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45073

Europäische Staatsanwaltschaft: Es geht los

von Annelie Kaufmann

28.05.2021

EU-Generalstaatsanwältin Laura Kövesi

(c) Büro der EU-Generalstaatsanwältin

Am 1. Juni nimmt die Europäische Staatsanwaltschaft ihre Arbeit auf. Zum Start gibt es Streit mit der slowenischen Regierung – aber nach jahrelangen Verhandlungen und viel Kritik war ohnehin nicht zu erwarten, dass es reibungslos läuft.

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"Ab dem 1. Juni werden europäische Staatsanwälte unter der starken Führung von Laura Kövesi gegen Kriminelle vorgehen und dafür sorgen, dass kein Euro mehr durch Korruption oder Betrug verloren geht" - das verkündete die Vizepräsidentin der EU-Kommission Věra Jourová am Mittwoch. 

Aber schon am nächsten Tag hatte Laura Kövesi, die Chefin der Europäischen Staatsanwaltschaft (EuStA), die seit Monaten in den Startlöchern steht, wieder mit grundsätzlichen Problemen zu kämpfen: Die slowenische Regierung streitet über den Staatsanwalt und die Staatsanwältin, die an die EuStA delegiert werden sollten – und zwar so heftig, dass nun die slowenische Justizministerin Lilijana Kozlovič zurückgetreten ist. 

Laut Medienberichten will Ministerpräsident Janez Janša von der rechtspopulistischen Partei SDS die beiden Kandidaten verhindern. Kozlovič, die der kleineren Koalitionspartei SMC angehört, bestehe hingegen darauf, dass das Auswahlverfahren korrekt abgelaufen sei. Die Regierung muss die ausgewählten Staatsanwälte benennen, bevor sie vom Kollegium der EuStA ernannt werden können. 

Man könne auch ohne Slowenien am Montag starten, betonte Kövesi. Aber: Dass die slowenischen Behörden offenkundig die Zusammenarbeit mit der EuStA verweigerten, werde das Vertrauen in eine effektive Verwaltung und Kontrolle von EU-Geldern in Slowenien "ernsthaft untergraben", so Kövesi weiter.  

22 Staatsanwälte in Luxemburg, 88 Staatsanwälte in den Mitgliedstaaten

Dennoch will die EuStA am Montag starten. Kövesis deutscher Stellvertreter bei der EuStA, Andrés Ritter, sagte in einem Pressegespräch am Freitag: "Wir freuen uns auf jeden einzelnen Fall."

Wie bei vielen EU-Organen erschließt sich die Funktionsweise der EuStA nicht auf einen Blick. Tatsächlich ist sie aber eben auch ein Experiment: die erste supranationale Staatsanwaltschaft. "So etwas wie uns gab es noch nie", sagt Ritter.

Neben Kövesi werden in Luxemburg 22 Staatsanwältinnen und Staatsanwälte ansässig sein – jeder der beteiligten EU-Mitgliedstaaten stellt eine bzw. einen von ihnen. Sie bilden das sogenannte Kollegium, das für die strategische Ausrichtung der EuStA zuständig ist. 

Die Luxemburger Staatsanwältinnen und Staatsanwälte arbeiten in sog. Ständigen Kammern, die aus jeweils drei Mitgliedern bestehen. Diese Kammern entscheiden über die Frage, ob ein Verfahren zu Gericht gebracht oder eingestellt wird und leiten die delegierten europäischen Staatsanwälte bei ihren Ermittlungen an.

Diese delegierten Staatsanwälte bilden das eigentlich Herz der EuStA: Sie sitzen in den Mitgliedstaaten, in Deutschland verteilt auf fünf Zentren in Berlin, Frankfurt am Main, Hamburg, Köln und München. In Deutschland sind es 11 Staatsanwältinnen und Staatsanwälte, in allen beteiligten Mitgliedstaaten derzeit 88. "Der EU-Haushalt sieht vor, dass es insgesamt 140 delegierte europäische Staatsanwälte geben soll", so Ritter. 

Wie viele Staatsanwältinnen und Staatsanwälte der jeweilige Mitgliedstaat abstellt, hängt von der Menge der Verfahren ab, die dort erwartet werden. Derzeit stellen Deutschland und Italien einen großen Anteil – das sind allerdings auch die beiden Länder, die die EuStA politisch vorangetrieben haben.

Nicht beteiligt sind Ungarn, Irland, Polen und Schweden, die der EuStA aber jederzeit beitreten könnten, auch Dänemark nimmt nicht teil. Die EuStA kann aber – so wie bisher die einzelnen Mitgliedstaaten untereinander – mit nicht beteiligten Mitgliedstaaten zusammenarbeiten.

Umsatzsteuerkarussells, Korruption, Subventionsbetrug

Die EuStA soll nur einen ganz bestimmten Bereich der Kriminalität bearbeiten, nämlich grenzübergreifende Straftaten zulasten des EU-Haushalts. Dazu gehört insbesondere Umsatzsteuerbetrug, Bestechung, Veruntreuung, Geldwäsche im Zusammenhang mit gegen den EU-Haushalt gerichteten Betrugsdelikten und die Mitwirkung an einer kriminellen Vereinigung, die Straftaten zum Nachteil des EU-Haushalts begeht.

Dabei sollen die europäischen Staatsanwältinnen und Staatsanwälte immer dann tätig werden, wenn es um einen Schaden von mindestens 100.000 Euro geht, bei Umsatzsteuerbetrug um mindestens zehn Millionen Euro. Man solle das jedoch nicht so verstehen, "als ob die europäische Staatsanwaltschaft nur für die ganz herausgehobenen Fälle zuständig ist", meinte Ritter: "Zehn Millionen Euro kommen beim Umsatzsteuerbetrug schnell zusammen, wenn Unternehmen in mehreren Mitgliedstaaten daran beteiligt sind." 

Rund 3.000 Fälle im Jahr will die EuStA untersuchen – jedenfalls wenn die Arbeit dann wirklich ins Rollen gekommen ist. Dr. Sebastian Trautmann, delegierter europäischer Staatsanwalt am Zentrum Köln, sagt: "Von der Polizei und vom Zoll haben wir schon erste Signale, was so an Verfahren auf uns zukommt." Er hofft, dass insbesondere auch Subventionsbetrug künftig besser verfolgt werden kann: "Das steht bisher eher im Schatten, aber es wird für die europäische Staatsanwaltschaft ein wichtiges Feld." Die EuStA hofft aufdecken zu können, wenn EU-Gelder in den Mitgliedstaaten nicht zu den entsprechenden Zwecken verwendet wird.

Vor allem soll aber die Zusammenarbeit zwischen den delegierten Staatsanwälten effizienter funktionieren als die Zusammenarbeit im Wege der Rechtshilfe bisher. "Wir können uns dann einfach per Mail oder über unser Case Management System an die Kollegen in einem anderen Mitgliedstaat wenden, etwa wenn dort eine Vernehmung oder eine Durchsuchung durchgeführt werden soll – das wird viel schneller und einfacher funktionieren als bisher," so Trautmann.

Anwälte haben weiter Bedenken

Im Gespräch mit Ritter, Trautmann, dem delegierten Staatsanwalt Marcus Paintinger aus München und der delegierten Staatsanwältin Annegret Ritter-Victor aus Berlin wird schnell klar, dass sie sich nicht nur eine erfolgreiche europäische Staatsanwaltschaft erhoffen, sondern auch eine, die von den Bürgerinnen und Bürgern verstanden wird. Es sei schließlich nicht nur im Interesse der EU, sondern im Sinne aller EU-Bürger, dass EU-Gelder zweckentsprechend verwendet werden, sagt Ritter: "Es geht darum, das Vertrauen der Bürger in die EU zu stärken."

Umstritten war die EuStA dennoch von Anfang an. Zum einen aus Sorge, ob die Staatsanwältinnen und Staatsanwälte tatsächlich unabhängig arbeiten können – an der Auseinandersetzung mit Slowenien zeigt sich, wie schwierig das werden wird. Zudem sind die rechtsstaatlichen Standards in den EU-Mitgliedstaaten ohnehin nach wie vor unterschiedlich. Und das könnte zum Nachteil der Beschuldigten gehen, befürchten Strafverteidiger. 

Rechtsanwältin Dr. Anna Oehmichen, Mitglied des Ausschusses Strafrecht des deutschen Anwaltverein, sagt gegenüber LTO, der DAV habe weiterhin große Bedenken, dass Beschuldigtenrechte im Zuge der Einrichtung der EuStA verkürzt werden könnten: "Wir hatten gehofft, dass es eine Regelung für ein einheitliches Niveau für Verfahrensrechte geben würde, etwa hinsichtlich des Rechts auf Akteneinsicht oder die Beiordnung eines Rechtsanwalts. Nun orientieren sich die Rechte von Beschuldigten aber an der individuellen Umsetzung der EU-Richtlinien zur Stärkung der Verfahrensrechte in den einzelnen Mitgliedstaaten – da gibt es aber ein starkes rechtsstaatliches Gefälle von Staat zu Staat."

Grundsätzlich sind die nationalen Gerichte der Mitgliedstaaten dafür zuständig, die Verfahrenshandlungen der EuStA zu überprüfen. Zudem kann der Europäische Gerichtshof (EuGH) im Wege von Vorabentscheidungsverfahren eine einheitliche Rechtsanwendung sicherstellen. Doch bei grenzübergreifenden Straftaten wird sich schnell die Frage stellen, in welchem Mitgliedstaat der Schwerpunkt der Handlungen liegt und wo sie angeklagt werden. Die Ständige Kammer kann entscheiden, dass in einem anderen Mitgliedstaat angeklagt wird, als in dem, in dem zunächst die Ermittlungen stattfanden. Das sei "besorgniserregend", sagt Oehmichen.

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Annelie Kaufmann, Europäische Staatsanwaltschaft: . In: Legal Tribune Online, 28.05.2021 , https://www.lto.de/persistent/a_id/45073 (abgerufen am: 17.11.2025 )

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