Vorabentscheidungsersuche aus Polen unzulässig: EuGH über­prüft Richter-Dis­zi­p­li­nar­system nicht

von Dr. Markus Sehl

26.03.2020

Polnische Richter können den EuGH mit zwei Vorlagen nicht dazu veranlassen, das Disziplinarsystem in Polen überprüfen zu lassen. Den Luxemburger Richtern fehlt es am Bezug zum Europarecht. Eine Warnung in Richtung Polen gab es aber trotzdem.

Zwei Vorabentscheidungsersuchen der polnischen Justiz zu dem 2017 eingeführten Disziplinarsystem wird der Europäische Gerichtshof in der Sache nicht weiter entscheiden. Am Donnerstag haben die Richter der Großen Kammer des EuGH diese für unzulässig erklärt (Urt. v. 26.03.2020, Az. C-558/18 u. C-563/18). Den Luxemburger Richtern fehlte ein ausreichender Bezug der Verfahren zum Europarecht. So hatte es auch bereits der EuGH-Generalanwalt Tanchev in seinen Schlussanträgen im September 2019 gesehen.

Hintergrund der Verfahren sind die 2017 von der nationalkonservativen Pis-Regierung eingeführten Regelungen für Disziplinarverfahren gegen Richter. Dem EuGH hatten zwei Bezirksgerichte, ähnlich der deutschen Landgerichte, aus Łódź und Warschau Fragen zum neuen polnischen Disziplinarrecht vorgelegt. Im ersten Verfahren verlangt die Stadt Łowicz vom Fiskus Nachzahlung für die Erfüllung übertragener Zentralverwaltungsaufgaben. Im zweiten Ausgangsverfahren steht die Anwendbarkeit einer besonderen Strafmilderungsvorschrift für Kronzeugen zur Debatte.

In beiden Fällen erwägen die Kammern – so die Begründungen der Vorlagebeschlüsse – eine Entscheidung zu treffen, die kaum auf politisches Verständnis treffen dürfte. Die polnischen Richter befürchteten, dass es deshalb zu Disziplinarverfahren gegen sie kommen könnte.

Disziplinarverfahren wegen Vorlage an den EuGH?

Sie argumentierten in der Vorlage an den EuGH, dass der Justizminister in Polen sich über die Justizreform Einfluss auf die Einleitung und Durchführung der Verfahren verschafft habe. So könne die Disziplinargerichtsbarkeit zu einem Werkzeug werden, um missliebige Personen zu entfernen. Zudem könnten sich Richter zu vorauseilendem Gehorsam gedrängt fühlen.

Die Richter am Luxemburger EuGH sahen allerdings keinen Zusammenhang zwischen dem EU-Recht, auf das sich die polnischen Kollegen bezögen, und den Ausgangsverfahren. Deshalb sei die Auslegung des europäischen Rechts für die jeweiligen Urteile in den konkreten Fällen nicht erforderlich. 

Eine Warnung in Richtung Polen brachten die Luxemburger Richter aber in der Entscheidung doch unter. Sie erinnerten noch einmal daran, dass bei richterlichen Vorlagen an den EuGH den vorlegenden Richter keinesfalls Disziplinarmaßnahmen in ihrem Land drohen dürften. Indem die nationalen Richter europarechtliche Fragen dem EuGH vorlegen, arbeiteten sie auch an der Verwirklichung des EU-Rechts mit. Sie seien also auch in eigener Sache des EuGH tätig. Die Richter der Großen Kammer schreiben in ihrem Urteil vom Vorlagemechanismus als einem "Schlüsselelement" des Europarechts. 

Die polnischen Richter hatten in Schreiben aus dem Jahr 2018 dem EuGH mitgeteilt, dass gegen sie aufgrund ihrer Vorabentscheidungsersuchen eine Voruntersuchung vor einem möglichen Disziplinarverfahren eingeleitet worden sei. Dieser Umstand wurde aber nicht zum Gegenstand des Verfahrens vor dem EuGH selbst, sondern stellte nur eine weitere Nuance dar. 

Der EuGH führt in seinem Urteil nun dazu aus, dass die polnische Regierung in ihren schriftlichen Erklärungen und in der mündlichen Verhandlung vor dem Gerichtshof dargelegt habe, diese Untersuchungsverfahren seien inzwischen abgeschlossen wurden. Es sei kein bestehender Disziplinarverstoß festgestellt worden. Die Warnung in Richtung Polen war den EuGH-Richtern in jedem Fall aber fünf Randnummern wert.

Zitiervorschlag

Markus Sehl, Vorabentscheidungsersuche aus Polen unzulässig: EuGH überprüft Richter-Disziplinarsystem nicht . In: Legal Tribune Online, 26.03.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/41095/ (abgerufen am: 19.03.2024 )

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