Der Europäische Gerichtshof definiert die richterliche Unabhängigkeit. Es geht dabei um einen Fall aus Portugal. Quasi in bcc steht aber ein anderes Land.
Eigentlich ging es um Portugal. Eigentlich. Das Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) zur Unabhängigkeit der Justiz in Portugal geriet dann aber so grundsätzlich, dass sich fast zwangsläufig ein anderer Mitgliedstaat angesprochen fühlen muss: Polen.
Das Land versetzt seine europäischen Partner seit Monaten mit dem Umbau seines Justizsystems in Unruhe. Die EU-Kommission sieht in der Reform, hinter der die nationalkonservative Regierungspartei PiS steht, eine ernste Gefahr für die Unabhängigkeit der Justiz. Nun melden sich die Luxemburger Richter zu Wort. Indirekt. (Urt. v. 27.02.2018, Rechtssache C-64/16)
Die Gelegenheit dazu hatte ihnen der Oberste Verwaltungsgerichtshof in Portugal gegeben. Der wollte wissen, ob es gegen die richterliche Unabhängigkeit verstößt, die Bezüge von Richtern vorübergehend zu kürzen.
Portugal durfte sparen – auch bei der Richterbesoldung
Der portugiesische Gesetzgeber hatte dies nämlich im Oktober 2014 getan, um das Haushaltsdefizit aus dem Jahr 2011 abzubauen. Dazu wiederum war Portugal dem Verwaltungsgerichtshof zufolge verpflichtet, um Finanzhilfen von der EU zu erhalten. Geklagt hatte eine Gewerkschaft im Namen von Mitgliedern des Rechnungshofs.
Die Antwort des EuGH auf den konkreten Fall fällt klar aus: Passt schon. Von der Sparmaßnahme sei der gesamte öffentliche Dienst betroffen gewesen, nicht speziell Mitglieder des Rechnungshofs. Außerdem sei das Ganze ja nur vorübergehend gewesen.
Spannender ist das Urteil in den Randnummern davor. Die Luxemburger Richter holen weit aus und formulieren ein Obiter Dictum, das in der Diskussion um Polens Rechtstaatlichkeit noch eine Rolle spielen könnte.
Ausgangspunkt ist Artikel 19 Absatz 1 Unterabsatz 1 des EU-Vertrags. Danach sind die Mitgliedstaaten verpflichtet, ihren Bürgern wirksamen Rechtsschutz zu gewährleisten, soweit es um die Durchsetzung von Rechten aus dem Unionsrecht geht.
Aus Artikel 47 der EU-Grundrechtecharta ergibt sich weiter, dass dieser Rechtsschutz von einem "unabhängigen" Gericht gewährleistet werden müsse. Die Unabhängigkeit der nationalen Gerichte sei insbesondere für das reibungslose Funktionieren des Systems der justiziellen Zusammenarbeit von grundlegender Bedeutung, so der EuGH.
Nochmal an alle: Richter brauchen "völlige Autonomie"
Und dann schreiben die Richter für alle noch einmal ganz genau auf, was sie unter richterlicher Unabhängigkeit verstehen: Richter müssen ihre Funktionen "in völliger Autonomie" ausüben können, "ohne mit irgendeiner Stelle hierarchisch verbunden oder ihr untergeordnet zu sein und ohne von irgendeiner Stelle Anordnungen oder Anweisungen zu erhalten". Das soll schützen "vor Interventionen oder Druck von außen", die die Unabhängigkeit eines Urteils gefährden und die Entscheidungen beeinflussen könnten.
Hält das polnische Justizsystem dieser Definition noch stand? Die Frage beantwortet der EuGH nicht, er wirft sie auf. Nebenbei. Sie steht in Luxemburg unausgesprochen im Raum.
Eine Antwort muss nun in den Hauptstädten der EU gefunden werden. Im Dezember leitete die EU-Kommission ein Verfahren nach Artikel 7 des EU-Vertrags ein. Die Brüsseler Behörde sieht in dem Umbau des Verfassungsgerichts und dem an den Richterwahlen beteiligten Landesjustizrat die Unabhängigkeit der Justiz bedroht. Warschau bekam drei Monate Zeit, darauf zu reagieren. Anschließend könnten die Mitgliedstaaten mit einer Vier-Fünftel-Mehrheit feststellen, dass in Polen eine schwerwiegende Verletzung der Grundwerte der EU droht.
Nutzt der EuGH als nächstes den Białowieża-Fall für klare Worte?
Es ist das erste Mal in der Geschichte der EU, dass ein solches Verfahren nach Artikel 7 EU-Vertrag eingeleitet wurde. In einem weiteren Schritt könnten die Staaten dann einstimmig feststellen, dass tatsächlich eine solche Verletzung vorliegt. Es gilt als unwahrscheinlich, dass Ungarn dabei mitmacht.
Die Androhung des Entzugs der Stimmrechte im Ministerrat – wie sie Artikel 7 Absatz 3 EU-Vertrag als Konsequenz vorsieht – bleibt damit in der Praxis wohl vorerst eine leere Drohung. Daran wird auch das Urteil aus Luxemburg nichts ändern.
In einigen Monaten wird sich der EuGH aber direkt mit Polen auseinandersetzen können. Vordergründig geht es dabei um die Abholzung des Białowieża-Urwalds. Dahinter steckt aber ein "anschauliches Beispiel" dafür, dass das Land die EU-Verträge nicht einhält, wie es das EU-Parlament in einer Entschließung zur Rechtstaatlichkeit Polens formulierte. Einen EuGH-Beschluss, mit dem im Juli 2017 vorläufig der Stopp des Holzeinschlags angeordnet wurde, hatte Polen nämlich zunächst einfach nicht umgesetzt.
EuGH zur richterlichen Unabhängigkeit: . In: Legal Tribune Online, 28.02.2018 , https://www.lto.de/persistent/a_id/27249 (abgerufen am: 14.10.2024 )
Infos zum Zitiervorschlag