Das BVerfG hat klargestellt, wann eine mangelhafte Stellenbesetzung bei Gerichten zu einer Verletzung des Rechts auf den gesetzlichen Richter nach Art. 101 GG führen kann. Der konkrete Fall betraf das LSG in Mecklenburg-Vorpommern.
Immer wieder sind es die Landessozialgerichte, die das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) mit der Frage beschäftigen, ob eine von der Norm abweichende Besetzung der Richterbank zu einer Verletzung des verfassungsrechtlich garantierten Rechts auf den gesetzlichen Richter (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG) führt. 2017 musste sich Karlsruhe mit einem Fall befassen, der das Landessozialgericht (LSG) Berlin-Brandenburg betraf. Ein Richter hatte damals über einen Eilantrag allein statt in regulärer Besetzung entschieden. Diesmal ging es um das LSG in Mecklenburg-Vorpommern (Beschl. v. 10.11.2022, Az. 1 BvR 1623/17).
Mit ihrer Verfassungsbeschwerde hatte sich eine Frau gegen die ursprüngliche Ablehnung von Prozesskostenhilfe für ein sozialgerichtliches Berufungsverfahren durch das LSG gewandt. Der Grund: An der von ihr angegriffenen Entscheidung hatte ein mehrjährig an das LSG abgeordneter Richter am Sozialgericht, also ein Richter der ersten Instanz, mitgewirkt. Die Beschwerdeführerin sah sich daher in ihrem Recht auf den gesetzlichen Richter nach Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG verletzt.
Zwar nahm die 1. Kammer des Ersten Senats des BVerfG im Ergebnis die Beschwerde der Frau u.a. mangels Rechtsschutzbedürfnisses nicht zur Entscheidung an. Schließlich hatte sie zwischenzeitlich durch rechtskräftiges Berufungsurteil mit entsprechender Kostenfolge überwiegend obsiegt und sogar die begehrte Prozesskostenhilfe für den gesamten Berufungsrechtszug erhalten. Allerdings stellte das Gericht in seinem Nichtannahmebeschluss überraschend deutlich klar, wann in Fällen irregulärer Besetzung der Richterbank grundsätzlich eine Verletzung von Art.101 Abs.1 Satz.2 GG anzunehmen ist.
"Unzureichende Ausstattung mit Planstellen"
Wegen der Bedeutung der richterlichen Unabhängigkeit für den Rechtsschutzauftrag der Gerichte und das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Justiz seien die Gerichte grundsätzlich mit hauptamtlich und planmäßig endgültig angestellten Richtern zu besetzen, so das BVerfG. Hätten bei einer Entscheidung ohne zwingende Gründe Richter mitgewirkt, die nicht hauptamtlich und planmäßig endgültig angestellt seien, so sei das Recht auf den gesetzlichen Richter verletzt.
Solche zwingenden Gründe liegen laut BVerfG beispielsweise dann vor, wenn Richter zur Eignungserprobung abgeordnet werden oder wenn vorübergehend ausfallende planmäßige Richter durch die im Geschäftsverteilungsplan bestimmten Vertreter nicht hinreichend ersetzt werden könnten. Auch ein "zeitweilig außergewöhnlicher Arbeitsanfall " sei als zwingender Grund anzuerkennen.
Demgegenüber sei die Verwendung nicht vollständig persönlich unabhängiger Richter nicht gerechtfertigt, wenn die Arbeitslast des Gerichts nicht bewältigt werden könne, weil es unzureichend mit Planstellen ausgestattet sei oder weil die Justizverwaltung es versäumt habe, offene Planstellen binnen angemessener Frist zu besetzen.
BVerfG: Dauerhafte Tätigkeit eines statushöheren Amtes nicht akzeptabel
Weiter müssten die Justizverwaltungen auch die richterliche Unabhängigkeit im Blick haben. Diese würde auch durch eine amtsangemessene Richterbesoldung gewährleistet. "Damit geriete es in Konflikt, wenn Richterinnen und Richter, auch wenn sie bereits auf Lebenszeit ernannt sind, auf Grundlage einer Abordnung auf Dauer die Tätigkeit eines statushöheren Amtes ausübten", so das BVerfG in seiner Pressemitteilung.
Im konkreten Fall, in dem ein Richter der ersten Instanz über mehrere Jahre an die nächste Instanz abgeordnet war, erstatteten die Verfassungsrichter der Frau trotz ihrer erfolglosen Verfassungsbeschwerde die notwendigen Auslagen des Verfahrens.
Denn auch wenn die Frau kein Rechtsschutzbedürfnis dargelegt habe: Der mehrjährige Einsatz des an das LSG abgeordneten Richters beruhe auf einer ungerechtfertigten, "strukturell unzureichenden Planstellenausstattung des Landessozialgerichts". Die Beschwerdeführerin sei deshalb in ihrem Recht auf den gesetzlichen Richter (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG) verletzt.
BVerfG zur Besetzung von Gerichten: . In: Legal Tribune Online, 28.12.2022 , https://www.lto.de/persistent/a_id/50602 (abgerufen am: 04.12.2024 )
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