Das BVerfG hat deutliche Hinweise zur Befreiung von Syndikusanwälten gegeben – doch die Deutsche Rentenversicherung ignorierte sie. Nach einem Urteil des SG Freiburg wird es Zeit, dass sich das ändert, meint Martin W. Huff.
Mehr als 15.000 Syndikusrechtsanwälte dürften zurzeit in Deutschland tätig sein. Die Zulassungspraxis der Rechtsanwaltskammern hat sich – bis auf wenige Grundsatzfragen, die im Jahr 2018 voraussichtlich der Anwaltssenat des Bundesgerichtshofs klären wird – eingespielt. Doch die Auseinandersetzungen mit der Deutschen Rentenversicherung Bund (DRV) sind für viele Syndikusrechtsanwälte noch nicht zu Ende.
Grundsätzlich gilt: Wer nach der Neuregelung der Bundesrechtsanwaltsordnung zum 1. Januar 2016 als Syndikusrechtsanwalt zugelassen ist, hat nach § 6 des Sechsten Buches des Sozialgesetzbuchs (SGB VI) auch einen Anspruch darauf, von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung befreit zu werden.
Der Gesetzgeber hat dabei allerdings eine ausgesprochen komplizierte Übergangsregelung in § 231 Absatz 4b SGB VI geschaffen. Kern dieser Vorschrift ist unter anderem, dass eine rückwirkende Befreiung von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung zugunsten des anwaltlichen Versorgungswerks auch für die Vergangenheit möglich ist. Dabei ist es nur erforderlich, dass ein Antragsverfahren noch nicht rechtkräftig abgeschlossen wurde.
Einschränkend sieht das Gesetz vor, dass für Zeiten vor dem 1. April 2014 eine Rückwirkung nur dann möglich ist, wenn in dieser Zeit einkommensbezogene Pflichtbeiträge zum Versorgungswerk gezahlt worden sind. Wer also vor diesem Zeitpunkt seine Beiträge in die DRV und nur die Mindest- oder Pflichtbeiträge (hier gibt es bei den Versorgungswerken unterschiedliche Regelungen) in das anwaltliche Versorgungswerk zahlte, kann keine Rückabwicklung in Anspruch nehmen.
Nun hat sich das Sozialgericht (SG) Freiburg in einem ersten Urteil (Entscheidung vom 14.11.2017, Az. S 20 R 2937/17) ausdrücklich der Auffassung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) angeschlossen und die DRV dazu verurteilt, dann, wenn Mindest- und Pflichtbeiträge vor dem 1. April 2014 geleistet wurden, die Befreiung auszusprechen.
Viele Syndikusanwälte haben eingezahlt, bekommen aber nichts raus
Das ist für viele der rund 10.000 betroffenen Syndikusrechtsanwälte schmerzlich. Sie werden ab dem 1. April 2014 von der Versicherungspflicht befreit, haben aber zum Teil einige Monate oder auch Jahre in die gesetzliche Rentenversicherung eingezahlt, ohne die Wartezeit von 60 Beitragsmonaten erreicht zu haben und können deshalb keine Anwartschaften aus diesen Zahlungen erwarten. Eine Rückzahlung der bei der DRV eingezahlten Beiträge ist gemäß § 210 SGB VI zwar möglich, aber nur auf den Arbeitnehmeranteil. Der Arbeitgeberanteil verbleibt bei der DRV.
Besonders ärgerlich wird dies dadurch, dass diejenigen Rechtsanwälte, die unter dem Radar geblieben sind und bei denen keine Ummeldung zur DRV durch den Arbeitgeber stattfand, von der Vertrauensschutzregelung der DRV vom 12. Dezember 2014 profitieren. Wen der Arbeitgeber, so die Regelung, zum 1. Januar 2015 zur DRV anmeldete, für den waren bis dahin gezahlten Beiträge in das Versorgungswerk sicher, unabhängig davon, ob er für die Zeit davor über eine wirksame Befreiung verfügte oder nicht.
Diesen Punkt hat sich das BVerfG im Rahmen der gegen die Urteile des Bundessozialgerichts eingelegten Verfassungsbeschwerden sehr genau angesehen – und sich zum Beispiel des Satzungen der Versorgungswerke vorlegen lassen. Die Verfassungsrichter haben die Verfassungsbeschwerden dann zwar nicht mehr zur Entscheidung angenommen (Beschlüsse vom 19.7.2016 und 22.7.2016, Az. 1 BvR 2584/14 und 1 BvR 2384/14). Sie haben aber festgestellt, dass, wenn die gesetzliche Regelung des § 231 Abs. 4b SGB VI verfassungskonform ausgelegt wird, die Verfassungsbeschwerden deswegen keinen Erfolg mehr haben können, weil das Ziel der Beschwerdeführer, die rückwirkende Befreiung zu erreichen, bei der entsprechenden Auslegung erreicht werde.
2/2 DRV zwingt Syndikusanwälte in weitere Auseinandersetzungen
Die Verfassungsrichter stellten klar, dass nach ihrer Auffassung der Begriff "einkommensbezogene Pflichtbeiträge" im Sinne des § 231 Absatz 4b SGB VI auch Mindest- und Pflichtbeiträge umfasse, die jeder zugelassene Rechtsanwalt an sein Versorgungswerk zu zahlen hat. In den beiden Fällen handelte es sich um die Versorgungswerke der Rechtsanwälte in Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg. In Nordrhein-Westfalen beträgt der Mindestbeitrag ein Zehntel, in Baden-Württemberg liegt der Pflichtbeitrag bei drei Zehnteln. die Voraussetzung der Zahlung eines Mindest-und Pflichtbeitrags erfüllt dabei nahezu jeder betroffene Anwalt, der jetzt seine Zulassung als Syndikusrechtsanwalt erhalten hat.
Doch wer hoffte, dass die DRV diese Aussagen der Verfassungsrichter akzeptieren würde, sah sich getäuscht. Bis heute verweigert die DRV die Umsetzung der neuen Definition. Sie gibt in den laufenden Sozialgerichtsverfahren keine Anerkenntnisse ab, erlässt Bescheide und Widerspruchsbescheides und zwingt damit sehr viele Syndikusrechtsanwälte in weitere Auseinandersetzungen. Dies geschieht mit ausdrücklicher Rückendeckung des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales.
Nach der Entscheidung des SG Freiburg können die Beiträge auch für die Zeit vor dem 1.4.2014 von der Rentenversicherung ins Versorgungswerk überführt werden. Das Sozialgericht schreibt kurz und knapp: "Die Klägerin hat entgegen der Auffassung der Beklagten auch für die Zeit vom 1.2.2013 bis zum 31.3.2014 einkommensbezogene Pflichtbeiträge an ein berufsständisches Versorgungswerk gezahlt. Sie hat an das Versorgungswerk der Rechtsanwälte in Baden-Württemberg in dieser Zeit Mindestbeiträge in Höhe von 30 % des Regelpflichtbeitrages gezahlt. Bei diesem Pflicht Mindestbeiträge handelt es sich um einkommensbezogene Pflichtbeiträge im Sinne von § 231 Absatz 4b SGB VI." Es folgt dann ein Verweis auf das BVerfG.
Die DRV dürfte bei ihrer Meinung bleiben – und in Berufung gehen
Es gibt also einen Hoffnungsschimmer für viele Syndikusrechtsanwälte, dass sie auch für Zeiten vor dem 1. April 2014 ihre Beiträge in das anwaltliche Versorgungswerk überführen können. Es ist allerdings zu vermuten, dass die DRV dieses Urteil nicht akzeptieren wird und in die Berufungsinstanz geht. Nach Schätzungen dürften insgesamt mehrere tausend Sozialgerichtsverfahren anhängig sein, in denen diese Frage eine Rolle spielt.
Gut wäre es allerdings, wenn die DRV von ihrer Meinung abginge, dass das BVerfG falsch entschieden und die Problematik der Mindest- und Pflichtbeiträge nicht gesehen habe. Denn in den Verfahren waren genau diese Fragen intensiv geklärt worden.
Es wäre wünschenswert, wenn die DRV als Behörde bzw. Sozialversicherungsträger sich an die Vorgabe der Verfassungsrichter hielte, wozu sie bisher aber leider nicht bereit ist. Sie gibt damit an vielen Stellen auch Geld der Versicherten für unnötige Prozesse aus, dass sicherlich anders eingesetzt werden könnte.
Martin W. Huff ist Geschäftsführer der Rechtsanwaltskammer Köln und Rechtsanwalt in der Kanzlei Legerlotz Laschet Rechtsanwälte und befasst sich seit langem mit dem Befreiungsrecht der Freiberufler. Er hat auch eines der beiden Verfassungsbeschwerdeverfahren vor dem Bundesverfassungsgericht geführt.
Martin W. Huff, SG Freiburg zu Syndikusanwälten: Immer Ärger mit der Rentenversicherung . In: Legal Tribune Online, 07.12.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/25899/ (abgerufen am: 28.03.2024 )
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