Das BVerfG soll besser vor extremistischen Kräften geschützt werden, indem seine Arbeitsweise, Struktur und Mechanismen im Grundgesetz verankert werden. Die nötige Zwei-Drittel-Mehrheit dafür fand sich am Donnerstag im Bundestag.
Der Bundestag beschloss mit Stimmen von SPD, Union, Grünen, FDP und Linken, dass zentrale Vorgaben zur Struktur und Arbeitsweise des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) in das Grundgesetz aufgenommen werden sollen. Nun muss noch der Bundesrat dem Gesetzesvorhaben zustimmen. Durch die Reform soll Deutschlands oberstes Gericht besser vor Verfassungsfeinden geschützt werden.
Gegen den Gesetzentwurf stimmten nur die AfD und das BSW. 600 Abgeordnete stimmten laut Bundestagsvizepräsident Wolfgang Kubicki (FDP) für die Reform, 69 Abgeordnete dagegen. Die notwendige Zwei-Drittel-Mehrheit wurde damit erreicht. Stephan Brandner von der AfD kritisierte das Gesetzesvorhaben und sprach von einem "Altparteienkartell".
Bundesinnenministerin Nancy Faeser betonte in der abschließenden Debatte, dass die Reform notwendig sei, um kein Einfallstor für die Feinde der Demokratie offenzulassen, und erinnerte an die gescheiterte Weimarer Demokratie. Dies sei damals ein Scheitern gewesen, "das nicht zuletzt ein Scheitern der Demokratinnen und Demokraten war, weil sie es versäumt haben, die notwendigen Schritte in die Wege zu leiten, um ihre Demokratie zu schützen und zu verteidigen, weil sie ihre Institutionen nicht robust gegen Angriffe aufgestellt haben."
"Auch die stärksten Verfassungsgerichte sind verwundbar"
Das BVerfG wacht über die freiheitliche demokratische Ordnung und die Grundrechte. Der Blick in Länder wie Polen und Ungarn habe allerdings gezeigt, dass auch die stärksten Verfassungsgerichte verwundbar seien, sagte der amtierende Bundesjustizminister Volker Wissing am Donnerstag: "Schnell werden sie zur Zielscheibe der Politik, wenn kritische Richter unliebsame Urteile sprechen."
In Polen wurden von der nationalkonservativen PiS-Regierung, die Polen von 2015 bis 2023 führte, unter anderem Möglichkeiten geschaffen, Richter:innen zu kontrollieren und zu sanktionieren und hierdurch nach Einschätzung von Expert:innen die Gewaltenteilung eingeschränkt. In Ungarn steht Ministerpräsident Viktor Orban unter Verdacht, die Unabhängigkeit der Justiz einzuschränken.
Durch die Reform soll verhindert werden, dass "wie in Osteuropa geschehen, durch Schaffung neuer Senate oder die Herabsetzung der Altersgrenze neue Verfassungsrichterstellen geschaffen werden, die mit Günstlingen besetzt werden können", so Johannes Fechner von der SPD.
Durch die Reform soll unter anderem die zwölfjährige Amtszeit der Richter:innen, der Ausschluss einer Wiederwahl, die Altersgrenze der Richter:innen von 68 Jahren und die Festlegung auf 16 Richter:innen und zwei Senate im Grundgesetz verankert werden. Diese Vorgaben waren bisher im Bundesverfassungsgerichtsgesetz (BVerfGG) geregelt, das aber mit einer einfachen Mehrheit geändert werden kann. Außerdem soll die Geschäftsordnungsautonomie des BVerfG zukünftig im Grundgesetz geregelt sein. LTO berichtete bereits ausführlich hier über die geplanten Änderungen.
Außerdem soll ein Ersatzwahlmechanismus für die Wahl der Richter:innen eingeführt werden, um im Fall einer Sperrminorität dauerhafte Blockaden durch verfassungsfeindliche Parteien zu verhindern. Warum dieser Ersatzwahlmechanismus kritisch gesehen werden kann, erklärte Dr. Christian Rath für LTO. Auch dem entsprechenden Entwurf zur Änderung des BVerfGG stimmte am Donnerstag eine große Mehrheit zu.
Der Vorschlag einiger Verfassungsrechtler:innen, das BVerfGG insgesamt zu einem Zustimmungsgesetz zu machen, findet sich in der Reform allerdings nicht wieder. Dadurch hätte der Bundesrat jeder zukünftigen Reform zustimmen müssen. Zuletzt hatten darauf auch noch Experten in der Bundestagsanhörung zum Gesetz im November hingewiesen. Diese Absicherung forderte etwa auch der ehemalige Bundesverfassungsrichter Johannes Masing in einem Interview mit Die Zeit.
"Gemeinsame Verantwortung über parteipolitische Interessen"
Faeser betonte, als sie für die vorgeschlagene Reform warb, wie wichtig diese sei, "damit Erzfeinde der Demokratie keine Chance haben". "Unser Rechtsstaat darf nicht von innen heraus sabotiert werden können", so Faeser.
Dass sich am Donnerstag eine breite Mehrheit für den besseren Schutz des BVerfG ausgesprochen hat, ist laut Wissing "Ausdruck unserer Verantwortung für die Zukunft unseres demokratischen Rechtsstaats. Diese gemeinsame Verantwortung steht über parteipolitischen Interessen. Das ist ein wichtiges Signal."
Am Freitag beschäftigt sich der Bundesrat mit dem Gesetzesvorhaben, seine Zustimmung ist noch notwendig. Es wird auch im Bundesrat mit einer breiten Mehrheit gerechnet.
mh/LTO-redaktion
Bundestag beschließt Reform: . In: Legal Tribune Online, 19.12.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/56156 (abgerufen am: 18.01.2025 )
Infos zum Zitiervorschlag