Die Koalitionsverhandlungen laufen, über Ministerposten soll zuletzt entschieden werden – heißt es. Dabei kursieren schon eine ganze Reihe Namen, von denen viele einen innenpolitischen Fokus versprechen.
Wenn Medien derzeit spekulieren, wer unter Friedrich Merz welches Ministerium besetzen könnte, dann kommt es vor, dass ein Ministerium gar nicht erwähnt wird: das Bundesjustizministerium. Für Juristinnen und Juristen ist das natürlich eine schmerzhafte Kränkung.
Doch selbst wenn gerade die großen milliardenschweren politischen Themen Verteidigung und Infrastruktur heißen und andere Ressorts gerade im Fokus stehen, steht auch die Rechtspolitik im Geschäftsbereich des Bundesjustizministeriums vor wichtigen Zukunftsaufgaben. Wie lässt sich die Justiz digitalisieren, wie der Einsatz von Künstlicher Intelligenz in der Rechtswelt organisieren? Wie verändern sich Justiz und Anwaltschaft angesichts sinkender Eingangszahlen bei Gerichten und Nachwuchssorgen? Wie geht man um mit den Gefahren für Demokratie und Rechtsstaat und mit gewaltsamen Konflikten auf der Welt , deren Auswirkungen auch völker(straf)rechtlich ganz konkret bei uns ankommen?
Wie wichtig ihr die Themen Sicherheit und Migration sind, das hatte Merz' Union vor der Wahl deutlich gemacht. Die Zuständigkeit für die konkreten rechtspolitischen Schritte liegt bei den Ministerien Innen und Justiz. Überhaupt haben die beiden "Verfassungsressorts" bei den großen Rechtssetzungsvorhaben immer dann einen Platz am Tisch, wenn es verfassungsrechtlich zur Sache geht.
Nicht zuletzt: Wenn bei den großen Herausforderungen von Sicherheit und Migration auch der europäische Rechtsrahmen reformiert werden wird, dann kommt dabei dem EU-Ministerrat "Justiz und Inneres" große Bedeutung zu. Dort kommen wiederum die Innen- und Justizminister aus den europäischen Staaten zusammen. Innen und Justiz werden in der nächsten Legislatur damit wichtige Schlüsselressorts sein.
Diese Namen kursieren bei der Union
Umso spannender wird, wer künftig das Bundesjustizministerium (BMJ) führen soll. Das steht bislang nicht fest. Über Namen für Ministerposten wird, so betonen es die Beteiligten gerne, bei den Koalitionsverhandlungen erst ganz am Ende entschieden. Gesprochen aber wird schon über sie.
Ein Name, der bereits recht früh kursierte, ist Felor Badenberg. Die im Iran geborene Juristin ist derzeit Justizsenatorin im Land Berlin. Sie war als Verwaltungsjuristin mehr als 15 Jahre beim Bundesamt für Verfassungsschutz tätig, hat dort Karriere gemacht. Sie leitete die Abteilung Rechtsextremismus, in ihre Zeit fällt ein umfangreiches rechtliches Gutachten zur AfD, einem Parteiverbot steht sie dagegen skeptisch gegenüber. Zuletzt stieg sie zur Vizepräsidentin der Behörde auf. Die Berliner CDU machte die damals noch parteilose Badenberg im Sommer 2023 zur Justizsenatorin in der Hauptstadt. Die schlug als Senatorin einen harten Kurs ein gegen Klimaaktivisten von der "Letzten Generation", positionierte sich deutlich gegen Israelfeindlichkeit und zum Schutz vor Antisemitismus. Seit Frühjahr 2024 ist sie CDU-Mitglied. Möglich, dass es für die Durchstarterin noch etwas zu früh für einen Posten ganz an der Spitze eines Bundesministeriums sein könnte.
Derzeit verhandeln die Delegationen von SPD und CDU/CSU einen neuen Koalitionsvertrag. Die Verhandlungen in der Arbeitsgruppe "Innen, Recht, Migration und Integration" leitet für die Union Günter Krings, ein angesehener Rechtspolitiker, er gilt als bestens vernetzt. Der Jurist, geboren in der Nähe von Mönchengladbach, war Parlamentarischer Staatssekretär im BMI und ist seit 2021 rechtspolitischer Sprecher der CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag. Nicht nur einmal wurde er als CDU-Kandidat für das Bundesverfassungsgericht gesehen. Er hätte für die Union auf jeden Fall das Format für einen Ministerposten. Inhaltlich setzt er sich für einen neuen Pakt für den Rechtsstaat ein, will deutlich mehr Personal für die Justiz- und Sicherheitsbehörden.
Für die CSU führt Andrea Lindholz die Verhandlungen in der wichtigen Arbeitsgruppe. Die Juristin und Rechtsanwältin aus Aschaffenburg hat ebenfalls ein innenpolitisches Profil. Als Bundestagsabgeordnete war sie Vorsitzende des Innenausschusses sowie stellvertretendes Mitglied des Rechtsausschusses, sitzt auch im für die Geheimdienstkontrolle zuständigen Parlamentarischen Kontrollgremium. Die CSU wird mit Landesgruppenchef Alexander Dobrindt, Söders Kandidaten für das Landwirtschaftsministerium, und wahrscheinlich Dorothee Bär für das Digitalministerium allerdings auch andere Ressorts beanspruchen. Nach Informationen von Table Media soll sie Vizepräsidentin des Bundestags werden.
Für die CDU verhandelt in der Koalitionsarbeitsgruppe auch Roman Poseck mit, sein Name auf der Liste muss auch Interessierten aus der Justiz auffallen. Poseck war bis 2022 Präsident des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main sowie des hessischen Staatsgerichtshofs, dann bis 2024 Justizminister. Aktuell ist er Innenminister in Hessen.
Wen könnte die SPD schicken?
Bemerkenswert ist, dass so viele Unionsnamen kursieren. Denn eigentlich spricht einiges dafür, dass das BMJ an die SPD geht. Es sei denn, die Union würde auf das für ihre Themen Sicherheit und Migration wichtige Innenministerium verzichten. Abgesehen von kürzeren Ausnahmen in den 1950er- und 1960er-Jahren hatte die Union bei Regierungsbeteiligung nicht beide Verfassungsministerien, also Innen und Justiz, zugleich besetzt.
Auf der SPD-Seite ist es derzeit ziemlich ruhig um mögliche Kandidaten für das BMJ. Die Verhandlungen in der Koalitionsarbeitsgruppe leitet Dirk Wiese, Jurist aus dem Sauerland. Er ist unter anderem stellvertretendes Mitglied im Innen- und Rechtsausschuss, arbeitet vor allem zu innenpolitischen Themen und Verfassungsrecht.
Geht die Tendenz in Richtung Innenpolitisierung der Rechtspolitik, wäre es alles andere als überraschend, wenn die bisherige Bundesinnenministerin Nancy Faeser ins BMJ wechseln würde. Die Juristin aus dem Taunus war Rechtsanwältin in Frankfurt am Main u.a. bei den Kanzleien Clifford Chance und Görg. Als erste Frau wurde sie 2021 Bundesinnenministerin. Zwischenzeitlich war sie SPD-Spitzenkandidatin bei der Landtagswahl 2023 in Hessen, die Wahl brachte für die SPD Verluste.
In der Ampel-Legislatur traf Faeser mit ihren innenpolitischen Vorhaben immer wieder auf den Widerstand des FDP-Justizministers Marco Buschmann, etwa bei der Neuauflage der Vorratsdatenspeicherung – ein Instrument, das auch die Union fordert. Faeser sprach sich auch für den Einsatz von Gesichtserkennungssoftware aus, um Straftäter zu ermitteln. Mit ihrem Verbot des rechtsextremen Compact-Magazins löste sie Diskussionen aus, das BVerwG hob das Verbot in einem Eilverfahren vorläufig auf. Sollte Faeser wieder Ministerin werden, dürfte sie es mit der Hauptsacheentscheidung zu tun bekommen, dann als Justizministerin.
Gibt es vielleicht sogar noch ein Überraschungs-Comeback von Ex-Bundesjustizministerin und nun EU-Abgeordnete Katarina Barley aus Brüssel? Das wäre wohl eher wirklich eine Überraschung. Regelrecht komisch kommt es einem vor, wenn Medienberichte in ihren Klickstrecken zu denkbaren Ministerposten den aktuellen Verteidigungsminister Boris Pistorius eigentlich für alle Ressorts ins Spiel bringen, inklusive BMJ, denn immerhin ist Pistorius auch noch Jurist.
Innenpolitisierung und neuer Zuschnitt beim BMJ?
Alle Namen, die bisher im Gespräch sind, deuten vor allem auf eine Innenpolitisierung der Rechts- und Justizpolitik hin. Das dürfte bedeuten, dass weitergehende, auch digitale Ermittlungsbefugnisse und Instrumente, mehr Personal bei Polizei und Justiz, Vernetzung von Behördendatenbanken, eine strengere Linie bei Grenzkontrollen und Abschiebungen auf dem Programm stehen werden.
Was es für die rechtspolitischen Themen im engeren Sinn, also etwa für die Anwaltschaft bedeutet, bleibt abzuwarten. Die Programme von CDU/CSU und SPD waren dazu eher zurückhaltend. Die SPD hatte in ihrem Wahlprogramm vorgestellt, sie wolle die "Strafprozessordnung auf Effektivität reformieren".
Was eine neue Ministerin oder einen neuen Minister im BMJ erwartet, deutet sich schon an: Ein Plan für einen Neuzuschnitt des BMJ ist bereits bekannt geworden. So plant die Union, den für den Bürokratieabbau zuständigen Normenkontrollrat vom BMJ abzuziehen und beim Kanzleramt anzusiedeln. Der soll sozusagen zur Chefsache werden. Das BMJ würde damit die Zuständigkeit für ein Zukunftsthema verlieren.
Merz-Kabinett: . In: Legal Tribune Online, 20.03.2025 , https://www.lto.de/persistent/a_id/56835 (abgerufen am: 22.04.2025 )
Infos zum Zitiervorschlag