Die Eingangszahlen bei den Zivilgerichten sind seit Jahren rückläufig. Dafür hat die Dauer der Verfahren stark zugenommen. Warum ist das so? Das BMJV sucht Forscher, die die seit langem geforderte unmet-legal-needs-Studie durchführen.
Was sind die Ursachen für den seit Jahren zu beobachtenden Rückgang der Eingangszahlen bei den Zivilgerichten erster Instanz? Um der Frage auf den Grund zu gehen, vergibt das Bundesministerium für Justiz und Verbraucherschutz (BMJV) ein entsprechendes Forschungsvorhaben. Das nun veröffentlichte Vergabeverfahren läuft noch bis zum 17. Oktober. Für die Studie selbst ist eine Laufzeit von 24 bis 30 Monaten vorgesehen.
Ausweislich der Justizstatistiken sind die Zahlen der neu eingehenden Verfahren erster Instanz bei Amts- und Landgerichten seit Jahren stark rückläufig. So gingen im Jahr 1997 noch rund 1.67 Millionen neue Verfahren bei den Amtsgerichten ein, bei den Landgerichten waren es rund 422.000. Zwanzig Jahre später, im Jahr 2017, waren es dagegen nur noch etwa 937.000 Verfahren bei den Amtsgerichten und 307.000 bei den Landgerichten. Bei den Amtsgerichten entspricht dies einem Rückgang von rund 44 Prozent, bei den Landgerichten rund 27 Prozent.
Die sinkenden Eingangszahlen führten dabei aber nicht zu kürzeren Verfahren. So lag die durchschnittliche Dauer von erstinstanzlich beim Amtsgericht erledigten Verfahren im Jahr 1997 bei 4,6 Monaten und im Jahr 2017 bei 4,9 Monaten. Besonders eklatant ist der Unterschied bei den Landgerichten: Während die durchschnittliche Verfahrensdauer im Jahr 1997 bei 6,6 Monaten lang, lag sie 2017 bei 10 Monaten.
Niedriger Bedarf oder zu hohe Hürden?
Über die Gründe kann bis jetzt nur spekuliert werden. Grundsätzlich ist das Vertrauen der Bürger in das Justizsystem zwar stabil, wie etwa der Roland Rechtsreport 2019 zeigt. Dennoch könnten die rückläufigen Eingangszahlen auch bedeuten, dass es bestimmte Hürden beim Zugang zum Recht gibt, auf die der Gesetzgeber reagieren müsste.
Laut BMJV sollen im Rahmen der Studie "verschiedene Forschungsmethoden nebeneinander angewandt werden". Dabei sollen verschiedene Akteure befragt werden, insbesondere Rechtsanwälte, Verbraucherschlichtungsstellen, Schiedspersonen, Verbraucherzentralen, Rechtsschutzversicherer, Verbände und Gerichte sowie "die rechtssuchende Bevölkerung" und Unternehmen. Zudem sollen vorhandene Statistiken und repräsentativ ausgewählte Gerichtsakten ausgewertet werden.
Zur Ermittlung der Ursachen hat das BMJV den Forschern einen ausführlichen Fragebogen an die Hand gegeben. So soll geklärt werden, ob sich der Bedarf an gerichtlichen und außergerichtlichen Streitbeilegungsmechanismen generell verringert hat. Die Forscher sollen insbesondere untersuchen, ob und inwieweit die Wirtschaftspraxis, also z.B. das Kulanzverhalten des Einzelhandels, Käuferschutzangebote im Online-Versandhandel oder die Einschaltung von Inkasso-Unternehmen Auswirkungen auf den Rückgang der Eingangszahlen haben. Auch der Einfluss von vertraglichen Konfliktlösungsmechanismen und von Legal-Tech-Angeboten soll untersucht werden.
Wohin wandern Fälle ab?
Die Forscher sollen auch herausfinden, ob und falls ja aus welchen Gründen die Motivation zur Beschreitung des Rechtsweges gesunken ist. Hier will das BMJV wissen, ob etwa das allgemeine wirtschaftliche Umfeld und die Konjunktur Schuld am Klagerückgang hat. Auch Gerichts-, Sachverständigen- und Anwaltskosten sollen berücksichtigt werden. Zudem soll geklärt werden, ob sich die Praxis der Rechtsschutzversicherungen in den letzten Jahren geändert hat.
Des Weiteren soll die Studie herausfinden, ob es einen Zusammenhang zwischen den rückläufigen Eingangszahlen und den ansteigenden Verfahrensdauern gibt und ob die Fälle, die nicht vor die staatliche Justiz gelangen, in andere Bereiche der Streitbeilegung "abwandern".
Das Instrument der sogenannten "unmet-legal-needs"-Studie ist vor allem aus dem anglo-amerikanischen Raum bekannt und soll dazu dienen, Probleme und etwaigen Handlungsbedarf aufzudecken. Der Deutsche Anwaltverein (DAV) und der Deutsche Richterbund (DRB) fordern bereits seit Jahren eine entsprechende Studie. Bereits zur Bundestagswahl 2017 betonten die beiden Berufsverbände, eine unmet-legal-needs-Studie sei eines der wichtigsten justizpolitischen Vorhaben für diese Legislaturperiode. Die sinkenden Eingangszahlen seien ein "Hinweis darauf, dass die staatliche Rechtspflege an Bedeutung verliert".
acr/LTO-Redaktion
BMJV vergibt Studie zu Zivilgerichten: . In: Legal Tribune Online, 17.09.2019 , https://www.lto.de/persistent/a_id/37671 (abgerufen am: 08.10.2024 )
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