Wie die Karlsruher Richter zu ihren Roben kamen: Leuch­tend rot

Gastbeitrag von Dr. Sebastian Felz

27.09.2021

Die Richterinnen und Richter des BVerfG suchten sich ihre Roben selbst aus – und schufen damit nicht nur ein Markenzeichen, sondern auch ein Symbol für die hart erkämpfte Autorität des Karlsruher Gerichts, zeigt Sebastian Felz.

In den Schlussvorschriften der Geschäftsordnung des Bundesverfassungsgerichts heißt es lapidar: "Die Richter tragen in der mündlichen Verhandlung eine Robe mit Barett" (§ 67 BVerfG-GO). Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) ist damit das einzige Verfassungsorgan mit einer Amtstracht. Farbe, Schnitt und Form legten die Karlsruher Richterinnen und Richter in den 1950er-Jahren selbst fest. Bis sie darin das erste Mal auftreten konnten, dauerte es Jahre – doch so wurden die roten Roben auch zu einem Symbol für die Autorität und Unabhängigkeit, die sich das Gericht in seiner Anfangszeit erst erkämpfen musste.

Heute sind die Roben das Markenzeichen des Gerichts. Momentan sind sie nicht nur bei den Verhandlungen und in Fernsehberichten zu sehen, sondern auch in den gläsernen Cubes, in denen sich das BVerfG zu seinem 70. Geburtstag auf den Marktplätzen in Karlsruhe und Halle vorstellt, wenn auch der größte Teil der Feierlichkeiten digital stattfindet.

Dabei handelt es sich bei den Roben um "Erbstücke", die nicht für jede Verfassungsrichterin oder jeden Verfassungsrichter neu angefertigt werden. Die Amtstracht gehört nicht den Richterinnen und Richtern, sondern dem Verein der Richter des BVerfG. Die Karlsruher Schneiderin Kerstin Brandt tauscht daher Kragen aus, nimmt Ausbesserungen vor und bringt die schwerroten Roben aus Duchesse, das weiße Jabot oder das rote Barret wieder auf Stand. Laut Brockhaus bedeutet "Duchesse" übrigens, dass der dichte, glänzende, atlasbindige Kleider- oder Futterstoff aus Seide besteht und stranggefärbt wird.

Verspätetes Verfassungsorgan

Das BVerfG gilt als "verspätetes Verfassungsorgan", wie es der deutsche Historiker Reinhard Schiffers formulierte. Zwar steht es heute gleichberechtigt neben den anderen obersten Staatsorganen (Bundestag, Bundesrat, Bundespräsident und Bundesregierung), es ist aber nicht 1949 konstituiert worden, sondern erst 1951.

In den ersten zehn Jahren kamen wichtige Richtersprüche aus Karlsruhe, welche das junge Verfassungsrecht des Grundgesetzes ausbuchstabierten. Das Gericht zeigte sich standhaft gegenüber den Erwartungen der Bundesregierung in den Entscheidungen, welche die Europäische Verteidigungsgemeinschaft (EVG) und die Wiederbewaffnung betrafen; es half mit bei der Vergangenheitsbewältigung, als es sich für das Erlöschen der Beamtenverhältnisse des "Dritten Reiches" aussprach und setzte sich damit von Bundesgerichtshof und der Vereinigung der deutschen Staatsrechtslehrer ab. Bundeskanzler Konrad Adenauer (CDU) wurde durch das erste Rundfunk-Urteil untersagt, Einfluss auf die Programmgestaltung der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten zu nehmen und die Rundfunkfreiheit zu beschränken.

1961 konnte der Göttinger Staatsrechtslehrer Rudolf Smend mit Fug und Recht zum zehnjährigen Jubiläum des Gerichts konstatieren, dass "das Grundgesetz nunmehr praktisch so [gelte], wie es das BVerfG auslegt". Das BVerfG erkämpfte sich durch diese Entscheidungen gegenüber den anderen Verfassungsorgangen sowie dem Bundesgerichtshof und der deutschen Staatsrechtslehre seinen Rang "nicht nur als Spitze der rechtsprechenden Gewalt und in dieser Eigenschaft als Hüter und Garant der Verfassung, sondern zugleich auch als ein mit höchster Autorität ausgestattetes Verfassungsorgan", welches "politisch wie verfassungsrechtlich dem Bundestag, dem Bundesrat, der Bundesregierung und dem Bundespräsidenten an die Seite gestellt werden muss", wie es in der Status-Denkschrift des Bundesverfassungsrichters Gerhard Leibholz 1952 hieß.

Eigener Etat, eigene Geschäftsordnung und eigene Roben

Sehr zum Ärger des damalige Bundesjustizministers Thomas Dehler, der 1952 in einem Vermerk polterte: "Es geht bestimmten Kräften im Bundesverfassungsgericht darum, dieses Gericht zu einer Überregierung mit gesetzgebender Gewalt auszugestalten. Der Eingangssatz des erwähnten Beschlusses offenbart die vorhandene Hybris [...]. Dieser Geisteshaltung kann nicht schroff genug entgegengetreten werden. Das Bundesverfassungsgericht ist ein Gericht und nichts als ein Gericht. Das Gerede von einem höchsten Verfassungsorgan findet weder im Grundgesetz noch im Bundesverfassungsgerichtsgesetz eine Stütze. Einige Herren des Bundesverfassungsgerichts versuchen, durch diese nebulösen Begriffe dem Bundesverfassungsgericht eine über die Rechtsprechung hinausgehende Gewalt zu verschaffen."

Die Karlsruher Verfassungsrichter setzten sich aber durch. Eine wichtige Forderung der Status-Denkschrift war die Unabhängigkeit des BVerfG vom Bundesjustizministerium. Als selbstständigem Verfassungsorgan – so die Forderung des Gerichts – sollte ihm keine Ressortierung bei einem Ministerium vorgegeben sein; stattdessen verlangten die Verfassungsrichter einen eigenen Etat im Haushaltsgesetz, direkten Zugang zu den anderen Verfassungsorganen sowie die Ernennung der übrigen Beamten und Angestellten durch den Präsidenten des BVerfG und gerade nicht durch den Justizminister. Nach dem siegreichen Autoritätskampf mit der Adenauer-Regierung erhielt das Gericht im Juli 1953 im Haushaltsgesetz für 1953/54 zum ersten Mal einen eigenen Etat.

Das BVerfG konnte sich jetzt auch eine eigene Geschäftsordnung geben. Gemäß § 46 Deutsches Richtergesetz (in Verbindung mit § 76 Bundesbeamtengesetz) gilt für die anderen Bundesrichter, dass der Bundespräsident die Amtstracht per Anordnung regelt. Für den Bundesgerichtshof gilt immer noch der "Allerhöchste Erlass zur Amtstracht der Richter des Reichsgerichts" von 29. Oktober 1879. Nicht so für das BVerfG, welches seine Amtstracht in § 64 BVerfG-GO autonom regelt, was Uwe Wesel zu dem Kommentar veranlasste, dass es sich bei dieser Vorschrift um "Verfassungsrecht à la mode" handele.

Rote Seide, keine Amtskette

Für den Staatsakt zur feierlichen Eröffnung des BVerfG am 28. September 1951 bestimmte der erste BVerfG-Präsident Hermann Höpker-Aschoff, dass die Richter eine Amtstracht tragen sollten, "wie sie auch von den Richtern am Bundesgerichtshof getragen wird". Bei den karmesinroten Bundesrichterroben blieb es in den ersten Jahren. Doch im Zuge der beschriebenen Autoritätskämpfe beschloss das Plenum des Gerichts in einer Sitzung vom 9. Juli 1957 nach einer Diskussion, ob die Richter eine Amtstracht tragen sollten, dass das Gericht den Schnitt der Robe selbst festlegen werde, und die Roben keinerlei Rangabzeichen haben sollten.

Im Folgenden wurden die Bundesverfassungsrichter Erwin Stein, Gerhard Heiland und Julius Federer damit beauftragt, die Frage nach einer neuen Robe weiter zu behandeln. So berichtete Stein in der Plenarsitzung vom 21. November 1960 u. a. davon, dass "über die Amtstrachtenentwürfe [...] die Abstimmung erfolgt" sei. Eine geeignete Gelegenheit zur Einführung einer neuen Amtstracht könne das 10. Jahresjubiläum des Gerichts sein. Bei dieser Abstimmung handelt es sich wohl um das Ergebnis einer bereits Ende 1958, Anfang 1959 unter den BVerfG-Richtern durchgeführten Umfrage, von der Erwin Stein dem damaligen Präsidenten bereits im Januar 1959 berichtet hatte.

Dieser Umfrage haben offensichtlich fünf Entwürfe einer neuen Robe zugrunde gelegen. Ausweislich einer Rechnungsanweisung vom 20. März 1958 dürften zwei dieser drei Entwürfe von der damaligen Kostümbildnerin des hessischen Staatstheaters in Wiesbaden angefertigt worden sein. Von wem die beiden anderen Entwürfe stammten, lässt sich aus den Akten der Verwaltung des BVerfG nicht mehr mit Sicherheit rekonstruieren. Möglicherweise stammten sie von der Kostümabteilung des Badischen Staatstheaters in Karlsruhe, deren Beteiligung allerdings erst aus dem Jahre 1961 aktenkundig ist.

In dieser Plenarsitzung 1957 wurden jedenfalls die genannten Mitglieder des Gerichts beauftragt, einen endgültigen Entwurf vorzulegen. Erst vier Jahre später, in einer Plenarsitzung am 18. Juli 1961 präsentierte Stein ein Modell der neuen Amtstracht (schwerrote Seide mit Jabot). Dieses Modell wurde vom Plenum mit 18 zu zwei Stimmen gebilligt; zugleich wurde mit großer Mehrheit eine Amtskette abgelehnt.

"Dem Volk die repräsentative Stellung bildhaft einprägen"

Nun ging es schneller voran: Mit Schreiben vom 25. Juli 1961 an die Mitglieder des BVerfGs teilte Stein mit, dass er sich gemäß dem ihm vom Plenum erteilten Auftrag um Schneider bemüht habe, die die genehmigte Robe anfertigen sollten. Hierzu hätten sich die Mitglieder der Kostümabteilung des Badischen Staatstheaters in Karlsruhe bereit erklärt, die ihrerseits bereits bei der Anfertigung des Modells mitgewirkt hatten. Dieser Mitteilung Steins ist zu entnehmen, dass sowohl das letztendlich genehmigte Modell als auch die endgültigen Roben von der Kostümabteilung des Badischen Staatstheaters in Karlsruhe gefertigt wurden.

Umstritten ist in der Literatur, ob das Vorbild für die roten Roben – wie etwa der Berliner Rechtshistoriker Uwe Wesel vermutet – die der obersten Richter von Florenz im 15. Jahrhundert waren. Der Mannheimer Verfassungsrechtler Gerd Roellecke geht davon aus, dass die Roben französischen Zuschnitts sind, wie sich aus einem Vergleich mit Rouaults Bild "Die drei Richter" (1936) ergebe. Wobei allerdings auch Roellecke mit Verweis auf die einheitliche europäische Rechtskultur einräumt, dass eine Ähnlichkeit mit den Florentiner Roben nicht ausgeschlossen sei. In der offiziellen Broschüre des BVerfG heißt es dazu, "die Roben, die der traditionellen Richtertracht der Stadt Florenz aus dem 15. Jahrhundert nachempfunden wurden, hat ein Karlsruher Kostümbildner entworfen".

Unbestritten ist, dass sich die Verfassungsrichter die seidenen-schwerroten Roben mit weißen Beffchen und roter Kappe nicht allein anziehen können. Hierbei muss ihnen ein Justizbeamter helfen.

Ohne Zweifel aber symbolisieren die Roben der Bundesverfassungsrichter die Unabhängigkeit dieser Institution als Verfassungsorgan und verdeutlichen damit den herausgehobenen Wert der Verfassung und ihrer Hüter für die politische Kultur der Bundesrepublik Deutschland. So schrieb schon 1952 Gerhard Leibholz in der Status-Denkschrift prophetisch: "Erst wenn es gelingt, dem Volk die repräsentative Stellung des Bundesverfassungsgerichts auch bildhaft einzuprägen, wird das Bundesverfassungsgericht seine zugleich politisch integrierende Funktion innerhalb des Staats- und Volksganzen voll erfüllen können".

Der Autor Dr. Sebastian Felz ist Referent in einem Bundesministerium (Bonn) und Vorstandsmitglied des Vereins Forum Justizgeschichte.

Literatur:

Sebastian Felz: Die Historizität der Autorität oder: Des Verfassungsrichters neue Robe. In: Jahrbuch Junge Rechtsgeschichte 2010, München 2011, S. 109–117.

Felix Lange: Der Dehler-Faktor – Die widerwillige Akzeptanz des Bundesverfassungsgerichts durch die Staatsrechtslehre, in: Der Staat, Band 56 (2017), Heft 1, S. 77–105.

Konstantin Chatziathanasiou, Die Status-Denkschrift des Bundesverfassungsgerichts als informaler Beitrag zur Entstehung der Verfassungsordnung in: Rechtswissenschaft, Jahrgang 11 (2020), Heft 2, S. 145-169.

Zitiervorschlag

Wie die Karlsruher Richter zu ihren Roben kamen: Leuchtend rot . In: Legal Tribune Online, 27.09.2021 , https://www.lto.de/persistent/a_id/46127/ (abgerufen am: 28.03.2024 )

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