GenStA Berlin schaltet sich ein: Staats­an­walt bei Ermitt­lungen zu rechts­ex­t­remer Anschlag­serie befangen?

von Dr. Markus Sehl

06.08.2020

Eine Anwältin ist in Akten auf eine brisante Aussage gestoßen, die Generalstaatsanwaltschaft zieht alle Ermittlungsverfahren zu einer rechtsextremen Anschlagserie in Berlin-Neukölln an sich. Lief in der Berliner Justiz jahrelang etwas schief? 

Eigentlich sollte in den nächsten Wochen der Abschlussbericht der Berliner Ermittlergruppe "Fokus" vorgestellt werden. Ein 30-köpfiges Team sollte eine rechtsextreme Anschlagserie und die Ermittlungen dazu noch einmal untersuchen. Es geht um mehr als 70 Straftaten in den Jahren 2016 und 2017, darunter Brandstiftungen an Autos und Drohungen an Häuserwänden. Die Taten richteten sich gegen Menschen, die sich im Berliner Stadtteil Neukölln gegen Rechtsextremismus engagieren.  

Nun, kurz vor dem geplanten Veröffentlichungstermin, bringt ein Verdacht neue Unruhe in die Ermittlungen: Am Mittwoch teilte die Berliner Generalstaatsanwaltschaft (GenStA) mit, dass sie sämtliche Ermittlungsverfahren zu der Anschlagserie von nun an selbst übernimmt. Sie entzieht der eigentlich zuständigen Staatsschutzabteilung der Berliner Staatsanwaltschaft alle Fälle aus dem Neukölln-Komplex. Der GenStA scheint es möglich, dass ein mit der Sache betrauter leitender Staatsanwalt befangen ist. 

Was hat ein leitender Staatsanwalt einem Beschuldigten gesagt? 

Nach Recherchen von LTO ist der Verdacht bei der Durchsicht eines Protokolls aus einer Telekommunikationsüberwachung aus dem März 2017 entdeckt worden, es soll sich um einen Chatverlauf handeln.  

In einem Auswertebericht des Berliner Landeskriminalamtes (LKA) aus dem September 2019 zu der Überwachung soll eine kurze Passage aufgefallen sein. Sie soll nahe legen, dass der Leiter der Staatsschutzabteilung der Staatsanwaltschaft einem Beschuldigten in dem Neukölln-Verfahren signalisierte, er habe nichts zu befürchten, der Staatsanwalt stehe auf seiner Seite. Das wurde LTO aus Kreisen der Justiz bestätigt.  

Die Nachprüfungen erst in Gang gesetzt hat die Rechtsanwältin Franziska Nedelmann. Sie hatte am 10. Juli 2020 eine Beschwerde an die GenStA geschickt.  

Nedelmann forderte die zu dem Auswertebericht gehörenden Originalprotokolle der Überwachung an. Sie ist die Anwältin des Linken-Politikers Ferat Kocak und hat in einem separaten Verfahren ein Akteneinsichtsrecht. Auf das Auto des Neuköllner Politikers wurde im Februar 2018 ein Brandanschlag verübt. Beim Lesen der Akten fiel ihr die Passage in dem Auswertebericht auf. 

Anwältin: "Skandalös und gefährdet den Rechtsstaat" 

Die angeforderten Akten wurden Nedelmann aber verweigert. Deshalb legte sie Fachaufsichtsbeschwerde ein und wandte sich an die nächsthöhere Behörde. "Die Generalstaatsanwaltschaft hat meiner Beschwerde daraufhin vollumfänglich stattgegeben", sagte Nedelmann zu LTO. Sie erwarte, dass sie in den nächsten Wochen die Akten mit den Protokollen erhält.

"Es ist skandalös und gefährdet den Rechtsstaat erheblich, dass niemand bei der Staatsanwaltschaft den Verdacht weiter nach oben gegeben hat, dass ein Vorgesetzter möglicherweise in das Ermittlungsverfahren verwickelt war", sagte Nedelmann. "Und auch bei der Polizei wurde dieser Verdacht nicht weiter thematisiert, geschweige denn an übergeordnete Stellen weitergegeben."

Die bisher angestellten Ermittlungen sollen nun von der GenStA noch einmal überprüft werden. Zwei der bisher mit den Ermittlungen beschäftigten Staatsanwälte werden in andere Abteilungen versetzt, wie die GenStA bereits am Mittwoch mitteilte. Nach Informationen des Tagesspiegel soll es sich dabei neben dem leitenden Staatsanwalt auch um den Staatsanwalt handeln, der die Neuköllner Ermittlungen unmittelbar geführt hat. 

Zwei "frische" Staatsanwälte übernehmen die Überprüfung für die GenStA 

Wie die Senatsverwaltung für Justiz gegenüber LTO am Donnerstag mitteilte, werden zwei Staatsanwälte aus der Staatsanwaltschaft nun der GenStA zugeordnet – sie sollen die Überprüfungen in die Hand nehmen. Es handele sich um zwei Beamte, die in der Abteilung für Terrorismusverfahren arbeiten. Sie hätten mit den beiden versetzten Staatsanwälten bei ihrer bisherigen Arbeit nichts zu tun gehabt.

"Ich finde es richtig, dass die Generalstaatsanwältin konsequent und schnell reagiert hat. Es darf keinen Zweifel daran geben, dass die Strafverfolgungsbehörden rechtsextreme Straftaten verfolgen", sagte der Berliner Justizsenator Dirk Behrendt (Grüne). "Bei den Ermittlungen zur Anschlagserie in Neukölln gab es inzwischen zu viele Anlässe, die Zweifel nähren. Das besorgt mich."  

Die Berliner Staatsanwaltschaft selbst reagierte bis zum Erscheinen dieses Beitrags nicht auf eine LTO-Presseanfrage.

"Der Vorwurf, der im Raum steht, dass wir nicht neutral ermitteln, ist sehr schwerwiegend", begründete die Chefin der Berliner GenStA Margarete Koppers in der RBB-Abendschau am Mittwoch die Übernahme der Ermittlungen. Sie wolle solchem Anschein entgegen wirken.  

Es liege "ein Schatten auf den Ermittlungen", so Koppers, "der die Betroffenen zu Recht misstrauisch macht". Bewiesen sei der Vorwurf der Befangenheit allerdings nicht, betonte Koppers. Sie habe bisher keine Hinweise, dass "etwas nicht sauber gelaufen ist". 

Die GenStA-Chefin äußerte Verständnis für den Ärger, der angesichts der Ergebnislosigkeit der Ermittlungen vor allem von Betroffenen geäußert wird. "Wir ermitteln schon sehr lange und wir haben einfach keinen Erfolg und das macht natürlich misstrauisch, auch vor dem Hintergrund, dass ja Pannen passiert sind."

Der Republikanische Anwältinnen- und Anwälteverein (RAV) teilte auf Twitter mit: "Die Brisanz der Ereignisse liegt auf der Hand. Alle Berliner Ermittlungsverfahren gegen rechtsradikale Tatverdächtige wurden unter der Leitung des StA F. geführt." Der RAV forderte lückenlose Aufklärung.

Braucht es einen Untersuchungsausschuss? 

Niklas Schrader, innenpolitischer Sprecher der Fraktion Die Linke im Berliner Abgeordnetenhaus, will an der Forderung nach einem Untersuchungsausschuss festhalten. Auch wenn die Zeit dafür knapp wird, um eine umfassende Aufklärung zu erreichen: Im September 2021 endet die Legislaturperiode in Berlin. Er könnte sich aber vorstellen, dass zunächst ein Sonderermittler eingesetzt wird und ein Untersuchungsausschuss in der nächsten Legislaturperiode die Fäden wieder aufnimmt. 

"Es ist das vornehmste Recht des Parlaments, Untersuchungsausschüsse einzusetzen", sagte Behrendt am Donnerstag. "Wir würden selbstverständlich von Seiten der Justiz die Arbeit des Ausschusses mit Akten und Informationen unterstützen." 

Auch die FDP auf Bundesebene hat sich inzwischen besorgt gezeigt. Wenn die GenStA Ermittlungen an sich zieht, sei das ein "deutliches Signal", sagte der Vizevorsitzende der FDP-Bundestagsfraktion, Stephan Thomae, am Donnerstag in Berlin.

"Gerichte und Staatsanwaltschaften verfügen über große Macht, in die Freiheit des Einzelnen einzugreifen. Sie müssen daher über jeden Zweifel erhaben sein", betonte der FDP-Rechtspolitiker.

Ob der Abschlussbericht zu der Anschlagserie in Neukölln nun wie geplant in nächster Zeit vorgestellt wird oder nicht, ließ sich am Donnerstag nicht in Erfahrung bringen. 

Zitiervorschlag

GenStA Berlin schaltet sich ein: . In: Legal Tribune Online, 06.08.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/42431 (abgerufen am: 06.10.2024 )

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