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Neue Regeln für den Rechtsmarkt: Steine statt Brot für Legal-Tech-Unter­nehmen?

von Dr. Philipp Plog

11.01.2021

Ein Roboter hält ein Paragraphenzeichen

(c) Andrey Popov/stock.adobe.com

Am 20. Januar möchte die Bundesregierung ein Gesetz zum anwaltlichen Berufsrecht beschließen. Im Vergleich zu einem früheren Referentenentwurf gibt es nun neue Weichenstellungen für Legal Techs, wie Philipp Plog erläutert.

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Als im November vergangenen Jahres vom Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz (BMJV) der "Entwurf eines Gesetzes zur Förderung verbrauchergerechter Angebote im Rechtsdienstleistungsmarkt" veröffentlicht wurde, sprachen manche Berufsrechtler von einem Gesetz, das berufsrechtlich von enormer Tragweite sei. Aber sie machten auch Defizite aus, die sich vor allem um die Frage drehte: "Warum dürfen Anwälte nicht, was Inkassounternehmen erlaubt ist?" So gab die erste Version des Referentenentwurfs tatsächlich keine präzise Antwort darauf, was eigentlich "Inkasso" ist und wo für Inkassounternehmen die Grenzen zur für sie unerlaubten Rechtsberatung liegen, die sie nicht überschreiten dürfen.

An diesem Punkt hat sich nun etwas geändert: So unternimmt das BMJV in einer jüngeren Version vom 30. Dezember nun einen Versuch, zu definieren, was (noch) "Inkasso" ist. Schließlich war dieser auch Knackpunkt auch im Lexfox-Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) vom November 2019 offengeblieben.

Der BGH hatte einige "Hilfsmaßnahmen", die im Zusammenhang mit der Durchsetzung der Mietpreisbremse gegen den Vermieter stehen, als "noch" erlaubt bezeichnet. Das war die Aufforderung an den Vermieter, künftig nicht mehr die überhöhte Miete zu verlangen, und die Rechtsberatung der Mandanten zu einer künftigen Mietzahlung nur unter Vorbehalt. Was aber "nicht mehr" Inkasso ist, darüber wird in Deutschland seitdem gestritten. Die Instanzgerichte haben das vor Allem im LKW-Kartell und bei den Diesel-Fällen genutzt, um Prozessvehikeln unter Hinweis auf fehlende "inkassotypische" Vorgehensweise die Aktivlegitimation zu entziehen.

BMJV zum Inkassobegriff

Im jüngsten Vorschlag aus dem BMJV soll "Inkasso" nun auf die eigentliche Forderungsdurchsetzung zurückgeführt werden. Der Entwurf entkrampft damit den strapazierten Rechtsbegriff, der heute für fast alles herhalten muss, was nicht anwaltliche Rechtsberatung ist. Er will aber auch das alte Regime zwischen Anwälten und dem Rest der Welt ein Stückweit wiederherstellen.

Das jedoch ist nicht mehr zeitgemäß.  Denn es macht aus Sicht der Mandanten keinen Unterschied, ob ihr rechtlicher Berater eine Forderung durchsetzt (künftig erlaubt), an ihrer Entstehung mitwirkt (Nebenleistung?) oder zum Beispiel fremde Forderungen nur abwehrt (nicht erlaubt) – entscheidend ist, ob die Qualität der Rechtsberatung gesichert ist und der finanzielle Aufwand in einem vernünftigen Verhältnis dazu steht.

In einigen Rechtsgebieten haben nicht-anwaltliche Akteure bewiesen, dass sie seit Jahren einen festen Platz in der deutschen Beratungslandschaft haben (Fluggastentschädigungen, Mietpreisbremse, Geschwindigkeitsübertretungen, Hartz-IV-Bescheide, Kündigungsschutz, Diesel-Entschädigung etc.). Häufig sind es kleine Forderungen, die sich für eine skalierte Bearbeitung eignen. Diese nicht anwaltlichen-Akteure sollen nun in der Gesetzessystematik auf "Forderungsdurchsetzung" zurückgeführt werden, obwohl die Beratung darüber hinausgeht und gelingt. Das widerspricht der Entwicklungsoffenheit des RDG, die der BGH Lexfox-Urteil formuliert hat, und hemmt Innovation.

Bei den Regelungen zur Anwaltschaft gibt es dagegen keine Änderungen, es bleibt beim Stand vom November 2020. Damit bliebe es bei der Schieflage, dass Anwälte mit Blick auf die Gestaltung von Vergütungsmodellen (Erfolgshonorar, Provisionen, Prozessfinanzierung und Aufnahme von Fremdkapital) einen verheerenden Wettbewerbsnachteil gegenüber nichtanwaltlichen Legal Techs haben, die zum Teil dieselben Märkte bespielen. 

Kein klarer Rechtsrahmen für neue Rechtsdienstleister

Der Entwurf hat auch keine Antwort für neue Anbieter auf dem Rechtsdienstleistungsmarkt, die nichts mit "Inkasso", also der Durchsetzung von Geldforderungen zu tun haben. Zum Beispiel Anbieter von Vermittlungsplattformen für Rechtsdienstleistungen wie advocado, Betreiber von „Selbstbedienungsangeboten“ wie Vertragsgeneratoren (zum Beispiel Smartlaw) oder Angebote von Rechtsschutzversicherern.

Doch auch sie brauchen einen verlässlichen Rechtsrahmen. Sie bedienen ein gesellschaftliches Bedürfnis nach niedrigschwelligen und kostengünstigen Angeboten, die den Zugang zum Recht erleichtern. Es braucht einen neuen RDG-Erlaubnistatbestand “außergerichtliche Rechtsberatung”, der Rechtsdienstleistungen in sämtlichen Gebieten regelt, soweit diese nicht Anwälten vorbehalten sind.

Was (noch) Inkasso ist

Der BGH hatte im November 2019 entschieden, dass "Inkasso" nicht nur die eigentliche Forderungsdurchsetzung, den Online-Mietpreisrechner und die Rüge der überhöhten Miete umfasst, sondern auch mietrechtliche Beratung, die über die eigentliche Forderung hinausgeht – wie die Aufforderung an den Vermieter, künftig nicht mehr die überhöhte Miete zu verlangen.

Gegen die Einordnung der "Hilfsmaßnahmen" ("noch") als Inkassotätigkeit wendet sich das BMJV jetzt ausdrücklich, und weist die BGH-Interpretation des Inkassobegriffs als "entwicklungsoffen" als "zu weitgehend" zurück.

Die "weitergehenden Aktivitäten" sollen künftig nur noch am Maßstab der Nebenleistung (§ 5 RDG) gemessen werden, dürfen also keinen zentralen wirtschaftlichen Zweck der Kernleistung mehr ausmachen. In diesem Zusammenhang wird klargestellt, dass die "Kernleistung", mit der die Nebenleistung verknüpft wird, eine Rechtsdienstleistung sein darf, aber nicht muss.

Volle rechtliche Prüfung durch Inkasso-Unternehmen

Umgekehrt stellt das Papier jetzt klar, dass es den Inkasso-Dienstleistern im Kernbereich der Forderungsdurchsetzung erlaubt ist, eine volle rechtliche Prüfung durchzuführen (§ Abs. 2 S. 1 RDG-E: „rechtliche Prüfung und Beratung"). Das war allerdings vom Bundesverfassungsgericht (Beschl. v. 20.2.2002, Az. 1 BvR 423/99) und vom BGH bereits geklärt worden, vollzieht also nur den Status Quo.

Außerdem wird mit Blick auf die myright-Entscheidungen der Landgerichte München, Ingolstadt und Augsburg im Fließtext klargestellt, dass es für die Einordnung als "Inkasso" unschädlich ist, dass ein Legal-Tech-Geschäftsmodell nicht auf außergerichtliche Einziehung gerichtet ist oder dass eine außergerichtliche Einigung im konkreten Fall nicht realistisch ist.

Das spricht dafür, dass Forderungen im Wege der Inkassozession auch von Prozessvehikeln künftig gebündelt werden dürfen. Auch dies war ein Punkt, den die Instanzgerichte in den Verfahren von myright, financialright und anderen (kartellrechtlichen) Vehikeln aufgegriffen hatten, um den Akteuren die Überschreitung ihrer Rechtsberatungskompetenz vorzuwerfen.  Das wäre erfreulich, weil es mehr Rechtssicherheit schafft.

Prozessfinanzierung und Interessenkonflikt

Was den Marktakteuren allerdings weiterhin fehlt, ist eine Klärung der Frage, wie stark externe Prozessfinanzierer beteiligt sein dürfen.

Zuletzt gab es viel Unsicherheit bei der Frage, welche Rechte externe Prozessfinanzierer etwa bei der Gestaltung der Prozessstrategie haben dürfen, wenn zahlreiche Ansprüche von Verbrauchern an Prozessvehikel abgetreten werden.  Vor Allem im Diesel-Streit wurde hier von den Herstellern ein Interessenkonflikt bei Angreifern wie myright behauptet (§ 4 RDG), weil sie mit Blick auf die Kosten der Durchsetzung andere Interessen als die Eigentümer der Autos hätten. Die Schwelle zum Interessenkonflikt ist nach der Begründung des Referentenentwurfs überschritten, "wenn der Prozessfinanzierer Veto-Rechte im Hinblick auf Verfahrenshandlungen hat, wie z.B. bei einem Vergleichsabschluss oder bezüglich der Einreichung einer Klage."

Insgesamt verhält sich der Entwurf noch immer recht kritisch zur Prozessfinanzierung. Sie ist Gegenstand der neuen Informationspflicht des Inkassodienstleisters ("die mit dem Prozessfinanzier im Hinblick auf die Prozessführung getroffenen Vereinbarungen") und soll der "inhaltlichen [Vorab-]Kontrolle" durch die Justizaufsicht unterliegen.

Vorabprüfung der Geschäftsmodelle durch Behörde

In der neuen Fassung des Referentenentwurfs wird erstmals ausdrücklich ausgesprochen, dass die RDG-Aufsicht die Geschäftsmodelle der Anbieter vorab prüft, und dieser Prüfung eine "Tatbestandswirkung" im späteren Zivilprozess um die Forderungsdurchsetzung zukommen kann. Die Aufsicht prüft, ob die Grenzen des Inkassobegriffs eingehalten sind, ob weitergehende "Nebenleistungen" zulässig sind und ob die Sachkunde des Dienstleisters ausreicht, und zwar auch bei späteren Änderungen des Geschäftsmodells.

Die Aufsichtsbehörde bekommt außerdem die Möglichkeit, Rechtsdienstleistungen mit "besonderer Vertraulichkeit oder Verschwiegenheit" oder "besonders komplexen rechtlichen Erwägungen" den Rechtsanwälten vorzubehalten – eine einigermaßen bizarre Hintertür, entgegen der Rechtsprechung des BVerfG und des BGH.

In der Praxis wird sich die Justiz-Aufsicht darauf einstellen müssen, eine angemessene Prüfung der Geschäftsmodelle zu stemmen.  Und eine zu stark administrativ geprägte Aufsichtsstruktur, die mehr Rechtssicherheit schafft, aber Innovation durch umständliche Prüfungsprozesse hemmt, wäre sogar ein echter Rückschritt.

Dr. Philipp Plog ist Managing Partner von Fieldfisher in Deutschland. Er berät zu digitalen Geschäftsmodellen, insbesondere bei Fragen der vertraglichen Ausrichtung, Verteidigung und Lizensierung. Er vertritt eine Reihe von Legal Techs und ist Vorstandssprecher des Legal Tech Verbands in Deutschland.

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Neue Regeln für den Rechtsmarkt: Steine statt Brot für Legal-Tech-Unternehmen? . In: Legal Tribune Online, 11.01.2021 , https://www.lto.de/persistent/a_id/43945/ (abgerufen am: 09.06.2023 )

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