Eine Studie untersucht den Einfluss der Arbeit von Anwälten auf die Arbeit von Journalisten. Sie bietet Einblick in einen kleinen Markt hochspezialisierter Berater. Und zeigt, dass nicht sie es sind, die die Pressefreiheit bedrohen.
Presserechtsanwälte versuchen verstärkt, eine von ihren Mandanten unerwünschte Berichterstattung schon im Vorfeld zu beeinflussen. Zu diesem Ergebnis sind Prof. Dr. Tobias Gostomzyk und Daniel Moßbrucker in einer "Studie zu präventiven Anwaltsstrategien" gekommen, die sie am Donnerstag in Berlin vorstellten.
Für den Rechtsmarkt ergibt sie, dass die Presserechtler in ihrem überschaubaren Markt neue Geschäftsfelder abseits der nachträglichen konfrontativen Richtigstellungs- und Zahlungsansprüche aufbauen. So betreiben sie längst professionalisierte Litigation-PR, auch in Zusammenarbeit mit Kommunikationsspezialisten. Die Autoren sehen Anhaltspunkte dafür, dass das ein erfolgreiches Modell ist. Auch, weil die Journalisten darauf offenbar nicht vorbereitet sind. Die Quantität wie auch die Wirksamkeit sogenannter presserechtlicher Informations- und Warnschreiben dagegen sei, so das Ergebnis der Untersuchung, offenbar überschätzt worden.
Einen zu gefährlichen Einfluss findiger Presserechtler auf den Journalismus sieht die Studie am Ende nicht. Handlungsbedarf, um investigative Pressearbeit und mittelfristig auch die Pressefreiheit in Deutschland abzusichern, sehen die Autoren an ganz anderer Stelle.
Presserecht heute: lieber präventiv als nachträglich agieren
Das Presserecht ist auf repressive Maßnahmen ausgelegt. Über wen berichtet wird in einer rechtsverletzten Art und Weise, der soll sich, so das aus dem analogen Zeitalter stammende Recht, bei dem veröffentlichten Medium melden, es zur Richtigstellung auffordern und vielleicht Schadensersatz und Schmerzensgeld geltend machen. Die Realität sieht, zumal im digitalen Zeitalter, längst anders aus. Wer ins Blitzlicht der Öffentlichkeit gerät, für den ist die beste Investigativgeschichte die, die nie erscheint. So agieren erfahrene Presserechtler häufig schon vor der Veröffentlichung. Dabei versuchen sie, diese zu verhindern oder sie zu beeinflussen.
Vieles, was die Branche längst weiß, haben der Juraprofessor am Institut für Journalistik an der TU Dortmund Tobias Gostomzyk und der Journalist Daniel Moßbrucker mit Zahlen unterfüttert. Für die von der Otto Brenner Stiftung und der Gesellschaft für Freiheitsrechte unterstützte Studie, die nach Angaben der Autoren repräsentativ ist, haben sie in Datenbanken recherchiert, Rechtsnormen und Urteile ausgewertet, Leitfaden-Interviews mit mehr als 40 Journalisten und 20 hochspezialisierten Presserechtlern geführt. Sie haben Datensätze aus Rechtsabteilungen von mehr als 20 Medienunternehmen ausgewertet und eine Online-Umfrage bei Fachanwälten für Urheber- und Medienrecht durchgeführt.
Man kennt sich: ein überschaubarer Markt
Viele Presserechtler sind – verglichen mit ihren Anwaltskollegen anderer Disziplinen - medial recht bekannt. Man muss kein Kenner sein, um von den grauen Eminenzen der Szene Prof. Dr. Matthias Prinz, Prof. Dr. Christian Schertz oder Gernot Lehr gehört zu haben. Die neue Generation ist längst im Rennen. Das mediale Auftreten wie auch das Auftreten gegenüber Medien des jüngeren, aber keineswegs leiseren Prof. Dr. Ralf Höcker ist mit den Methoden eines Prof. Dr. Markus Ruttig (CBH Rechtsanwälte), eines Prof. Dr. Roger Mann (Damm & Mann Rechtsanwälte) oder einer Verena Haisch (DLA Piper) dabei kaum vergleichbar.
Man kennt sich, habe es immer wieder in den Interviews geheißen, die Gostomzyk und Moßbrucker mit 20 renommierten Presserechtlern (einschließlich der oben Genannten) geführt haben. Es ist ein überschaubarer Markt, selbst wenn man ihn weit fasst. In den ausgewerteten Datenbanken gaben insgesamt 622 Anwälte in Deutschland an, im Presserecht zu arbeiten. Von 311 Fachanwälten für Urheber- und Medienrecht sind nach eigenen Angaben 93 (30 Prozent) presserechtlich tätig.
529 weitere Anwälte weisen dieses Tätigkeitsgebiet aus, tragen aber keinen Fachanwaltstitel. Vertreten sind die Presserechtler vor allem in den Großstädten, die die Autoren der Studie als Medienstädte bezeichnen: von Hamburg (weit führend mit 116 Presserechtlern) über Köln, München und Berlin bis nach Frankfurt am Main (47).
Je spezialisierter, desto festgelegter auf eine Seite
Gemeinsam ist den Befragten, dass sie das Wachstumspotenzial des Presserechts für gering halten. Auf der einen Seite sind nur verhältnismäßig wenige Menschen von Berichterstattung durch Medien betroffen. Auf der anderen Seite gibt es nur eine überschaubare Anzahl von Medienunternehmen. Und die privat finanzierten Medienhäuser, deren Abonnementumsätze seit Jahren massiv einbrechen, sind finanziell in einer ständigen Abwärtsspirale. Die Abwanderungsquote in den Printmedien scheint nicht zu stoppen zu sein, die Anzeigenumsätze brechen ein. Der Online-Journalismus kann das bisher nicht ansatzweise auffangen. Der Wechsel zu werbefinanzierten Inhalten gelingt nicht, nur wenige Online-Präsenzen sind profitabel.
Den kleinen Anwaltsmarkt, der an dieser Branche in der Dauerkrise hängt, teilen im Wesentlichen die Kanzleien mit den wenigen Topspezialisten weitgehend unter sich auf. Dabei spielen die ganz großen Law Firms eine im Vergleich zu anderen Rechtsgebieten eher untergeordnete Rolle, hochspezialisierte Anwaltsboutiquen bespielen den Markt.
Vor allem diese professionellen Spezialisten sind klar positioniert. Während bei den befragten Fachanwälten immerhin jeder Fünfte angab, sowohl Medienhäuser als auch von Berichterstattung Betroffene zu vertreten, vertreten von den 20 interviewten Anwälten aus 20 verschiedenen Kanzleien nur drei beide Seiten. Ihnen geht es dabei nicht nur darum, Interessenkollisionen auszuschließen, sondern auch darum, gegenüber ihren Mandanten glaubwürdig aufzutreten.
Längst etabliert: Strategische Rechtskommunikation
Neue Finanzquellen erschließen sich die Anwälte vor allem bei finanzkräftigen, von potenzieller Medienberichterstattung zunehmend Betroffenen: den Unternehmen. Bei denen geht es in den seltensten Fällen um eine einmalige Berichterstattung, die dann im Sande verläuft. Ob VW, Daimler oder die Bayer AG: Unternehmen, die in die Krise und langwierige rechtliche Auseinandersetzungen geraten, benötigen langfristige Beratung, die über das rein Rechtliche weit hinausgeht. Oft mit der Hilfe von Kommunikationsagenturen werden Gegenkampagnen gestartet und Strategien erarbeitet. Neben Unternehmen setzen die Presserechtler diese weichere Vorgehensweise auch bei Personen des öffentlichen Lebens wie Politikern und Unternehmensleitern ein.
14 der 20 interviewten Presseanwälte gaben an, bereits heute mit Kommunikationsberatungen zusammenzuarbeiten. Darunter auch fünf Kanzleien, die schwerpunktmäßig Medien vertreten. Nur drei der interviewten Presserechtler sagten, sie kooperierten nicht mit Kommunikationsberatungen.
Strategische Rechtskommunikation nennt man auf Deutsch, was im US-Markt längst als Litigation PR etabliert ist. Laut Gostomzyk und Moßbrucker hat zudem die Hälfte der befragten Fachanwälte angegeben, dass sie "strategische Rechtskommunikation" betreibe, also die gezielte Informations- und Kommunikationsarbeit im Zuge rechtlicher Auseinandersetzungen. "Dann werden manchmal nicht mehr die Fragen der Journalisten beantwortet, sondern stattdessen eine eigene Kampagne gestartet", konstatierte Moßbrucker.
Es geht um die Deutungshoheit
Im Wesentlichen aber geben sich die Anwälte kooperativer. Sie gehen ins Gespräch mit den Journalisten, bieten Hintergrundgespräche an. Im geschützten Rahmen versuchen sie, die Perspektive des Unternehmens aufzuzeigen, um der Geschichte, deren Veröffentlichung sie ohnehin nicht verhindern können, einen anderen Spin zu geben. Es geht nicht um Recht. Es geht um Deutungshoheit, vor allem im Netz. Die Anwälte wollen nicht verhindern, dass die Geschichte erzählt wird. Sie wollen verändern, wie sie erzählt wird.
Dieser Strategie haben, so eines der laut den Autoren wichtigsten Ergebnisse der Untersuchung, die Journalisten noch zu wenig entgegenzusetzen. Die Redaktionen müssten sich noch klarer machen, dass sie einer Strategie extrem guter Kommunikatoren gegenüber stünden, so Moßbrucker.
Es gebe keine Leitfäden und keine berufsethischen Standards für die Journalisten. "Wann sollte man sich überhaupt auf Gespräche einlassen? Inwieweit müssen Journalisten sich tatsächlich an die Vereinbarungen zu reinen Hintergrundinformationen halten? Welche Hintergrundinfos von der Kanzlei sollte man annehmen? Bis wohin ist ein "Deal" mit Informationen noch in Ordnung? Die Autoren der Studie appellieren an die Akteure des Medienbusiness, sich diesem Problem zu widmen.
Mythos presserechtliches Informationsschreiben
Im Ausgangspunkt ging es bei der Studie zu präventiven Methoden der Presserechtler, so erläuterte Journalist Moßbrucker am Donnerstag in Berlin, vor allem um die Auswirkungen presserechtlicher Informationsschreiben auf die Arbeit von Journalisten.
Die im Vorfeld einer Berichterstattung versendeten Schreiben sollen Redaktionen per se davon abhalten, eine bestimmte Geschichte zu bringen. Die "Erfindung" dieses nicht kodifizierten Instruments vor rund 15 Jahren nimmt der Berliner Presserechtler Christian Schertz für sich in Anspruch. Es hat, anders als eine Abmahnung nach Veröffentlichung, keine rechtliche Wirkung. Es dient eher der Abschreckung. Schertz ist allerdings auch der einzige der per Interview befragten 20 Top-Presserechtler, der es regelmäßig nutzt. Die anderen Befragten gaben zwar an, es komme ab und an dazu, niemand von ihnen oder den per Online-Umfrage befragten Fachanwälten setzt es aber regelmäßig ein. Von den befragten Journalisten hatten viele noch nie von dem Institut gehört.
Einige der befragten Presserechtler lehnen presserechtliche Informationsschreiben sogar als kontraproduktiv ab. Sie könnten schlafende Hunde wecken, also Journalisten überhaupt erst auf ein Thema aufmerksam machen, das sie vorher gar nicht im Blick hatten. Oder aber einen Jetzt-erst-Recht-Effekt auslösen, der es seinerseits in die Medien schafft ("Jetzt sprechen die Anwälte").
In einem Fall hält auch "Erfinder" Schertz den Einsatz presserechtlicher Informationsschreiben für kontraproduktiv: Gegenüber Bloggern vermeide er eine Konfrontation oft, "um keinen Solidarisierungs-Effekt auszulösen und die Geschichte größer zu machen, als sie eigentlich wäre", wird der Berliner Anwalt in der Studie zitiert.
Hilft nur im Boulevardbereich
Gut zur Durchsetzung von Betroffeneninteressen geeignet scheint das Instrument laut der Studie nur im Bereich des Boulevardjournalismus zu sein. Vor allem in diesem Bereich wird per presserechtlichem Informationsschreiben häufig davor gewarnt, eine Geschichte aus anderen Medien zu übernehmen. Dann wägten die Redaktionen durchaus ab, ob die Story es wert ist, dieses finanzielle Risiko einzugehen und verzichteten auch mal auf Veröffentlichungen.
Im Bereich des Investigativjournalismus dagegen lassen Journalisten sich laut der Studie nicht von der Veröffentlichung ihrer Informationen abhalten. Sie haben häufig über Monate recherchiert, in aller Regel liegen die Fakten bestens nachprüfbar auf dem Tisch. Presserechtliche Informationsschreiben kommen bei ihnen zwar überwiegend als Drohung an, schrecken sie aber nicht ab.
Sie führen allerdings, das belegen die Ergebnisse der Studie, in manchen Fällen zu einer noch intensiveren Recherche und Überprüfung von Fakten. Besonders bei der Berichterstattung über Unternehmen bewerteten die befragten Top-Presserechtler das Instrument als weitgehend wirkungslos.
Die Autoren der Studie sind davon, wie quantitativ bedeutungslos und wie – überwiegend - wirkungslos das Institut ist, offenbar selbst überrascht. Gostomzyk bezeichnete das presserechtliche Informationsschreiben am Donnerstag als "Mythos". Dabei war dieser Streit in der kleinen Filterblase der Presserechtler seit jeher naturgemäß auch einer unter Konkurrenten - und damit nicht nur von Sachargumenten geprägt. So lautet einer der Hauptkritikpunkte der Branche an der "Erfindung" von Christian Schertz, der sich auch in der Studie wiederfindet, seit jeher, dass der versendende Anwalt damit zumindest auch Marketing für sich selbst mache. Vor allem im Bereich der Promi-Berichterstattung lasse sich so gut promoten, wen man vertritt.
Kein Geld mehr für die Pressefreiheit
So kommt eine Untersuchung, die sich ursprünglich mit der Frage beschäftigen wollte, ob präventiv arbeitende Presserechtsanwälte die Pressearbeit gefährden, am Ende vor allem zu dem Ergebnis, dass die wirtschaftliche Lage der privaten Medienunternehmen mittelbar die Pressefreiheit gefährdet.
Vor allem nach der Veröffentlichung der Artikel gebe es in den Verlagshäusern übergreifend die Tendenz, zunehmend aus Kostengründen auf Rechtsschutz zu verzichten. "Es gibt nach der Veröffentlichung in der Regel kein ökonomisches Interesse mehr daran, zu kämpfen", erklärte Gostomzyk. Die Durchsetzung der eigenen Rechte, also der Pressefreiheit, werde mittlerweile von regionalen Tageszeitungen bis hin zu überregionalen Medien als Kostenfaktor begriffen. Besonders verführerisch sei die Unterlassungserklärung, mit der die Presse erklärt, nicht mehr zu wiederholen, was sie schrieb, und der Anwalt verzichtet auf die Erstattung seiner Kosten.
Bei vielen regionalen Medien kommt es so weit erst gar nicht. Oft ohne eigene Rechtsabteilung, jedenfalls aber ohne genug Gelder und Ressourcen in den Redaktionen verzichten sie auf zeit- und kostenintensive investigative Recherchen zunehmend ganz. So sind die einzigen Unternehmen, die noch regelmäßig für die Pressefreiheit durch die Instanzen ziehen, der Springer Verlag und Der Spiegel.
Präzedenzfälle für die Pressefreiheit werden nicht mehr geklärt
Diese Rechtsstreitigkeiten sind nicht billig, auch weil sie bis in die die letzte Instanz müssen. Tobias Gostomzyk erklärte, dass die Präzedenzfälle, die zugunsten der Presse ausgehen sollen, es überhaupt erst einmal zum Bundesgerichtshof schaffen müssten. Die unteren Instanzen der häufig angerufenen Gerichte in den Medienstädten entschieden traditionell eher zugunsten des Persönlichkeitsrechts. "Aber genau in den Grenzfällen wird bei der Abwägung zwischen Persönlichkeitsrecht auf der einen und den Medienfreiheiten auf der anderen Seite das Recht weiterentwickelt", so Gostomzyk. Und das Presserecht besteht fast ausschließlich aus Kasuistik.
So entsteht durch mangelnde Waffengleichheit ein strukturelles Problem, das Sarah Lincoln von der Menschenrechtsorganisation Gesellschaft für Freiheitsrechte als schleichende Verschiebung des Presserechts beschrieb - "zugunsten von Prominenten und Unternehmen und zu Lasten der Pressefreiheit. Langfristig fehlen so Präzedenzfälle für die Pressefreiheit, wenn niemand für sie streitet".
Die wirtschaftliche Situation der Verlage hat die Studie ebenso wenig beleuchtet wie die Annahme eines strukturellen Ungleichgewichts und die Konsequenzen für die Pressefreiheit. Die Autoren schlagen vor, dass Marktbeteiligte wie der Presserat, Gewerkschaften, aber auch die Verlage sich an einen Tisch setzen sollten. Ein Gremium gründen, unterfüttert mit einem Fonds, der dann für die Finanzierung als grundsätzlich wichtig identifizierter Fälle genutzt werden kann. Auch das würde allerdings – neben Zuständigkeiten, die in den vorhandenen Gremien kaum zu verorten sind – auch Gelder voraussetzen, über die derzeit kaum jemand verfügt. Das größte Problem des kritischen Journalismus sind derzeit damit nicht die Presserechtsanwälte.
Studie zu präventiven Medienanwaltsstrategien: . In: Legal Tribune Online, 08.08.2019 , https://www.lto.de/persistent/a_id/36957 (abgerufen am: 04.11.2024 )
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