Das Verbot der Vertretung widerstreitender Interessen gehört zur den Kernvorschriften des anwaltlichen Berufsrechts. An einem aktuellen Beispiel zeigt sich, wie gefährlich solche gemeinsamen Mandate sein können. Martin W. Huff berichtet.
Der Abgang des ehemaligen Bild-Chefredakteurs Julian Reichelt sorgt weiter für heftige Auseinandersetzungen mit dem Axel-Springer-Konzern. Reichelt wurde insbesondere Machtmissbrauch aufgrund seiner beruflichen Stellung vorgeworfen. In dieser Auseinandersetzung wird er jetzt vertreten von Rechtsanwalt Ben Irle aus der Berliner Kanzlei Irle Moser. Dies allein ist noch kein Aufreger.
Aber: Seit einiger Zeit vertritt sein Kanzleipartner Christian-Oliver Moser eine der Frauen, die wiederum Reichelt erhebliche Vorwürfe machen. Gegenüber den Medien, die über diese Auseinandersetzung berichten, droht Irle, gegen jede Verletzung von Reichelts Rechten vorzugehen.* Moser hält die Vorwürfe gegen Reichelt aufrecht. Müsste Moser also - zu Ende gedacht - von seinem Kanzleipartner Irle abgemahnt werden? Kann eine Anwaltskanzlei in einer solchen Fallkonstellation überhaupt beide Mandate führen?
Verbot widerstreitender Interessen betrifft Sozietät als Ganzes
§ 43a Abs. 4 der Bundesrechtsanwaltsordnung (BRAO) verbietet es einem Rechtsanwalt, für eine Person tätig zu werden, wenn er einen anderen Mandanten in derselben Rechtssache bereits in widerstreitenden Interessen beraten oder vertreten hat oder auch weiterhin vertritt. Hierfür reicht zwar nicht aus, dass in zwei Angelegenheiten die Parteien dieselben sind. Wenn etwa die Firma X gegen die Firma Y wegen eines Markenrechtsstreits vorgeht, liegt in einer gleichzeitigen Vertretung der Firma Y gegen die Firma X wegen einer Vergabesache kein widerstreitendes Interesse. Es geht - wie es der Bundesgerichtshof (BGH) immer wieder formuliert hat - vielmehr darum, ob zwei Angelegenheiten sachlich-rechtlich zusammenhängen, also ob es sich um einen einheitlichen Lebenssachverhalt handelt.
Satz 2 der Vorschrift stellt dabei ausdrücklich klar, dass dies auch gilt, wenn eine solche Vertretung zwar durch verschiedene Rechtsanwälte geschieht, die aber in einer Sozietät verbunden sind. Satz 3 der Vorschrift erlaubt dann aber wieder eine Ausnahme. Wörtlich heißt es darin, dass das Verbot dann nicht gilt, "wenn die betroffenen Mandanten der Tätigkeit des Rechtsanwalts nach umfassender Information in Textform zugestimmt haben und geeignete Vorkehrungen die Einhaltung der Verschwiegenheit des Rechtsanwalts sicherstellen".
"Chinese Walls" errichtet?
Auf LTO-Anfrage konkretisiert der Deutsche Anwaltverein dieses Erfordernis. Insbesondere dürften die beiden Anwälte keine Informationen über die betroffenen Mandate austauschen und müssten alle Akten und elektronischen Daten voneinander getrennt halten, heißt es in der Antwort.
Irle und Moser teilen - ebenfalls auf LTO-Anfrage - mit, dass man im Rahmen der Kanzleiarbeit sogenannte Chinese Walls errichtet habe, um die Verschwiegenheit zu wahren. Darunter versteht man eben jene Maßnahmen, mit denen die Informationen innerhalb der Sozietät voneinander getrennt gehalten werden sollen. Solche Maßnahmen sind nur dann erforderlich, wenn es sich um die Vertretung widerstreitender Interessen handelt und nach § 43a Abs. 4 S. 3 BRAO nach der Zustimmung der Mandanten die Verschwiegenheit gewahrt werden soll.
Doch für Irle und Moser liegt ein Fall der widerstreitenden Interessen "aufgrund der konkreten Ausgestaltung der jeweiligen Mandatsgegenstände" nicht vor, heißt es in einer Stellungnahme gegenüber LTO ohne weitere Begründung. Man habe die Chinese Walls nur vorsorglich errichtet und damit "sichergestellt, dass der jeweils sachbearbeitende Partner einschließlich der zuarbeitenden juristischen wie auch nicht-juristischen Mitarbeiter eines Mandats keinen Zugang zu Akten- und Mandatsinhalten des anderen Mandats hat und auch untereinander keinerlei Informationstransfer erfolgt."
Voraussetzung für die Ausnahme der zulässigen Vertretung widerstreitender Interessen ist, dass beide Mandanten umfassend von der Kanzlei über die Interessenkollision - und zwar auch nur, dass die bloße Möglichkeit besteht - in Textform informiert worden sind und ausdrücklich zugestimmt haben.
Keine Unterrichtung der Mandantin?
Ob dies der Fall war, ist hier offen. Gegenüber Medien, etwa der Tagesschau, hat die Mandantin erklärt, von dem neuen Mandat nicht unterrichtet worden zu sein und diesem auch nicht zugestimmt zu haben. Wenn diese Aussage zutreffen sollte, dann ist eine "Befreiung" von der Interessenkollision nicht erfolgt. Das zweite Mandat hätte nicht angenommen werden dürfen. Es läge ein Verstoß gegen ein gesetzliches Verbot vor. Beide Mandate müssten niedergelegt werden, Honoraransprüche bestünden nicht.
Irle und Moser teilen gegenüber LTO nicht mit, ob die Mandanten der Vertretung widerstreitender Interessen in der Kanzlei zugestimmt haben. Wegen der anwaltlichen Schweigepflicht sei eine weitergehende Beantwortung nicht möglich, heißt es in der Stellungnahme.
Ein möglicher Verstoß gegen die Verschwiegenheitspflicht wäre auch berufsrechtlich relevant. Denn kommt es zu einer Vertretung widerstreitender Interessen, handelt es sich um einen berufsrechtlichen Verstoß, den die zuständige Rechtsanwaltskammer Berlin, aber unter Umständen auch die für ein berufsrechtliches Verfahren zuständige Berliner Generalstaatsanwaltschaft prüfen müsste.
Die Rechtsanwaltskammer ist in so einem Fall für ein sogenanntes Rügeverfahren gem. § 74a BRAO zuständig. Eine ausgesprochene und rechtskräftige Rüge ist aber nicht sehr relevant, sie hat bis auf die spätestens dann notwendige Mandatsniederlegung keine weiteren Konsequenzen.
Generalstaatsanwaltschaft könnte hart durchgreifen
Anders sieht es aus, wenn die Generalstaatsanwaltschaft eine berufsrechtliche Überprüfung einleitet, was sie von Amtswegen, etwa aufgrund der Medienberichte oder aufgrund einer Information der Rechtsanwaltskammer Berlin, tun kann. Kommt es hier zu einer "Anschuldigung", wie es im Gesetz heißt, dann drohen gem. § 114 BRAO erhebliche Konsequenzen, die von einer Geldstrafe bis zum Entzug der Zulassung reichen können. In Fällen der Vertretung widerstreitender Interessen und bei einem nur erstmaligen Verstoß gegen die Verschwiegenheitspflicht werden in aller Regel erst einmal nur Geldstrafen ausgesprochen.
Verstöße gegen die Verschwiegenheitspflicht sind jedoch meist keine Angelegenheiten, bei denen die Schuld des Rechtsanwalts gering ist und die mit einer Rüge ausreichend geahndet werden können. In diesen Fällen ist ein Anschuldigungsverfahren (s. o.) eher die Regel. Von der geringen Schuld bei einem Verstoß gegen die Verschwiegenheitspflicht wird zum Beispiel dann ausgegangen, wenn es einmal vergessen wurde, ein Empfangsbekenntnis zurückzusenden oder aber eine Information an den Mandanten nicht rechtzeitig erfolgt ist.
Rechtsanwaltskammer hält sich bedeckt
Die Berliner Rechtsanwaltskammer darf tatsächlich, auch wenn dies nicht immer verständlich ist, keine Aussagen zum Verfahrensstand machen, da sie eine eigene besondere Verschwiegenheitspflicht in Bezug auf die Angelegenheiten ihrer Mitglieder hat.
Es darf aber davon ausgegangen werden, dass das Verhalten der Kanzlei Irle Moser genau geprüft wird und zum Beispiel Unterlangen angefordert werden. Das Prüfungsergebnis sollte aber der Öffentlichkeit, auch im Interesse der Stellung der Rechtsanwälte als unabhängige Organe der Rechtspflege, mitgeteilt werden. Ein Informationsanspruch der Medien dürfte in einem solchen breit diskutierten Fall Vorrang vor Verschwiegenheitspflichten haben.
* Richtigstellung: An dieser Stelle des Textes hieß es zuvor, Herr Irle hätte der Mandantin seines Partners Moser eine unwahre Behauptung unterstellt. Diese Behauptung ist falsch. Er hat die Vorwürfe einer anderen Frau als unwahr bezeichnet.
Kanzlei Irle Moser vertritt Reichelt und Gegenspielerin: . In: Legal Tribune Online, 19.04.2023 , https://www.lto.de/persistent/a_id/51578 (abgerufen am: 07.10.2024 )
Infos zum Zitiervorschlag