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Strafverfolgung ohne Grenzen?: Der Al-Khatib-Pro­zess zeigt, was die Justiz noch lernen muss

von Annelie Kaufmann

14.11.2020

17.01.2019: Ein 27-jähriger Mann aus Syrien muss sich vor dem OLG Koblenz wegen der Anklage verantworten, vor seiner Flucht nach Deutschland für die Terrormiliz Islamischer Staat gekämpft zu haben.

picture alliance/dpa | Thomas Frey

Vor deutschen Oberlandesgerichten laufen Verfahren wegen Völkermord, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Der bekannteste ist der Al-Khatib-Prozess. Ein Signal, sagen Beteiligte – aber es muss sich noch einiges ändern.

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Die Bundesanwaltschaft hat Anklage gegen ein mutmaßliches Mitglied der Terrorgruppe Islamischer Staat (IS) erhoben. Der deutschen Staatsangehörigen Nurten J. werden Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen gegen das Eigentum und sonstige Rechte vorgeworfen. Das Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt am Main verhandelt gegen den irakischen Staatsangehörigen Taha A.-J., unter anderem wegen Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen gegen Personen, er soll ebenfalls dem IS angehört haben. Vor dem OLG München muss sich seine deutsche Frau, Jennifer W., verantworten. Vor dem OLG Koblenz geht es um staatlich organisierte Folter in Syrien, angeklagt sind zwei syrische Männer, Anwar R. und Eyad A., ihnen werden Verbrechen gegen die Menschlichkeit bzw. Beihilfe zu Verbrechen gegen die Menschlichkeit vorgeworfen.

Alle diese Beispiele zeigen: Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Völkermord, Kriegsverbrechen – das sind Straftatbestände nach dem Völkerstrafgesetzbuch, die vor deutschen Gerichten verhandelt werden. Es geht um Tathandlungen, die im Irak oder in Syrien begangen wurden, um Verbrechen in komplexen Konfliktsituationen, um Terrororganisationen und die Tätigkeit ausländischer Geheimdienste – auch für die erfahrenen Staatsschutzsenate an den Oberlandesgerichten ist das kein alltäglicher Stoff.

Wie gut funktioniert die "Strafverfolgung ohne Grenzen"? Was muss sich aus Sicht von Beobachtern, Beteiligten und Betroffenen ändern? Das war das Thema einer Online-Diskussion, zu der die Heinrich-Böll –Stiftung am vergangenen Donnerstagabend eingeladen hatte.

Der Al-Khatib-Prozess: Ein Signal für die internationale Gemeinschaft?

Der Prozess vor dem OLG Koblenz dürfte das bekannteste Verfahren in diesem Bereich sein. Es ist der weltweit erste Prozess wegen Staatsfolter in Syrien. Anwar R. und Eyad A. sollen dem syrischen Geheimdienst angehört haben, konkret der für die Sicherheit im Raum Damaskus zuständigen Abteilung 251. R. soll die Einheit "Ermittlungen" geleitet haben, unter seiner Verantwortung sollen zwischen April 2011 und September 2012 mindestens 4.000 Häftlinge gefoltert worden sein, mindestens 58 Menschen seien an den Misshandlungen gestorben, wirft ihm die Bundesanwaltschaft vor.

Grundsätzlich gibt es nur drei Möglichkeiten, Verbrechen in Syrien zu ahnden: Erstens durch die syrische Justiz selbst – was aussichtslos ist. Zweitens durch den Internationalen Strafgerichtshof – den allerdings erkennt Syrien nicht an, zudem blockieren China und Russland eine Verweisung durch den UN-Sicherheitsrat. Und drittens nach dem Weltrechtsprinzip (Prinzip der Universellen Jurisdiktion) in einem beliebigen anderen Land – das ist die Grundlage für den Prozess in Deutschland. Die Idee: Derartige Verbrechen betreffen die gesamte internationale Gemeinschaft und können deshalb auch vor einem Gericht in einem unbeteiligten Staat geahndet werden.

Als "Signal" bezeichnet Claudia Roth, Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages (Bündnis 90/Die Grünen) diesen Prozess zu Beginn der Veranstaltung. Er zeige, dass die internationale Gemeinschaft Taten, wie sie in Syrien verübt wurden und werden, nicht duldet, so Roth. "Es ist auch ein Signal an die Menschen in Syrien: Wir haben euch nicht vergessen."

Die Kommunikation? Nichts anders als bei einem ganz normalen Mordprozess

Der Fall ist kompliziert und hat eine spezielle Vorgeschichte: R. floh später aus Syrien und meldete sich bei der deutschen Polizei, weil er befürchtete, von Assads Schergen verfolgt zu werden. Unabhängig davon, wie der Prozess ausgehen wird, ist aber klar, dass er eine symbolische Bedeutung hat. Vor allem aber lässt sich daran zeigen, was die praktischen und rechtlichen Probleme bei Verfahren nach dem Völkerstrafgesetzbuch unter dem Weltrechtsprinzip sind.

"Dieses Verfahren ist das erste und es wird hoffentlich nicht das letzte sein", sagt Wassim Mukdad, der im Al-Khatib-Verfahren als Zeuge aussagte und als Nebenkläger auftritt. Es sei ein "wichtiger Prozess" betont er, aber es komme darauf an, dass gerade auch die betroffenen Menschen und die internationale Öffentlichkeit das Verfahren verfolgen können.

Hier mangelt es schlicht an der Kommunikation: Zwar stellt das Gericht für Angeklagte und Nebenkläger eine Simultanübersetzung ins Arabische zur Verfügung. Damit jedoch syrische Journalisten ebenfalls eine Übersetzung ins Arabische nutzen konnten, musste das Bundesverfassungsgericht einschreiten. Auch die Pressemitteilungen und die Hinweise zum Akkreditierungsverfahren ergehen in aller Regel auf Deutsch – das mache es für internationale Journalisten schwierig, dem Verfahren zu folgen, kritisiert Dr. Patrick Kroker, der im Al-Khatib-Verfahren Nebenkläger vertritt. 

Und obwohl das Verfahren weltweit beobachtet wird, entschied sich das Gericht gegen eine Tonaufzeichnung, die für eine spätere wissenschaftliche Aufarbeitung im Archiv hätte aufbewahrt werden können.

Rechtsanwältin Finnin: "Es kommt auf die Haltung aller Beteiligten an"

Es gibt aber noch andere Probleme, die in komplexen völkerstrafrechtlichen Verfahren immer wieder auftauchen. Das zeigt ein gemeinsamer Report der Menschenrechtsorganisationen FIDH (International Federation for Human Rights), ECCHR (European Center für Constitutional and Human Rights) und Redress.

Die australische Rechtsanwältin Dr. Sarah Finnin hat dafür rund 140 Personen befragt, die an Verfahren oder an der Vorbereitung von Verfahren in Belgien, Frankreich, Deutschland, Schweden und den Niederlanden beteiligt sind, darunter Staatsanwälte und Polizisten, Richter, Rechtsanwälte, Kläger und Opfer, aber auch Psychologen und Wissenschaftler.

Finnin sagt, nicht nur die sprachlichen Hürden und die Tatsache, dass die Beweislage oft schwierig ist, führten zu Problemen, es fehle auch an psychosozialer Begleitung der Opfer und der Zeugen, die oft schwer traumatisiert sind.

Viele Zeugen haben außerdem Angst um ihre eigene Sicherheit und um die ihrer Angehörigen. "Wir müssen wissen, was passiert, wenn wir bedroht werden", sagt Mukdad. "Wir müssen wissen, dass es dann einen ausreichenden Zeugenschutz gibt." Opfer und Zeugen sind in aller Regel auch auf die Unterstützung von Menschenrechtsorganisationen angewiesen, die solche Prozesse begleiten – am Al-Khatib-Verfahren ist das ECCHR maßgeblich beteiligt.

Es komme zudem darauf an, wie sensibel die Beteiligten auf die Situation reagieren, betont Finnin: "Meiner Erfahrung nach kommt es nicht so sehr darauf an, was in den Prozessordnungen steht, sondern vor allem auf die Haltung der Justizbehörden und auf die Haltung aller die am Verfahren beteiligt sind - Staatsanwälte, Richter und andere Beteiligte."

Sexualisierte Gewalt – ein unterbelichtetes Thema?

Ein weiteres Thema bei der Veranstaltung der Heinrich-Böll-Stiftung: Wird sexualisierte Gewalt nicht ausreichend geahndet? "Wir sind froh, dass Deutschland syrischen Menschen die Möglichkeit auf Rechtsschutz eröffnet", sagt die syrische Rechtsanwältin und Frauenrechtlerin Joumana Seif. "Aber, mit allem Respekt, es ist sehr wichtig, dass sexualisierte und geschlechtsspezifische Gewalt stärker berücksichtigt wird."

Im Al-Khatib-Verfahren sind auch eine Vergewaltigung und eine schwere sexuelle Nötigung angeklagt. Allerdings als einzelne Straftaten, nicht als Verbrechen gegen die Menschlichkeit.

Das betont auch Dr. Leonie Steinl von der Humboldt-Universität Berlin. Sie fordert deshalb Fortbildungen, die Richter und Staatsanwälte für den Umgang mit sexualisierter Gewalt sensibilisieren – und eine entsprechende gesetzliche Fortbildungspflicht.

Zudem müssten die Reformen im Sexualstrafrecht – insbesondere das "Nein heißt Nein"-Prinzip, das Ende 2016 in Kraft trat und die Istanbul-Konvention des Europarates umsetzt - auch im Völkerstrafgesetzbuch nachvollzogen werden. Zudem müssten auch sexuelle Sklaverei und erzwungene Schwangerschaften ausdrücklich erfasst werden.

Es gehe darum, zu erkennen, wie systematisch sexualisierte Gewalt eingesetzt werde, erklärt Seif: "Sexualisierte Gewalt ist die billigste und effektivste Waffe, sie zerstört die Gesellschaft und hat lang andauernde Folgen."

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Strafverfolgung ohne Grenzen?: . In: Legal Tribune Online, 14.11.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/43430 (abgerufen am: 22.05.2025 )

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