoch schon den Eindruck, dass wir über alles berichten können. Bestimmte insbesondere rechtliche Themen allerdings werden von der Anstaltsleitung schon genauer unter die Lupe genommen. Sicherlich würden wir uns auch wünschen, keinerlei Vorbehalten zu unterliegen."

Im "Janus" der JVA Freiburg im Breisgau (2011) liest man: "Man stelle sich einmal vor, ein Redakteur könnte über jeden einfach so etwas schreiben und dies dann auch, ganz ohne jegliche Zensur, veröffentlichen. "Nein, gewisse Grenzen sind durchaus angebracht."

In einer Kölner Zeitung entdeckte Wittmann, dass der Anstaltsdirektor eine Anmerkung unter einen Artikel gesetzt hatte, um seine Einschätzung der Rechtslage mitzuteilen. Vermutlich werden Konflikte über Inhalte aber selten offen ausgetragen, weil Gefangene ihr Privileg, bei der Zeitung mitmachen zu dürfen, nicht aufs Spiel setzen wollen. Als der "Riegel" aus Dresden im Jahr 2023 eine Briefkontaktbörse eröffnen wollte, wurde das von den Verantwortlichen abgelehnt.

Wittmann schwärzt Relevantes selbst, doch einen Namen nicht

Es muss auch Handlungsanweisungen oder formale Dienstanweisungen für die Redaktionen geben. Solche hat Wittmann bislang aber nur aus einem Gefängnis erhalten. Da die Zeitungen auch außerhalb der Knastmauern gelesen werden, enthalten sie keine Geheiminformationen. In manchen finden sich jedoch Hinweise darauf, wie der Tagesablauf innerhalb der Anstalt aussieht.

In den Ausgaben, die Wittmann auf Papier oder als Datei zugesandt bekommt, ist fast nie etwas geschwärzt. Sie holt das selbst nach. Wittmann sieht jede Ausgabe durch und entfernt Namen von Gefangenen und einfachen Beamten. Viele Personen erscheinen jedoch bereits in den Zeitungen schon anonymisiert oder pseudonymisiert. Porträtfotos macht Wittmann unkenntlich. Als diese, in früheren Ausgaben, abgedruckt wurden, war den Redakteuren noch nicht bewusst, dass es eines Tages eine Gesichtserkennung geben würde.

Ungeschwärzt gelassen hat Wittmann jedoch den Namen einer sehr berühmten Gefangenen: Beate Z. vom Nationalsozialistischen Untergrund (NSU) sitzt in der JVA Chemnitz ein und hat beim Gewinnspiel der dortigen Zeitung "HaftLeben" bereits zweimal etwas gewonnen – im Jahr 2020 und im Jahr 2022.

Die Gewinne bei Preisrätseln werden von Personen außerhalb der Anstalt gesponsert. Das kann etwa Kaffee sein oder Schokolade. Seit dem Start von "Knastarchiv" hat Wittmann keine Anfrage bekommen, etwas aus ihrem Archiv zu löschen oder eine Ausgabe herauszunehmen. Bislang wirkt die Website ungeordnet. Wie zufällig sind einzelne Ausgaben nebeneinander platziert, eine Sortierfunktion soll folgen. Finanzielle Unterstützung erhält Wittmann nicht. Ihre Motivation ist schnell umschrieben: Sie will möglichst viele Informationen über den Knastalltag sammeln, um recherchieren zu können, ob und wie der Softwareeinsatz dort funktioniert. Dazu plant sie für die nächste Zeit noch Enthüllungen. Das Knastarchiv ist wohl ein Nebenprodukt dieser Recherchen.

Nur wenig Interesse an der Dortmunder Sammlung

In Deutschland werden Gefangenenzeitungen bislang nur vom Strafvollzugsarchiv an der FH Dortmund systematisch gesammelt. Dessen Leiterin, Professorin Christine Graebsch, berichtet, dass sie dies aufgrund eines Vertrags mit dem Bundesarchiv erledigt. Aus Haftanstalten werden ihr Zeitungen als Papierausgaben zugeschickt. Dies dient der Forschung und der Beratung von Gefangenen. Besonderes Interesse von Dritten gab es an den Publikationen bislang allerdings nicht. Anfragen, die Zeitungen einzusehen, etwa im Rahmen einer wissenschaftlichen Arbeit, blieben aus.

Wittmanns Projekt sieht Graebsch sehr positiv. Sie selbst könnten die Zeitungen nicht online stellen, dazu fehlten die Kapazitäten in Dortmund. Inzwischen ist auch die Deutsche Nationalbibliothek auf das "Knastarchiv" aufmerksam geworden. Uta Spaet, Referatsleiterin für den Bestandsaufbau, betont, dass die Gefängnisse eine Ablieferungspflicht für Zeitungen haben. Das gelte auch, wenn es sich nicht um Presseerzeugnisse, sondern nur um Amtliche Anstaltsinformationen handelt. Entscheidend sei der Inhalt. Da in den Publikationen öffentliche Interessen behandelt werden, würden diese in der Nationalbibliothek gesammelt. Viele Zeitungen habe man bereits im Bestand, andere, die Wittmann ausgegraben habe, werde man bei den Gefängnissen nun anfordern. Zwei Exemplare seien jeweils abzugeben; eines werde in der Bibliothek in Leipzig, eines in der Bibliothek in Frankfurt verwahrt.

Die meisten Zeitungen, die Wittmann vorhält, kommen aus Nordrhein-Westfalen. Nichts hat sie aus Bayern, da es dort kein Gesetz zur Informationsfreiheit gibt, und aus Niedersachsen, wo aus einer Anstalt argumentiert wurde, ein Anspruch auf Herausgabe sei nicht gegeben. Der Gefängnisdirektor des Gefängnisses im Saarland wollte zunächst auch nichts herausgeben, dabei veröffentlicht seine Anstalten die Ausgaben frei zugänglich auf der Website. Als kooperativ hat Wittmann unter anderem die Strafvollzugsanstalten in Detmold, Wuppertal und Bremen in Erinnerung.

Manchmal, sagt die Aktivistin, sei es hilfreich, dass sie sei, wer sie sei: "Die Anstaltsleitungen informieren sich über mich und ahnen dann schon, wie eine Verweigerung beantwortet würde: Dann klage ich vor dem Verwaltungsgericht." Bislang war dies noch nicht notwendig. Es laufen noch die Widerspruchsverfahren. Am liebsten würde Wittmann alle Zeitungen aus allen Gefängnissen online veröffentlichen.

Zitiervorschlag

Projekt einer Aktivistin: . In: Legal Tribune Online, 26.01.2025 , https://www.lto.de/persistent/a_id/56425 (abgerufen am: 08.02.2025 )

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