Legal-Tech-Unternehmen fordern digitalere Justiz: "Als sei die Coro­na­krise nicht exis­tent"

27.03.2020

In Zeiten von Corona kann auch die Justiz nicht mehr weitermachen wie bisher. Doch wie soll der Zugang zum Recht nun gewährleistet werden? Vertreter der Legal Tech Szene wenden sich heute mit einem offenen Brief an Politik und Justiz.

Die Justiz steht angesichts der Corona-Pandemie vor dem Problem, ob und unter welchen Umständen noch weiterverhandelt werden kann. Mündliche Verhandlungen sind in kürzester Zeit zum beinahe untragbaren Gesundheitsrisiko geworden.

Die Bundesregierung hat für Strafsachen bereits reagiert und eine Änderung der Strafprozessordnung verabschiedet, welche vorsieht, dass Strafprozesse wegen Corona bis zu drei Monate unter­b­rochen werden können - sie soll heute im Bundesrat genehmigt werden. Doch was ist mit Zivilverfahren? Hier müssen nun digitale Lösungen her, fordern Vertreter von Legal Tech Unternehmen und Kanzleien.

In einem offenen Brief wendet sich die "Adhoc-Initiative Legal Tech" am Freitag an die Justizminister der Länder sowie die Direktoren der Amts- und Landgerichte. Hinter dem Schreiben der selbst bezeichneten "Legal Tech-Unternehmen aus Deutschland" stehen u. a. Dr. Daniel Halmer, CEO der Lexfox GmbH, die das Portal wenigermiete.de betreibt, und Dr. Philipp Kadelbach, Mitgründer der Flightright GmbH. Neben solchen originären Legal Tech Unternehmen unterzeichneten auch Rechtsanwälte wie der Legal-Tech-Experte Markus Hartung von der Chevalier Rechtsanwaltsgesellschaft.

Forderung nach Video-Verhandlungen

"(W)ir befinden uns alle gemeinsam aufgrund der Corona-Krise in einer besonderen, herausfordernden Situation", heißt es in dem Schreiben. "Wir alle sind - auch und vor allem - in den nächsten Monaten an einer geordneten und funktionierenden Rechtspflege interessiert. Das gilt nicht nur für die Absender dieses Briefes, sondern wir können vermutlich für alle diejenigen sprechen, die heute oder morgen Bedarf an einer funktionierenden Rechtspflege haben."

Daher fordern sie konkrete Maßnahmen, um kurzfristig das Funktionieren der Justiz aufrechtzuerhalten: Zum einen sollten ab sofort mündliche Verhandlungen nur noch im Notfall angeordnet werden und dafür großzügig auf § 495a der Zivilprozessordnung (ZPO) zurückgegriffen werden. Die Vorschrift erlaubt es dem erkennenden Gericht, sein Verfahren nach billigem Ermessen zu bestimmen, wenn der Streitwert 600 Euro nicht übersteigt. Zum anderen sollten Richter dazu "ermuntert" werden, Möglichkeiten der Verhandlung im Wege der Bild- und Tonübertragung zu nutzen. Aufgetragen werden kann ihnen dies aufgrund ihrer richterlichen Unabhängigkeit nicht, was bundesweit derzeit zu sehr unterschiedlichen Regelungen führt.

Die Justizminister und -senatoren der Länder, fordern die Unterzeichner, sollten die nötigen Mittel zur Verfügung stellen, damit die Justiz ihren Aufgaben nachkommen könne.

"Als sei die Corona-Krise nicht existent"

In dem Schreiben äußern die Unternehmer und Anwälte auch deutliche Kritik am bisherigen Umgang der Justiz mit der Coronakrise: "Noch am Freitag, 20. März 2020, fanden in ganz Deutschland weiterhin Gerichtstermine statt, als sei die Corona-Krise nicht existent" heißt es. Ein Erfahrungsbericht erzählt von vollen Wartebänken und geschlossenen Fenstern im Gerichtssaal. So etwas solle in Zukunft nach Möglichkeit unterbunden werden, fordern die Unterzeichner - wenngleich die richterliche Unabhängigkeit "ein hohes Gut" sei.

Mit 128a ZPO gebe es schon seit 2013 eine gesetzliche Grundlage für Verhandlungen im Wege der Bild- und Tonübertragung, die es nun zu nutzen gelte. Es gebe bundesweit zwar einzelne Pilotprokekte, doch wirklich verbreitet habe sich diese Möglichkeit noch nicht. LexFox (wenigermiete.de) berichtet etwa, seit mehr als einem Jahr bei Amtsgerichten in ganz Deutschland standardmäßig Anträge nach § 128a ZPO zu stellen. "Noch kein einziger Amtsrichter gab einem solchen Antrag bislang statt."

Das soll sich nach dem Willen der Initiatoren nun schnellstmöglich ändern. Wo die technischen Möglichkeiten noch nicht vorhanden sind, bringen sie auch Gratis-Software für Cloud-Services oder Videoübertragung in Kombination mit Laptops, Tablets oder Handys ins Spiel. Das ist ihrer Ansicht nach auch im Rahmen der Anforderungen der Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) möglich. Sofortige Maßnahmen seien nun "zwingend und dringend geboten", gerade weil angesichts der sich derzeit weiter ausbreitenden Pandemie in den kommenden Wochen und Monaten eine Rückkehr zum Normalzustand nicht in Aussicht stehe. 

mam/LTO-Redaktion

Zitiervorschlag

Legal-Tech-Unternehmen fordern digitalere Justiz: . In: Legal Tribune Online, 27.03.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/41107 (abgerufen am: 11.11.2024 )

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