Ein Anwalt bekam keinen Impftermin und wandte sich an das VG Gelsenkirchen. Das verhalf dem Juristen zwar nicht sofort zur begehrten Spritze, aber indirekt läuft es vielleicht doch noch darauf hinaus.
Die Stadt Bochum darf einem Anwalt den Impftermin nicht mit der Begründung verweigern, es sei nicht genügend Impfstoff vorhanden und daher habe entsprechend nur die Justiz berücksichtigt werden dürfen. Das hat das Verwaltungsgericht (VG) Gelsenkirchen in einem einstweiligen Verfügungsverfahren entschieden (Beschl. v. 21.05.2021, Az. 2 L 664/21). Die bisherige Argumentation der Stadt überzeugte das Gericht nicht, die Behörde muss nun nachliefern.
Ein Bochumer Rechtsanwalt hatte bei der Stadt Bochum beantragt, als Angehöriger der Impfgruppe 3 einen Termin im regionalen Impfzentrum zu bekommen. Die Stadt Bochum lehnte dies mit Verweis auf den aktuellen Erlass des Landes NRW vom 05. Mai 2021 ab, danach sind Anwälte derzeit nicht zu berücksichtigten.
Der Mann wandte sich ans VG Gelsenkirchen – und hatte dort teilweise Erfolg: Nach der Entscheidung darf die Stadt Bochum dem Anwalt den Impftermin nicht verweigern - jedenfalls nicht mit der Begründung, es sei nicht genügend Impfstoff vorhanden und daher habe entsprechend nur die Justiz berücksichtigt werden dürfen.
Referendar:innen und Geschäftsstellen vor der Anwaltschaft an der Reihe
Denn so läuft es derzeit in NRW: Zwar wurden dem Robert Koch-Institut (RKI) bis zum 25. Mai 2021 aus Nordrhein-Westfalen rund 7,7 Millionen Erstimpfungen gegen das Coronavirus (SARS-CoV-2) gemeldet, die Anzahl der Zweitimpfungen lag bei etwa 2,4 Millionen. Unter den Geimpften werden auch einige der rund 40.000 Anwält:innen in NRW sein - das dann aber eher zufällig. Denn obwohl sie nach der bundesweit geltenden Regelung als Organe der Rechtspflege ebenso wie die Justiz zur Priorität 3 gehören, ist diese Berufsgruppe nach dem entsprechenden Erlass in NRW nicht priorisiert zu impfen. In NRW ist nur die Justiz mit Priorität 3 impfberechtigt, konkret sind es "Beschäftigte in den Servicebereichen der Gerichte und Justizbehörden, Richterinnen und Richter sowie Staatsanwältinnen und Staatsanwälte."
Präsident:innen von Landgerichten in NRW hat diese Regelung veranlasst, auch Mitarbeiter:innen der Geschäftsstellen und – was zu besonders viel Aufregung geführt hatte – Referendar:innen entsprechende Arbeitgeberbescheinigungen auszustellen, obwohl diese Gruppen - auch wenn sie unbestritten wichtige Aufgaben erledigen - nicht wesentlich zum Erhalt des Rechtsstaates beitragen. In anderen Bundesländern, etwa in Rheinland-Pfalz, sind dagegen die Anwält:innen bevorzugt zu impfen, andere Länder wiederum haben Referendar:innen derartige Bescheinigungen dagegen nicht ausgestellt. Als das bekannt worden war, haben in NRW vereinzelte Gerichte Schreiben an Referendar:innen geschickt mit dem Hinweis, dass sie doch noch nicht für die Impfungen vorgesehen seien. Viele hatten zu diesem Zeitpunkt aber längst Termine erhalten und sind in die Statistik der Geimpften eingegangen.
Die Präsidenten der drei NRW-Rechtsanwaltskammern in Düsseldorf, Hamm und Köln hatten sich deswegen am 19. Mai gemeinsam an Ministerpräsident Armin Laschet gewandt. Sie kritisieren insbesondere, dass mit der fehlenden Differenzierung die Stellung der Anwaltschaft als Organ der Rechtspflege missachtet werde. Eine Antwort haben die Kammern bisher nicht bekommen.
Trotz Impfstoffknappheit "sachgerechte" Verteilung notwendig
Das VG Gelsenkirchen hat der Stadt Bochum nun aufgegeben, über den Antrag des 40-jährigen Anwalts unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung des Gerichts zu entscheiden. Die Richter:innen erkannten zwar, dass ein Anspruch auf Impfung nur im Rahmen der Verfügbarkeit des Impfstoffs besteht. Im Rahmen der grundgesetzlich abgesicherten Gleichbehandlung müsse er aber unter den Anspruchsberechtigten "sachgerecht" verteilt werden. Dieser Anforderung sei die Stadt mit ihrer bisherigen Argumentation und der Verweisung an die Hausärzte nicht gerecht geworden.
"Auch die Begründung der Stadt, dass bei typisierender Betrachtungsweise davon auszugehen sei, dass Justizbeschäftigte tendenziell häufiger Kontakte zu anderen Menschen hätten als Rechtsanwälte, die tendenziell häufiger Mandantengespräche auch mittels Telefonaten oder Videotelefonie durchführen könnten, überzeugt die Richter nicht", erklärt Martin W. Huff, Geschäftsführer der Rechtsanwaltskammer Köln.
Mit den Worten der Richter klingt das in dem Beschluss so: "Die getroffene Priorisierungsentscheidung entbehrt einer nachvollziehbaren, auf tragfähige Tatsachen gestützten Begründung." Und weiter: "Die Entscheidung beruht wesentlich auf der Annahme, Richter, Staatsanwälte und Beschäftigte in den Serviceeinheiten der Gerichte hätten typischerweise mehr berufliche Kontakte zu anderen Menschen als Rechtsanwälte und seien deshalb einem höheren Risiko ausgesetzt." Doch diese Annahme sei nicht einmal ansatzweise belegt, befand nun das VG.
Richter haben weniger Kontakte
"Die Richter verweisen in dem Beschluss auf ihre eigenen Erfahrungen", erläutert Huff weiter. "Nämlich dass viele Rechtsanwälte durchaus mehr Kontakte haben als Richter. Richter verhandeln meistens an ein bis zwei Tagen in immer dem gleichen Saal, Rechtsanwälte seien aber sehr viel mehr Kontakten ausgesetzt und könnten bei dem Kontakt mit Mandanten nicht auf die gleichen technischen Erleichterungen zurückgreifen, wie diese mittlerweile in der Justiz der Fall sei."
Die pauschale Begründung der Stadt sei fehlerhaft, heißt es letztlich in dem Beschluss, das Gericht aber nicht dafür da, solche Fehler zu heilen: "Es ist jedoch nicht Aufgabe der Gerichte, sachliche Gründe zur Rechtfertigung für eine Ungleichbehandlung durch die Antragsgegnerin zu finden, wenn diese die Gründe nicht zum Gegenstand ihrer Entscheidungen macht."
Und jetzt? Heißt es nun bald: Impfung für alle Anwält:innen?
"Die Stadt Bochum muss jetzt bis zum Ende dieser Woche eine sachliche Begründung für die Ungleichbehandlung liefern. Geschieht dies nicht, so handelt die Stadt gleichheitswidrig bei der Verteilung des Impfstoffes", sagt Huff. Seiner Ansicht nach macht der Beschluss der Richter deutlich, dass im Land NRW bisher bei der Öffnung der Impfgruppe 3 für die Ungleichbehandlung der Anwaltschaft gegenüber der Justiz keine inhaltliche Begründung gegeben wurde - und vor allem: dass diese wohl auch nicht gewollt war. Eine Nachbesserung sei bis heute – drei Wochen später – unterblieben. "Vielleicht führt ja die Entscheidung des VG zu einem Umdenken und einer inhaltlich korrekten Abwägung der verschiedenen Interessen", hofft Huff.
VG Gelsenkirchen zur Priorisierung: . In: Legal Tribune Online, 26.05.2021 , https://www.lto.de/persistent/a_id/45049 (abgerufen am: 04.12.2024 )
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