Das Berufsrecht der Anwaltsgesellschaften ist veraltet und soll modernisiert werden. Doch wie radikal? BRAK und DAV sind sich in wichtigen Punkten uneinig. Das könnte auch den Bearbeitungsprozess im Bundesjustizministerium verzögern.
Mit wem sollen sich Anwälte künftig zusammenschließen dürfen? Die Diskussion um ein modernes anwaltliches Gesellschaftsrecht nimmt allmählich auch in Deutschland Fahrt auf. Zahlreiche europäische Staaten haben ihren Anwälten längst die unterschiedlichsten Rechtsformen geöffnet, so etwa Personengesellschaft, Kapitalgesellschaft und sogar Genossenschaften. In Deutschland dagegen ist die Situation weiter restriktiv: Es gilt immer noch die Trennung zwischen den Handelsgesellschaften und den Rechtsformen, die den Angehörigen der freien Berufe offenstehen. Für den Deutschen Anwaltverein (DAV) krankt das deutsche Recht der Personengesellschaften daher "seit Jahrzehnten an der Untätigkeit des Gesetzgebers, der zwar in Permanenz Reformen des Kapitalgesellschaftsrechts verabschiedet, die Personengesellschaften aber in seinen Reformüberlegungen unberücksichtigt lässt."
Bei aller Unzufriedenheit: Jetzt scheint zumindest die Diskussion um eine Reform des anwaltlichen Gesellschaftsrechts ein gutes Stück voranzukommen: Nachdem die Bundesrechtsanwaltskammer (BRAK) im Mai ihren Vorschlag präsentiert hatte, diskutierte der DAV am Donnerstag erstmals öffentlich seinen Vorschlag, der von dem renommierten Berufsrechtler Prof. Dr. Martin Henssler ausgearbeitet worden war. Anwesend waren bei der Präsentation und anschließender Diskussion natürlich zahlreiche Anwälte, aber auch die Vertreter des Bundesjustizministeriums (BMJV), die – so hatte es zumindest den Anschein - sich eifrig Notizen machten.
"Das derzeitige anwaltliche Berufsrecht der Anwaltsgesellschaften ist ein in sich unstimmiger Torso. Einerseits haben wir große Regulierungsdefizite etwa bei der Anwaltssozietät, auf der anderen Seite haben wir eine völlig überregulierte Anwaltsgesellschaft in Form der Rechtsanwalts-GmbH", beklagte Henssler gegenüber LTO. Ziel der Reform, so der Berufsrechtler, müsse es daher sein, "eine auf alle Anwaltsgesellschaften zugeschnittene und für alle passende Gesamtregelung zu erarbeiten und zwar nach guter alter deutscher Rechtstradition mit einem allgemeinen Teil, der für alle Anwaltsgesellschaften gilt, und einem besonderen Teil mit Sonderregelungen zum Beispiel für Kapitalgesellschaften und zulassungspflichtige interprofessionelle Gesellschaften".
"Zeit der Insellösungen ist vorbei"
Wesentliche Gemeinsamkeit der Vorschläge von BRAK und DAV ist die Einführung der Rechtsanwalts GmbH & Co. KG: Der Zusammenschluss von Rechtsanwälten in dieser Rechtsform ist auf Grundlage der derzeitigen Gesetzeslage und der Rechtsprechung nicht möglich. Denn bisher ist Gegenstand einer KG immer ein Handelsgewerbe. Wie im BRAK-Entwurf sollen deshalb die Handelsgesellschaften auch nach dem Henssler-Entwurf für die Rechtsanwälte geöffnet werden. Weiter sieht der DAV-Diskussionsvorschlag vor, dass in einem neugefassten § 59a Bundesrechtsanwaltsordnung (BRAO) auch sämtliche europäische Rechtsformen, die in einem Mitgliedstaat der EU zugelassen sind, für die Berufsausübung in Deutschland gewählt werden können.
Allerdings: Bereits der Titel der DAV-Veranstaltung deutet daraufhin, dass sich die Vorschläge von BRAK und DAV in ihrem Ansatz unterscheiden. "Große BRAO-Reform" heißt es beim DAV, während die BRAK lediglich in einigen Teilbereichen Änderungen anstrebt, die die anwaltliche Organisationsform in der BRAO betreffen. Der Henssler-Entwurf des DAV wählt einen umfassenden Ansatz: "Die Zeit der Insellösungen ist vorbei", bekräftigte DAV-Präsident Ulrich Schellenberg gegenüber LTO.
Dem DAV geht es darum, an manchen Stellen der BRAO Regulierung abzubauen und an anderen Stellen neue, unbürokratische Regelungen zu schaffen. Denn: "Das anwaltliche Gesellschaftsrecht soll der Rechtswirklichkeit angepasst werden", heißt es im Entwurf. Anders als 1959 – als die BRAO in Kraft trat – agierten heute Berufsausübungsgesellschaften in den unterschiedlichsten Ausprägungen auf dem Rechtsdienstleistungsmarkt – von der BGB-Gesellschaft über die PartGmbB oder die LLP bis hin zum international agierenden Kanzleikonzern. Während etwa die BGB-Gesellschaft rudimentär geregelt sei, sei die Anwalts-GmbH überreguliert.
Interprofessionelle Sozietät erleichtern
Anders als im BRAK-Entwurf wird im Diskussionsvorschlag des DAV auch das Ziel vorangetrieben, die Zusammenarbeit von Anwälten mit anderen Berufen (sogenannte interprofessionelle Sozietät) zu erleichtern. Und dass an dieser Stelle Reformdruck besteht, ist unzweifelhaft: Dazu beigetragen hat nämlich unter anderem auch das Bundesverfassungsgericht (BVerfG). Dieses hatte die Mehrheitserfordernisse für Anwälte in der Anwalts-GmbH gekippt und die Zusammenarbeit von Anwälten mit Arzt und Apotheker erlaubt (der Fall "Horn"), während der Bundesgerichtshof am 29.1.2018 den Zusammenschluss mit einer Mediatorin abgelehnt hatte.
Bereits in seinem Eckpunktepunktepapier vom Dezember 2017 hatte der DAV die geltende Rechtslage beklagt: "Die Entscheidungen des BVerfG zu den Mehrheitsverhältnissen sowie in der Sache Horn haben wesentliche Annahmen für verfassungswidrig erklärt. Durch die minimalinvasiven Entscheidungen arbeiten wir aber heute immer noch mit diesen teilverfassungswidrigen Vorschriften. Hinzu kommen die Neuregelungen von § 203 StGB und anderen Vorschriften, wonach sich die Zusammenarbeit von Anwälten mit externen Dienstleistern völlig anders darstellt als davor. Das heutige System erscheint danach antiquiert, in sich widersprüchlich, lückenhaft und zudem intransparent."
Der Henssler-Entwurf will das nun ändern: Die Initiativstellungnahme des DAV sieht eine Öffnung und Erweiterung des Personenkreises vor. "Auch nicht anwaltliche, ja sogar gewerbliche Tätigkeiten dürfen in der Gesellschaft ausgeübt werden, wenn es nicht zwingende Sachgründe gibt, die ein Verbot rechtfertigen", erläutert Henssler im Gespräch mit LTO die Idee.
In einem neugefassten § 59a BRAO soll Anwälten die gemeinschaftliche Berufsausübung mit Angehörigen anderer Berufe werden, "wenn diese Berufe mit dem Beruf des Rechtsanwalts, insbesondere seiner Stellung als unabhängiges Organ der Rechtspflege, vereinbar sind und die Verbindung die anwaltliche Unabhängigkeit, die Pflicht zur Verschwiegenheit und das Verbot der Vertretung widerstreitender Interessen nicht gefährden kann. Zu diesen vereinbaren Berufen sollen u.a. Architekten und Ingenieure, Mediatoren, beratende Volks- und Betriebswirte, aber auch hauptberufliche Sachverständige gehören. Und natürlich auch Berufsgeheimnisträger im Sinne von § 203 StGB, wie z.B. Ärzte und Psychologen.
Nicht-anwaltliche Berufsträger unter Kammeraufsicht
Wenn sich die unterschiedlichen Berufsträger künftig leichter in postulationsfähigen Berufsausübungsgesellschaften zusammenschließen können, so machte auch das DAV-Symposium deutlich, stellen sich eine Reihe von Folgefragen, die etwa die Kammeraufsicht, Haftung und Versicherungsaspekte betreffen. Wird die BRAK künftig auch Ärzte oder Architekten aufnehmen müssen? Ist die neue Gesellschaft künftig selber Träger beruflicher Rechte und Pflichten? Derzeit knüpft die Haftung im Wesentlichen an Pflichtverletzungen des einzelnen Anwalts an. Künftig würde wohl auch bei einem Organisationsverschulden der Gesellschaft die Kammeraufsicht greifen. Der Henssler-Entwurf sieht jedenfalls vor, dass alle, also auch nichtanwaltliche Gesellschafter, unter den Kernbereich der anwaltlichen Berufspflichten fallen sollen.
"Die Rechtsanwaltskammer übt die Aufsicht natürlich nur im Bereich der anwaltlichen Berufspflichten aus, Angehörige fremder Berufe werden aber nach meinem Entwurf den anwaltlichen Berufspflichten unterworfen, unterliegen damit insoweit auch der Aufsicht der Rechtsanwaltskammer. Aus meiner Sicht ist das bei einer Öffnung des Kreises der sozietätsfähigen Personen unverzichtbar, weil es einer gewissen Kontrolle über den dann deutlich ausgedehnten Personenkreis bedarf", erläutert Henssler.
Strittig sei, ob ein Arzt, der der Anwaltsgesellschaft angehört, neben seiner Ärztekammer-Mitgliedschaft künftig auch Mitglied in der BRAK sein müsse. "Nach meiner Meinung ist das nicht notwendig, weil nach der Rechtsprechung des BVerfG eine Kammer unter gewissen Voraussetzungen auch Befugnisse gegenüber Nichtmitgliedern hat", so der Henssler, der sich seit 26 Jahren mit dem anwaltlichen Gesellschaftsrecht befasst.
Ein Dissens mit der BRAK bahnt sich nicht nur bei der Öffnung des Kreises der sozietätsfähigen Personen, sondern auch beim Thema "Fremdbesitz" an: Hensslers Entwurf will es ermöglichen, dass auch Gesellschafter, die ihren Beruf nicht aktiv in der Gesellschaft ausüben, als Gesellschafter auftreten dürfen. Allerdings unter gewissen Einschränkungen: Mehr als 25 Prozent Fremdkapital dürfe es nicht geben, außerdem dürfte es sich bei den "Fremden" nicht um Gesellschaften handeln, die keine anwaltlichen Berufsausübungsgesellschaften sind.
BMJV: Reform noch in dieser Legislatur
Ob sich am Ende das BRAK-Modell oder ein DAV-Vorschlag im zuständigen BMJV eher durchsetzen wird, bleibt abzuwarten. Henssler zeigte sich gegenüber LTO zuversichtlich: "Ich bin recht optimistisch, dass wir eine komplette Neustrukturierung der §§ 59 ff. BRAO bekommen werden und nicht das etwas engere BRAK-Modell, das letztlich doch die eklatanten Mängel der bestehenden Struktur nicht vollständig beseitigen kann, weil es versucht mit minimal-invasiven Eingriffen auszukommen, um den Gesetzgeber nicht zu überfordern."
Der renommierte Berufsrechtler hofft zudem auf ein Entgegenkommen der BRAK: "Ich kann mir gut vorstellen, dass bei einem Signal aus dem BMJV, dass man zu einer größeren Lösung bereit ist, eine entsprechende Verständigung möglich ist, und dann bleibt nur noch eine sehr überschaubare Zahl von Streitpunkten."
Für das weitere Fortschreiten der Reformarbeiten im zuständigen BMJV dürfte eine Verständigung von DAV und BRAK zumindest hilfreich sein. Wie die zuständige Abteilungsleiterin für Berufsrecht im BMJV, Marie Luise Graf-Schlicker, auf dem DAV-Symposium mitteilte, gebe es jedenfalls in der Bundesregierung derzeit noch keine abgestimmte Meinung.
Graf-Schlicker, die den Entwurf Hensslers lobte, zeigte sich jedoch zuversichtlich, dass trotz diverser Gesetzesvorhaben, die das Ministerium noch zuvörderst in der Pipeline habe, auch eine Reform des anwaltlichen Gesellschaftsrechts noch in dieser Wahlperiode auf den Weg gebracht werden könne. Und wenn auch im Ministerium noch die meisten Details geprüft werden - eine wichtige Vorgabe werde das neue Gesetz allerdings nach den Worten der BMJV-Vertreterin auf jeden Fall beinhalten: "Alle Regelungen sollen deutlich machen, dass der Rechtsanwalt Element der Rechtspflege ist und eine wichtige Funktion im Rechtsstaat erfüllt." Sie verriet: Das BMJV werde in Kürze eine Kampagne für den Rechtsstaat starten.
Reform des anwaltlichen Gesellschaftsrechts: . In: Legal Tribune Online, 21.09.2018 , https://www.lto.de/persistent/a_id/31083 (abgerufen am: 09.12.2024 )
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