Das BMJV bereitet eine Änderung der Strafprozessordnung vor, um zu verhindern, dass wegen der Corona-Pandemie Strafverfahren platzen. Der Bundestag könnte eine entsprechende Regelung schon in der kommenden Woche beschließen.
Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD) will den Gerichten erlauben, eine Hauptverhandlung im Strafverfahren wegen der Corona-Pandemie für maximal drei Monate und zehn Tage zu unterbrechen.
Konkret bereitet das Bundesjustizministerium (BMJV) eine Regelung im Einführungsgesetz zur Strafprozessordnung (EGStPO) vor. In § 10 EGStPO soll ein befristeter Hemmungstatbestand für die Unterbrechung der Hauptverhandlung geschaffen werden, "der auf die aktuellen Maßnahmen zur Vermeidung der Verbreitung des Coronavirus SARS-CoV-2 abstellt".
Schon jetzt kann gemäß § 229 Strafprozessordnung (StPO) die Hauptverhandlung für einen Monat unterbrochen werden, wenn es zuvor mindestens zehn Verhandlungstage gab. Diese Frist verlängert sich, wenn der Angeklagte oder der Richter krank ist, sodass insgesamt eine Unterbrechung von bis zu drei Monaten und zehn Tagen möglich ist.
Künftig soll das nicht nur bei Krankheitsfällen, sondern auch allgemein aus Infektionsschutzgründen gelten – etwa "bei einem eingeschränkten Gerichtsbetrieb oder der Beteiligung älterer, zur Risikogruppe gehörender Personen", so das BMJV. Der geplante Tatbestand sei "weit gefasst" und beinhalte "sämtliche Gründe, die der ordnungsgemäßen Durchführung einer Hauptverhandlung aufgrund von Infektionsschutzmaßnahmen entgegenstehen".
SPD und CDU wollen schon kommende Woche Gesetz verabschieden
"Mit der Neuregelung verhindern wir das 'Platzen' von Strafprozessen, wenn aufgrund der Corona-Epidemie Hauptverhandlungen nicht stattfinden können", so Lambrecht. "Die Gerichte entscheiden unabhängig und verantwortungsbewusst, was im jeweiligen Fall angebracht ist."
Die Entscheidung, ob eine Hauptverhandlung unterbrochen wird, liegt damit weiterhin bei dem zuständigen Gericht. Findet die Verhandlung statt, gilt der Grundsatz der Öffentlichkeit gem. § 169 Gerichtsverfassungsgesetz (GVG). Eine Änderung dazu sei nicht geplant, ein genereller Ausschluss der Öffentlichkeit bei strafgerichtlichen Hauptverhandlungen "nicht möglich", erklärte ein BMJV-Sprecher gegenüber LTO.
Der rechtspolitische Sprecher der SPD-Fraktion im Bundestag, Dr. Johannes Fechner,sagte gegenüberLTO, der Bundestag könne schon in der kommenden Woche eine solche Regelung beschließen. Auch der rechtspolitische Sprecher der CDU-Fraktion, Dr. Jan-Marco Luczak, sprach sich für eine entsprechende StPO-Änderung schon in der kommenden Woche aus.
Richter und Anwälte dafür
Der Bundesgeschäftsführer des Deutschen Richterbunds, Sven Rebehn,begrüßt eine längere Unterbrechung von Strafprozessen:"In der aktuell schwierigen Situation braucht es eine größere Flexibilität für die Strafgerichte. Es gilt zu verhindern, dass Strafprozesse infolge von Infektionsschutzmaßnahmen nicht ordnungsgemäß beendet werden können und später von vorn beginnen müssten." Es sei wichtig, dass der Gesetzgeber die vorgeschlagene Sonderregelung jetzt rasch auf den Weg bringe.
Auch die Neue Richtervereinigung (NRV) hält die geplante Änderung für sinnvoll. Ulf Thiele, Sprecher der Fachgruppe Strafrecht und Richter am Amtsgericht Ahrensburg, betonte allerdings, dass es sich um eine zeitlich begrenzte Sonderregelung handeln müsse, die sich speziell auf die Corona-Pandemie bezieht.
Das fordert auch der Deutsche Anwaltsverein (DAV): Es müsse "unbedingt gewährleistet sein", dass die Sonderregelung auf die aktuelle Situation beschränkt bleibt, heißt es in einer Einschätzung von Stefan Conen und Dr. Ali Norouzi, die dem Strafrechtsausschuss des DAV angehören. Sie betonen, die Justiz dürfe nicht zum Stillstand kommen, eilige Verfahren, etwa Haftsachen, dürften "nicht auf die lange Bank geschoben werden".
Vorerst keine Änderungen bei Zivil- und Fachgerichten
Vor allem die Berufsverbände der Anwälte hatten weitgehende und möglichst einheitliche Regelungen auch an den Zivil- und Fachgerichten gefordert, um auf die Corona-Pandemie zu reagieren, etwa großzügige Fristverlängerungen und Terminverschiebungen. In vielen Bundesländern stellen die Gerichte mittlerweile auf einen Notbetrieb um.
Von CDU und SPD heißt es, weitere Maßnahmen etwa für die Zivilgerichte würdengeprüft. Diskutiert wurden zuletzt etwa allgemeine "Gerichtsferien". Der DRB hält das für nicht notwendig: "Die gesetzlichen Vorschriften für den Zivilprozess eröffnen den Gerichten bereits weitreichende Spielräume, um flexibel auf die aktuelle Ausnahmesituation reagieren zu können", so Rebehn.
Auch das BMJV setzt darauf, dass die Zivil-und Fachgerichte im Rahmen des geltenden Rechts Lösungen finden, um auf die aktuelle Krise zu reagieren. Möglich sei etwa die Gewährung von Fristverlängerungen und die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bei unverschuldeter Fristversäumnis. Darüber hinaus können Termine aufgehoben und verlegt werden. Zudem bestehe die Möglichkeit, mit Zustimmung der Parteien im schriftlichen Verfahren zu entscheiden. Welche Maßnahmen im Einzelfall getroffen werden, sei Sache des jeweiligen Gerichts.
Ebenfalls sehr kurzfristig soll eine gesetzliche Regelung kommen, mit der die reguläre Drei-Wochen-Frist der Insolvenzordnung ausgesetzt werden soll. Unternehmen können dann Insolvenzanträge bis zum 30. September dieses Jahres stellen.
StPO-Änderung schon nächste Woche?: . In: Legal Tribune Online, 18.03.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/40919 (abgerufen am: 10.10.2024 )
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