Anwaltskammern kritisieren Absetzung Istanbuler Kollegen: "Inak­zeptable Kri­mi­na­li­sie­rung der freien Advo­katur"

von Hasso Suliak

25.03.2025

Ein türkisches Gericht hat den Präsidenten der Istanbuler Anwaltskammer sowie elf ihrer Vorstandsmitglieder abgesetzt. Deutsche Anwaltsverbände sind empört und fordern unter anderem diplomatische Anstrengungen von der Bundesregierung.

Deutsche Anwaltsverbände sind in Sorge um ihre Kolleginnen und Kollegen in der Türkei. Am Freitag hatte die türkische Justiz den gesamten Vorstand der Istanbuler Rechtsanwaltskammer (RAK) abgesetzt, einschließlich des Kammerpräsidenten Prof. Dr. Ibrahim Kaboğlu. Begründet wurde dies nach Angaben des Deutschen Anwaltsvereins mit Vorwürfen wie "Terrorpropaganda" und "Verbreitung irreführender Informationen". 

Anlass für die Amtsenthebung war eine Erklärung der Kammer, in der sie eine Untersuchung der Tötung zweier kurdischer Journalisten durch einen türkischen Drohnenangriff forderte und mutmaßte, der Vorfall könne nicht nur einen Verstoß gegen das humanitäre Völkerrecht, sondern gegebenenfalls auch ein Kriegsverbrechen darstellen.

Internationale Appelle erfolglos

Ein Gericht in Istanbul wertete diese Position als Verstoß gegen das Gesetz Nr. 1136 über die Zuständigkeiten und Aufgaben der Anwaltskammer. Dies führt nach Ansicht des Gerichts dazu, dass die Vorstandsmitglieder weder geeignet noch in der Lage seien, ihr Amt ordnungsgemäß zu führen.

Zuvor hatten internationale Organisationen bereits vergeblich die türkischen Behörden aufgefordert, die Verfahren einzustellen und die Unabhängigkeit der Anwaltskammern zu respektieren. Auch der Rat der Anwaltschaften in der EU (CCBE) verurteilte Ende Februar in Wien unter Beteiligung der Bundesrechtsanwaltskammer (BRAK) die strafrechtlichen Ermittlungen und straf- und zivilrechtlichen Verfahren gegen die Rechtsanwaltskammer Istanbul, ihren Präsidenten und die anderen Mitglieder ihres Vorstands.

Am 23. Februar 2025 hatte die Istanbuler RAK eine außerordentliche Generalversammlung abgehalten, zu welcher auch internationale Vertreterinnen und Vertreter anderer Anwaltsorganisationen – unter anderem der Deutsche Anwaltverein (DAV) – eingeladen waren. Dort wurde dem Vorstand der Istanbuler RAK, der über 65.000 Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte vertritt, das Vertrauen ausgesprochen.

DAV-Präsident: "Vorgehen der türkischen Justiz inakzeptabel"

Die Absetzung des Kammervorstands stößt nun bei einer Vielzahl deutscher Anwaltsorganisationen auf heftige Kritik und Empörung. Am Wochenende meldete sich als einer der ersten DAV-Präsident Stefan von Raumer zu Wort. "Der DAV steht an der Seite der Kolleginnen und Kollegen der Rechtsanwaltskammer Istanbul und verurteilt das inakzeptable Vorgehen der türkischen Justiz", sagte er.

Die Amtsenthebung der Kolleginnen und Kollegen des Istanbuler Kammervorstands reihe sich ein in die in den vergangenen Tagen bekannt gewordenen, zutiefst besorgniserregenden Entwicklungen in der Türkei. Mit dem Rechts- und Berufsverständnis der deutschen Anwaltschaft sei die Entscheidung nicht vereinbar, so von Raumer. "Es ist das grundlegende Recht der freien Advokatur und ihre Aufgabe, sich an der öffentlichen Diskussion zu beteiligen und die Gewährleistung der Menschenrechte zu sichern". Der DAV ist mit den türkischen Anwaltskammern über einen Freundschaftsvertrag verbunden.

BRAK: "Rechtsstaatlich unerträglich"

Auch die BRAK reagierte am Montag mit deutlichen Worten auf den Vorfall und versicherte den Kolleginnen und Kollegen in der Türkei "uneingeschränkte Solidarität": "Das Verfahren ist ein weiterer politisch motivierter Versuch, die türkische Anwaltschaft zu delegitimieren und aus dem Weg zu räumen! Dass sich die Justiz hierfür instrumentalisieren lässt, ist rechtsstaatlich unerträglich", so BRAK-Vizepräsident Rechtsanwalt André Haug. Sollte an der Amtsenthebung festgehalten werden, sehe er keine Zukunft für die Türkei, die unter rechtsstaatlichen Gesichtspunkten zumindest akzeptabel wäre.

Am Dienstag meldeten sich dann noch weitere deutsche Anwaltsvereinigungen zu Wort. In einer gemeinsamen Erklärung verurteilten der Republikanische Anwältinnen- und Anwälteverein (RAV), die Vereinigung demokratischer Jurist:innen e.V. (VDJ), die RAK Berlin und die Vereinigung der Berliner Strafverteidiger*innen die Istanbuler Gerichtsentscheidung.

Verbände: Bundesregierung muss sich einsetzen

"Die Strafverfolgung und Absetzung vom Vorstandsposten stellen einen inakzeptablen Angriff auf die Unabhängigkeit der Rechtsanwält*innen und die Rechtsstaatlichkeit in der Türkei dar", erklärten sie. Nach den Grundprinzipien der Vereinten Nationen für die Rolle der Rechtsanwälte müssten Anwältinnen und Anwälte in der Lage sein, ihre beruflichen Pflichten frei und unabhängig, das heißt ohne Einmischung oder Angst vor Vergeltung auszuüben. Dies umfasse auch die Teilnahme an öffentlichen Debatten über Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit. "Die gerichtliche Entscheidung über die Absetzung reiht sich ein in die gestiegene Repression gegen die Opposition sowie die Kriminalisierung der freien Advokatur und der politischen Meinungsäußerungen", so die Kritik.

Die vier Organisationen forderten nicht nur die türkischen Behörden auf, die Entscheidung rückgängig zu machen und die Unabhängigkeit der repräsentativen Institutionen der Anwaltschaft zu gewährleisten. Auch an die Bundesregierung richtet sich ihr Appell: Sie müsse sich "mit Nachdruck und sämtlichen möglichen diplomatischen Mitteln gegenüber dem Natomitglied und EU-Beitrittskandidaten Türkei für die Wiederherstellung der Rechtsstaatlichkeit einsetzen".

Zitiervorschlag

Anwaltskammern kritisieren Absetzung Istanbuler Kollegen: . In: Legal Tribune Online, 25.03.2025 , https://www.lto.de/persistent/a_id/56865 (abgerufen am: 22.04.2025 )

Infos zum Zitiervorschlag
Jetzt Pushnachrichten aktivieren

Pushverwaltung

Sie haben die Pushnachrichten abonniert.
Durch zusätzliche Filter können Sie Ihr Pushabo einschränken.

Filter öffnen
Rubriken
oder
Rechtsgebiete
Abbestellen