Der Alte ist auch der Neue: Die Richter des EuGH haben den belgischen Rechtswissenschaftler Koen Lenaerts als Präsidenten wiedergewählt. Lenaerts gilt als vehementer Verfechter der Rechtsstaatlichkeit.
Die Richter am Europäischen Gerichtshof (EuGH) mit Sitz in Luxemburg setzen auf Kontinuität an ihrer Spitze. Am Dienstag wählten sie den Belgier Koen Lenaerts erneut zu ihrem Präsidenten. Die zweite Amtszeit des Belgiers endet am 6. Oktober 2021. Lenaerts war der einzige Kandidat, der zur Wahl stand, das Abstimmungsergebnis ist nach Artikel 8 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs geheim.
Der EuGH-Präsident leitet die rechtsprechende Tätigkeit des Gerichtshofs und führt in den größeren Spruchkörpern den Vorsitz in den Sitzungen und bei den Beratungen. Gewählt wird er regelmäßig für drei Jahre aus der Mitte der EuGH-Richter. Am Gerichtshof arbeitet jeweils ein Richter aus jedem EU-Staat, derzeit also 28.
Die Wiederwahl des Präsidenten ist alle drei Jahre möglich. Lenaerts Vorgänger, der Grieche Vassilos Skouris, amtierte bis 2015 sogar 12 Jahre. Erster und bisher einziger deutscher EuGH-Präsident war von 1976 bis 1980 der vormalige Bundesverfassungsrichter Hans Kutscher. Er ging damals auf eigenen Wunsch vorzeitig in den Ruhestand.
Ein überzeugter Europäer
Der 63-jährige Lenaerts gilt als fleißiger und fachlich versierter Jurist, der sich zielstrebig durch die Luxemburger Instanzen gearbeitet hat, bis er dann im Oktober 2015 zum ersten Mal zum Präsidenten des EuGH gewählt wurde. Dem verheirateten Vater von sechs erwachsenen Töchtern wird eine außergewöhnliche Sprachbegabung nachgesagt: Er spricht fließend Flämisch, Französisch, Englisch, Spanisch und auch Deutsch, das er sich autodidaktisch beigebracht hat. Auch in Italienisch und Portugiesisch finde er sich zurecht, heißt es.
Geboren wurde Lenaerts in der Region Flandern, er studierte an den Universitäten Namur und Leuven Rechtswissenschaften und graduierte mit Auszeichnung. An der Harvard University absolvierte er 1978 einen Master of Law (LL.M), 1979 folgte dort der Abschluss mit einem Master in Public Administration (MPA). 1982 promovierte Lenaerts an der Katholieke Universiteit Leuven mit einer vergleichenden Arbeit über verfassungsrechtlich Präzedenzfälle des Europäischen Gerichtshofes und des Obersten Gerichtshofes der Vereinigten Staaten. An dieser Uni hatte 1979 auch seine berufliche Laufbahn als wissenschaftlicher Assistent begonnen.
Lenaerts blieb der Wissenschaft ebenso treu wie seiner Universität: 1983 wurde er in Leuven zum Professor für Europarecht berufen und übernahm als Direktor die Leitung des Instituts für Europarecht. Zeitgleich arbeitete er ab 1984 als Professor am Europakolleg in Brügge, wo er bis 1989 lehrte und ab 1986 auch als Rechtsanwalt tätig war. Von 1988 bis 1989 hatte er als "visiting professor" eine Gastprofessur an der Harvard University inne. Am EuGH wirkte Lenaerts als Richter am dortigen Gericht erster Instanz bereits von 1989 bis 2003. Richter am Gerichtshof selbst ist er seit dem 7. Oktober 2003, nach einer dreijährigen Vizepräsidentschaft von 2012 bis zum 2015 ist er seit dem 8. Oktober 2015 EuGH-Präsident.
Lenaerts gilt als überzeugter Europäer und vehementer Verfechter der Rechtsstaatlichkeit. Im Gespräch mit der österreichischen Zeitung Die Presse appellierte er, die Grenzen innerhalb der EU offen zu halten, sei doch die Reisefreiheit die "größte Errungenschaft für den Bürger". Die Migration aus Drittstaaten sei eine politische Herausforderung, der sich der Gesetzgeber stellen müsse. "Der Gerichtshof tritt erst an zweiter Stelle auf."
Spanierin Rosario Silva de Lapuerta neue EuGH-Vizepräsidentin
In einem Interview mit der Wiener Zeitung äußerte sich Lenaerts auch zu den Vorbehalten, die Staaten wie Ungarn und Polen gegenüber der Umsetzung von EuGH-Urteilen und der Einhaltung von Unionsrecht hätten. Das, so Lenaerts, dürfe nicht toleriert werden. Auch wenn viele Regelungsmaterien in die nationale Kompetenz der Mitgliedstaaten fielen: Es gebe Aspekte, die sehr klar an die Vorgaben des Unionsrechts gebunden seien. Die Mitgliedstaaten seien politisch aufeinander angewiesen, "und sie wollen in der EU nicht mit Mitgliedstaaten zusammenarbeiten, die nicht dieselben Grundwerte verkörpern", sagte er.
Für Lenaerts muss der Schutz europäischer Grundwerte wie der Demokratie, der Rechtsstaatlichkeit und der Wahrung und Einhaltung der Grundrechte auch politisch abgesichert sein. Das betreffe dann nicht in erster Linie die Gerichtsbarkeit, sondern die Mitgliedstaaten, die einander politisch an ihre Verpflichtungen erinnern sollten, damit sich kein Mitgliedstaat von diesem Grundkonsens allzu weit entfernt. Die Einheitlichkeit des Unionsrechts erfordere auch, dass es "keine Auslegung für einzelne Mitgliedstaaten" geben dürfe.
In seiner zweiten Amtszeit wird sich Lenaerts auf eine neue Vizepräsidentin einstellen müssen: Ebenfalls für drei Jahre gewählt wurde die Spanierin Rosario Silva de Lapuerta. Die 63-Jährige folgt in diesem Amt auf den Italiener Antonio Tizzano, der den Gerichtshof verlässt. De Lapuerta ist ebenfalls bereits seit 2003 Richterin in Luxemburg. Zuvor war sie u.a. Professorin für Gemeinschaftsrecht an der Escuela Diplomática in Madrid sowie Mitherausgeberin der Zeitschrift "Noticias de la Unión Europea".
Weitere personelle Neubesetzungen des Gerichtshofs gab der EuGH in einer Pressemitteilung bekannt – ebenso wie den Amtsantritt von sechs neuen Mitgliedern: Diese sind die Italienerin Lucia Serena Rossi, Irmantas Jarukaitis (Litauen), Peter George Xuereb (Malta), Nuno José Cardoso da Silva Piçarra (Portugal), Gerard Hogan (Irland) sowie Giovanni Pitruzzella (Italien).
EuGH-Präsident Lenaerts wiedergewählt: . In: Legal Tribune Online, 09.10.2018 , https://www.lto.de/persistent/a_id/31399 (abgerufen am: 13.12.2024 )
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