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43707

BVerfG erklärt seine Presse-Praxis für rechtmäßig: Tages­spiegel-Kor­res­pon­dent bekommt keine Vorab-Infor­ma­tionen

von Pia Lorenz

10.12.2020

Journalistin mit Notizblock und Smartphone vor ihrem Laptop

© New Africa - stock.adobe.com

Das BVerfG informiert ausgewählte, im Verein "Justizpressekonferenz" organisierte Journalistinnen und Journalisten vor der Verkündung über seine Urteile. Diese Ungleichbehandlung sei sachlich gerechtfertigt, beschied das BVerfG jetzt.

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Der rechtspolitische Korrespondent des Berliner Tagesspiegel bekommt keinen Zugang zu den Vorab-Informationen, die das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) am Vortag wichtiger Entscheidungen Mitgliedern des Vereins "Justizpressekonferenz" (JPK) zur Verfügung stellt. Das hat das BVerfG, wie jetzt bekannt wurde, schon am 23. Oktober beschieden (Az. 1274-691/20).

Der Antrag von Dr. Jost Müller-Neuhof, auch ihm die Pressemitteilungen des BVerfG schon am Vortag per Post, Mail oder telefonisch zukommen zu lassen, sei unbegründet, so das höchste deutsche Gericht. Müller-Neuhof sei weder Vollmitglied der JPK noch erfülle er eine der Voraussetzungen, um aus anderen Gründen ausnahmsweise zum Vorab-Bezug berechtigt zu sein, heißt es in dem Bescheid, der LTO vorliegt. Die internen Richtlinien des BVerfG für die Bekanntgabe von Pressemitteilungen verletzten auch kein höherrangiges Recht, insbesondere nicht das Recht auf Gleichbehandlung im publizistischen Wettbewerb (Art. 3 Abs. 1 i.V.m. Art. 5 Abs. 1 S. 2 Grundgesetz, GG).  

Vielmehr erfülle das BVerfG seinen Informationsauftrag gegenüber der Öffentlichkeit, indem es auf eine zutreffende und vollständige Information hinwirke, ohne hierbei in die Presse- und Rundfunkfreiheit einzugreifen. Die Vorabinformationen ermöglichten es den ausgewählten Medienvertreterinnen und -vertretern, "sich bereits vor Beginn ihrer Berichterstattung über den Inhalt der Entscheidungen zu informieren, um so die Entscheidungen des Gerichts im Rahmen der Berichterstattung besser inhaltlich zu erfassen und in ihren Kontext, insbesondere auch in die bestehenden Rechtsprechungslinien einzuordnen", heißt es in dem Bescheid aus Karlsruhe.

So informiert das BVerfG die Medien

Bei wichtigen Urteilsverkündungen nach einer mündlichen Verhandlung versendet die Pressestelle des BVerfG nach der Verkündung des Tenors, regelmäßig um ca. 10 Uhr morgens, eine Pressemitteilung an Medienvertretende und veröffentlicht diese auf seiner Webseite. Ergeht eine Entscheidung per Beschluss, versendet das BVerfG seine Pressemitteilung um 9:30 Uhr und stellt sie ins Netz. An die Parteien wird der Beschluss am Vortag per Post sowie morgens um 9 Uhr per Fax versandt.

Ein ausgewählter Kreis von Journalistinnen und Journalisten erhält die Informationen vom höchsten deutschen Gericht schon früher. Bei Urteilsverkündungen nach einer öffentlichen Verhandlung können die sog. Vollmitglieder der JPK sich die Pressemitteilung am Vorabend der Verkündung ab 20 Uhr persönlich beim BVerfG abholen. Bei Beschlüssen, die das BVerfG nur schriftlich verkündet, bekommen die Karlsruher Journalisten am Tag zuvor Bescheid, dass es eine Entscheidung geben wird, die Pressemitteilung erhalten sie dann ab 8:30 Uhr am Morgen.

In beiden Fällen müssen sie erklären, die sog. Sperrfrist zu beachten, d.h. nichts zu veröffentlichen, bis im Urteilsfall der Tenor verlesen, im Beschlussfall 9.30 Uhr vorüber ist. Ein Sperrfristvermerk auf den vorab ausgeteilten Pressemitteilungen verbietet es den Journalistinnen und Journalisten der JPK, die Pressemitteilung und ihren Inhalt vor Ablauf der Sperrfrist an irgendwen weiterzugeben.

Gegen diese Praxis, festgehalten in internen Richtlinien des BVerfG, wandte sich der rechtspolitische Korrespondent des Tagesspiegel. Er möchte der JPK nicht beitreten (müssen), um zum selben Zeitpunkt wie deren Vollmitglieder vorab über die Entscheidungen des BVerfG informiert zu werden.

Die Justizpressekonferenz

Die JPK ist ein Zusammenschluss von Rechtsjournalistinnen und -journalisten in Karlsruhe, die ständig über die Rechtsprechung der Bundesgerichte sowie über Rechts- und Justizpolitik berichten.

Es gibt zwei Arten von Mitgliedern. Vollmitglieder können laut Satzung nur die "ständig bei den Karlsruher Gerichten tätigen Korrespondenten und Redakteure" werden. Nach der bisherigen Praxis sind das vor allem Journalisten, die in Karlsruhe ansässig sind sowie neun Journalistinnen und Journalisten, die ihren Sitz nicht dort haben. Im Regelfall sind Rechtsjournalistinnen und -journalisten ohne Büro in Karlsruhe nur sog. Gastmitglieder der JPK, die - wie alle anderen Medienvertretenden auch - keinen Zugang zu den Vorab-Informationen des BVerfG haben.

Vor kurzem hat die JPK ihre Satzung dahingehend geändert, dass - auch ohne festes Büro in Karlsruhe - Vollmitglied werden kann, wer regelmäßig bei Verhandlungen, Urteilsverkündungen und Veranstaltungen der JPK präsent ist. Die Satzungsänderung war bei der Entscheidung über den Antrag von Müller-Neuhof noch nicht in Kraft getreten, hätte aber, da dieser ständig in Berlin und nicht bei den Karlsruher Gerichten tätig sei, nichts geändert, so das BVerfG in seinem Bescheid.

"Überschaubarer Kreis besonders fachkundiger und vertrauenswürdiger Journalisten"

Vielmehr sei Müller-Neuhof weder Vollmitglied der JPK noch könne er in den sonst laut den Richtlinien berechtigten Personenkreis aufgenommen werden. Zwar stehe die Vorab-Informationen nur eines "überschaubaren Kreis(es) besonders fachkundiger und vertrauenswürdiger Journalisten" in einem Spannungsverhältnis zum Recht des Journalisten auf Gleichbehandlung im publizistischen Wettbewerb, schreibt das BVerfG.

Wenn der Staat Presse fördert, ist der Schutzbereich der Pressefreiheit berührt. Nur bestimmte Journalistinnen und Journalisten vorab zu informieren, knüpfe aber, so das BVerfG, nicht an den Inhalt und die Gestaltung einzelner Presseerzeugnisse an und verzerre auch den publizistischen Wettbewerb insgesamt nicht. Das BVerfG verhalte sich also inhaltlich neutral in dem Sinne, dass es nicht nach Meinungsinhalten differenziere.

Vielmehr erfülle das BVerfG so seinen Informationsauftrag als Verfassungsorgan. Vorab informierte Journalistinnen und Journalisten könnten sich auf die Berichterstattung vorbereiten. Die komplexen Entscheidungen des höchsten deutschen Gerichts zutreffend zu erfassen, um so die Öffentlichkeit zutreffend und vollständig zu informieren, das könne "allein durch die ad-hoc-Kenntnisnahme der verkündeten Entscheidung nicht geleistet" werden, heißt es zur Rechtfertigung der Ungleichbehandlung in dem Bescheid.

Einhaltung von Sperrfristen: "Vielfältige Berührungspunkte" zwischen JPK und BVerfG

Das BVerfG erklärt seine Regeln auch deshalb für mit dem Gleichbehandlungsgrundsatz aus Art. 3 GG vereinbar, weil sie sicherstellten, dass diese ausgewählten Journalisten die Sperrfrist einhalten, also nicht vor der Urteils- und Beschlussverkündung mit den Informationen an die Öffentlichkeit gehen. Die Zuverlässigkeit von Medienvertretenden im Einzelfall zu überprüfen, sei "weder erfolgversprechend noch praktikabel".

Die Vollmitglieder der JPK als Journalistinnen und Journalisten, die ständig über die Entscheidungen des BVerfG berichten, hätten aber "typischerweise keinen Anreiz, sich durch Nichteinhaltung der Sperrfrist einen einmaligen Wettbewerbsvorteil zu verschaffen". Zudem bekenne sich die JPK zur Verbindlichkeit von Sperrfristen, während es diese Selbstverpflichtung im Pressekodex seit dem Jahr 2007 nicht mehr gebe. Trotz der inhaltlichen und organisatorischen Unabhängigkeit der JPK bestünden schließlich "vielfältige Berührungspunkte mit dem Gericht", so das BVerfG. Solange der Verein grundsätzlich jedem Medienvertretenden diskriminierungsfrei Zugang gewähre, der seine Anforderungen erfülle, und seine Mitglieder sanktionsbewehrt auf die Einhaltung von Sperrfristen verpflichte, erscheine es sachgerecht, für die Vorab-Informationen auf das Kriterium der Vollmitgliedschaft abzustellen.

Der Bescheid ist rechtskräftig. Rechtskorrespondent Müller-Neuhof hat keine Klage beim Verwaltungsgericht eingereicht. Er setzt nach eigenen Angaben darauf, dass die Praxis der Vorab-Informationen durch das BVerfG "sich auch ohne Rechtsstreit zugunsten der Pressefreiheit klärt". 

*Transparenzhinweis: Mehrere Redakteurinnen und Redakteure von LTO sind Gastmitglieder der JPK.

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BVerfG erklärt seine Presse-Praxis für rechtmäßig: . In: Legal Tribune Online, 10.12.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/43707 (abgerufen am: 15.06.2025 )

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