Ein Anwalt wacht mit Zahnschmerzen auf. Ein Taxi zum Arzt kann er sich noch bestellen, beim Gericht anrufen war aber nicht mehr drin – das wurde ihm und seinen Mandanten zum Verhängnis. Der BGH bestätigte das entsprechende Versäumnisurteil.
Wer als Anwalt starke Zahn- und Kopfschmerzen hat, sollte trotzdem nicht unentschuldigt bei Gericht fehlen. Der Bundesgerichtshof (BGH) wies die Beschwerde eines Anwalts ab, der sich zwar morgens noch ein Taxi rief, aber das Gericht nicht darüber informierte, dass er nicht zu einer Verhandlung kommen kann – obwohl es in dem Verfahren bereits ein Versäumnis gegeben hatte (Beschl. v. 23.10.2024, Az. V ZB 50/23).
Dem Fall liegt eigentlich ein Nachbarschaftsstreit zugrunde, in dem die Kläger Maßnahmen zur Verhinderung von übertretendem Niederschlagswasser forderten. Durch Versäumnisurteil verurteilte das Landgericht die Beklagten im Sommer 2022 antragsgemäß. Hiergegen legten sie Einspruch ein, doch zum auf 11:30 Uhr festgelegten Termin im Januar 2023 erschien für sie niemand. Die logische Folge: ein zweites Versäumnisurteil, der Einspruch wurde auf Antrag der Klägerin insoweit verworfen.
Dagegen legten die Beklagten wiederum Berufung ein, welche gemäß § 514 Abs. 2 S. 1 Zivilprozessordnung (ZPO) überhaupt nur statthaft ist, als sie darauf gestützt wird, dass keine schuldhafte Versäumung vorgelegen habe. Zur Begründung trugen die Beklagten vor, ihr Prozessbevollmächtigter sei am Termintag zunächst frühmorgens mit heftigen Zahnschmerzen aufgewacht, habe eine Schmerztablette genommen und dann um kurz vor 8 Uhr erneut mit starken Zahn- und Kopfschmerzen aufgewacht. Trotz der Einnahme weiterer Schmerztabletten war für ihn schnell klar, dass er zum Zahnarzt muss. Nach 8 Uhr fiel ihm der anstehende Termin um 11:30 Uhr ein, weshalb er seinen Kollegen anrief, mit dem er eine Bürogemeinschaft ohne weiteres Personal bildet.
Seinen Kollegen erreichte er jedoch nicht und fühlte sich zu diesem Zeitpunkt schon derart benommen, dass er keinen klaren Gedanken mehr habe fassen können. Die gedanklichen Kapazitäten genügten gleichwohl noch, um ein Taxi zum Zahnarzt zu rufen. Dort wurde er dann mit einer Spritze und weiteren Schmerztabletten behandelt. Und der Gerichtstermin um 11:30 Uhr? Der fiel ihm erst am frühen Nachmittag wieder ein, als alles schon zu spät war.
Anwaltliche Sorgfalt verletzt
Das zuständige Brandenburgische Oberlandesgericht (OLG) hat die Berufung gegen das zweite Versäumnisurteil insoweit als unzulässig verworfen. Das OLG unterstellte zwar zugunsten der Beklagten, dass ihr Anwalt krankheitsbedingt nicht zu der mündlichen Verhandlung beim Landgericht habe anreisen können. Jedoch liege eine schuldhafte Säumnis regelmäßig auch dann vor, wenn "ein kurzfristig und nicht vorhersehbar an der Wahrnehmung eines Termins gehinderter Prozessbevollmächtigter – wie hier – nicht das ihm Mögliche und Zumutbare getan habe, um dem Gericht rechtzeitig seine Verhinderung mitzuteilen und hierdurch eine Vertagung zu ermöglichen". Dem Anwalt habe schon beim erfolglosen Kontaktversuch zu seinem Kollegen klar sein müssen, dass er den Gerichtstermin nicht mehr wird wahrnehmen können, zumal er noch mit etwa einer Stunde Fahrtzeit rechnen musste.
Auch die Rechtsbeschwerde der Beklagten zum BGH blieb nun ohne Erfolg, denn entgegen der Auffassung der Beklagten ist aus Sicht des BGH keine Entscheidung zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung gemäß § 574 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 ZPO erforderlich. Die OLG-Entscheidung stehe im Einklang mit der höchstrichterlichen Rechtsprechung und verletze die Beklagten auch nicht in ihren Verfahrensgrundrechten auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 1 Abs. 1 GG i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip) und auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG), so der BGH.
Entscheidend für die Verschuldensfrage bei der Berufung gegen ein zweites Versäumnisurteil sind dabei die gleichen Grundsätze wie bei der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, stellt der Senat klar. Daraus folgend sei das OLG zu Recht vom Verschulden bezüglich der Säumnis auf Seiten des Anwalts ausgegangen, was sich die Beklagten gemäß § 85 Abs. 2 ZPO zurechnen lassen müssen. Da er sowohl seinen Kollegen angerufen als auch telefonisch ein Taxi bestellt hatte, stimmte der BGH dem OLG insoweit zu: "Es hätte daher der gebotenen anwaltlichen Sorgfalt entsprochen, bereits in diesem Moment die erforderlichen Vorkehrungen zu treffen, um die im konkret vorhersehbaren Fall einer Säumnis im Einspruchstermin drohenden schwerwiegenden Nachteile von den Beklagten abzuwenden. Hierzu wäre eine telefonische Kontaktaufnahme zu dem Landgericht erforderlich gewesen, um seine Verhandlungsunfähigkeit mitzuteilen".
jb/LTO-Redaktion
BGH zu Anwalt mit Zahnschmerzen: . In: Legal Tribune Online, 26.11.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/55960 (abgerufen am: 09.12.2024 )
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