Es brauchte zwei Runden, um eine Nachfolgerin für Angelika Nußberger zu finden. Am Ende fiel die Wahl klar für die Heidelberger Völkerrechtlerin Anja Seibert-Fohr aus. Sie kennt sich mit Menschenrechten aus und hat internationale Erfahrung.
Ihre Wahl zur Richterin am Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) zu verfolgen, dafür hatte Anja Seibert-Fohr gar keine Zeit. Während des ersten Wahlgangs am Mittwoch war sie auf Fakultätsausflug, während der zweiten Runde am Donnerstag mit Vorlesungen und Terminen beschäftigt. Von ihrer Wahl erfuhr sie abends per Telefon. Mit Seibert-Fohr kommt eine versierte Menschenrechtlerin an den Straßburger Gerichtshof. Sie kommt - wie ihre Vorgängerin Angelika Nußberger - aus der Wissenschaft. Und sie ist - nach drei Männern in den Anfangsjahren des Gerichtshof - nun die dritte Frau in Folge auf dem Posten.
Die derzeitige deutsche Richterin, Angelika Nußberger, scheidet Ende 2019 nach neun Jahren regulär aus dem Amt. Die Parlamentarische Versammlung des Europarats musste sich also um die Nachfolge kümmern. In dem Gremium versammeln sich Abgeordnete aus allen 47 Mitgliedstaaten des Europarats vier Mal im Jahr in Straßburg. Die Wahl der EGMR-Richter ist eine ihrer wichtigsten Aufgaben.
Gewählt wird aus einer Liste von drei Kandidaten, die der jeweilige Mitgliedstaat vorschlägt. Anfang Juni rief das Bundesjustizministerium geeignete Bewerber dazu auf, sich um einen Platz auf dieser Liste zu bewerben. 24 Personen kamen dem Aufruf nach. Darunter Anja Seibert-Fohr von der Universität Heidelberg, die Karlsruher Bundesrichterin Christiane Schmaltz und der Gießener Völkerrechtler Thilo Marauhn - diese drei Kandidaten schafften es auf die Short-List, die die Bundesregierung der Parlamentarischen Versammlung für die Wahl vorschlug.
"Ich beschäftige mich seit 30 Jahren mit Menschenrechten", sagt Seibert-Fohr, die seit 2016 am Institut für Staatsrecht, Verfassungslehre und Rechtsphilosophie arbeitet. Als Richterin am EGMR arbeiten zu können, sei da natürlich "der Traum", "weil man dort täglich mit Menschenrechten zu tun hat und etwas bewirken kann". Auf die Ausschreibung der Bundesregierung mussten sie dennoch Kollegen aufmerksam machen. "Ich hatte die noch gar nicht gesehen." Von Seiten der Bundesregierung habe ihr niemand die Bewerbung angetragen.
"Ich bin Juristin durch und durch"
Die Richter-Wahl ist bis zum Ende relativ offen. Anders als bei der Wahl der Bundesverfassungsrichter gibt es in der Regel kaum politische Absprachen im Vorfeld. Seibert-Fohr ist in keiner Partei. "Ich bin nicht politisch gebunden. Ich bin Juristin durch und durch."
Mit den Abgeordneten der Parlamentarischen Versammlung habe sie vorab wenig Kontakt gehabt. Ein Treffen mit der deutschen Delegation in Berlin. Eine halbe Stunde. Nicht länger, aber inhaltlicher fordernder sei das Interview mit dem Richterwahlausschuss der Parlamentarischen Versammlung in Paris gewesen. "Das war fast ein bisschen wie beim Staatsexamen." Abgefragt worden sei die neuere Entwicklung der Rechtsprechung des EGMR. Außerdem sei die Frage aufgekommen, wie sie denn damit umgehen wolle, dass beim EGMR 47 Mitgliedstaaten unten einen Hut zu bringen seien. "Das war einfach zu beantworten. Bei den UN waren es 172 Staaten." Fünf Jahre lang saß die Heidelberger Völkerrechtlerin im Menschenrechtsausschuss der Vereinten Nationen. Ein Gremium, das sich dreimal im Jahr in Genf trifft und Individualbeschwerden prüft. Ein Job nicht unähnlich dem einer Richterin am Menschenrechtsgerichtshof in Straßburg.
Seibert-Fohr spricht nicht nur Englisch und Französisch, sondern auch etwas Spanisch und Italienisch. Die Zusicherung, die von jedem Kandidaten gefordert wird – "Ich werde vor Beginn meiner Tätigkeit in Straßburg meine Fremdsprachenkenntnisse aufbessern" - braucht es von ihr nicht. Dem Richterwahlausschuss hat sie sich auf Englisch und auf Französisch vorgestellt.
"Ich habe den Menschenrechten immer die Stange gehalten"
Aus ihrer Bewerbung liest man heraus, sie will den Job. Seibert-Fohr begnügt sich nicht damit ihre Qualifikationen stichpunktartig aufzulisten. Sie macht klar, sie hält sich für die richtige Wahl. Sie ist sich auch nicht zu schade dafür, explizit darauf hinzuweisen, dass der EGMR sie bereits zitiert hat.
Es braucht zwei Wahlgänge bis die neue deutsche Richterin feststeht. In der ersten Runde hatte keiner der drei Kandidatinnen und Kandidaten eine absolute Mehrheit bekommen. Im zweiten Wahlgang reicht eine qualifizierte Mehrheit aus - und die fällt am Donnerstagabend klar für Seibert-Fohr aus. In der ersten Runde hatte sie noch etwas weniger Stimmen bekommen als Bundesrichterin Christiane Schmaltz .
Ihre Wahl sei für sie "ein wunderbarer Erfolg". "Ich habe als Wissenschaftlerin angefangen, in Zeiten als Menschenrechte gar nicht so gefragt waren. Die Kollegen haben sich eher mit der WTO und dem internationalen Strafrecht beschäftigt, aber ich habe den Menschenrechten die Stange gehalten."
Was sie als Richterin erreichen wolle? "Ich möchte möglichst gut und überzeugend Recht sprechen."
Amtsantritt in einer für den EGMR schwierigen Zeit
Die Juristin tritt ihr Amt in einer schwierigen Zeit an. Immer wieder sieht sich der Gerichtshof Angriffen auf seine Daseinsberechtigung ausgesetzt. Moskau behält sich seit einigen Jahren vor, Straßburger Urteile durch das russische Verfassungsgericht überprüfen zu lassen. In der Türkei erklärt Staatspräsident Reep Tayyip Erdogan, sich nicht an die EGMR-Entscheidungen gebunden zu fühlen. Und gegenüber Aserbaidschan wurde dieses Jahr das erste Mal ein Verfahren nach Art. 47 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) geführt. Dabei geht es um die Nicht-Umsetzung von Urteilen. Am Ende könnte ein Ausschluss des Landes aus dem Europarat stehen.
Seibert-Fohr schreckt das alles nicht ab. "Es gab immer wieder Phasen, in denen der EGMR von unterschiedlichen Seiten angegriffen worden ist." Solche Anfeindungen habe sie auch bei den Vereinten Nationen erlebt. Das zeige aber auch die Bedeutung des Gerichtshofs. "Denn mit unwichtigen Dingen beschäftigt man sich ja nicht", sagt die Völkerrechtlerin. "Der EGMR hat eine wichtige Rolle als stabilisierender Faktor und gemeinsames Fundament im Europarat. Das ist wichtig in bewegten Zeiten."
Beginnen will die 50-Jährige ihren neuen Job mit Zuhören. "Ich kenne den EGMR aus meiner wissenschaftlichen Arbeit zwar ganz gut. Im EGMR zu wirken ist aber eine andere Aufgabe. Da gibt es viel Lernpotential für mich. Es dauert, Abläufe kennenzulernen, zu verstehen, wie eine Institution tickt." Viele der Richter-Kollegen kennt sie bereits von Konferenzen und Tagungen.
Seibert-Fohr hat nicht nur Lust auf die neue Aufgabe, sondern auch auf die neue Stadt. "Es freut mich, dass ich in Straßburg leben und auf französisch arbeiten werde." Ganz den Rücken kehren wird sie Heidelberg dennoch nicht. Seibert-Fohr zieht alleine nach Frankreich und will deshalb am Wochenende zur Familie an den Neckar pendeln.
Neue deutsche EGMR-Richterin: . In: Legal Tribune Online, 28.06.2019 , https://www.lto.de/persistent/a_id/36165 (abgerufen am: 09.10.2024 )
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