Auch österreichische Anwälte haben ein Recht auf Privatsphäre. Treten sie aber mit ihrem Sexualleben an die Öffentlichkeit, muss ihre besondere Funktion im Rechtsstaat berücksichtigt werden. Das hat der österreichische OGH geurteilt.
Ein österreichischer Rechtsanwalt, der sich leicht bekleidet mit einer Prostituierten ablichten lässt und durch öffentliche Äußerungen eine Vorliebe für kürzere Beziehungen mit "Klassefrauen" zu erkennen gibt, verletzt Ehre und Ansehen des Berufsstandes. Das hat der österreichische Oberste Gerichtshof als Disziplinargericht für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter (OGH) (Urt. v. 29.11.2022, Az. 20Ds5/22y) entschieden und damit das Rechtsmittel des beschuldigten Rechtsanwalts zurückgewiesen. Da der OGH die letzte Instanz ist, ist die Verurteilung zu einer Disziplinarstrafe in Form der Geldbuße in Höhe von 4.000 Euro unanfechtbar.
Rechtsanwalt Martin Mahrer hatte im September 2020 in einem Prostitutionslokal in Wien vor einem Kamerateam des österreichischen Senders ATV "bekleidet in Leibwäsche und einem Bademantel" zumindest vorgegeben, die Dienste einer Prostituierten in Anspruch zu nehmen. Die Aufnahmen wurden von ATV am 22. April 2021 in der Sendung "Geil – so treibt's Österreich" ausgestrahlt. In einem kurz darauf mit einem Journalisten der Tageszeitung Heute geführten Telefonat äußerte er, dass er Frauen aus dem ehemaligen Ostblock bevorzugen würde, weshalb für ihn eine Teilnahme an der ATV-Sendung "Das Geschäft mit der Liebe" durchaus vorstellbar sei, allerdings seien dort keine "Klassefrauen mit an Bord". Diese Äußerungen wurden am 28. April 2021 in einem Artikel der Online-Ausgabe der Tageszeitung Heute veröffentlicht.
Prostitution häufig mit menschlichem Leid verbunden
Die Anwaltskammer des OGH stellte fest, das Standesansehen werde durch das Posieren mit der Prostituierten verletzt. Gerade weil die Prostitution regelmäßig mit besonderem menschlichen Leid einhergehe, seien die Feststellungen des Disziplinarrats insoweit fehlerfrei. Dieser hatte den Anwalt zu einer Geldbuße von 4.000 € verurteilt. Auch die erforderliche Publizitätswirkung des Fehlverhaltens bejahen die Richter. Der Rechtsanwalt agierte "völlig unverdeckt, somit gut erkennbar vor der Kamera", sodass eine breite Öffentlichkeit davon Kenntnis nehmen konnte.
Rechtsanwalt nicht in seinen Grundrechten verletzt
Die OGH-Richter kamen zu dem Schluss, die Entscheidung des Disziplinarrats verletze den Rechtsanwalt nicht in seinen Rechten aus der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK). Es habe sich nicht um in einem Gastronomiebetrieb verwirklichtes "privates Sexualleben" gehandelt, sondern der Rechtsanwalt habe mit dem "an die Öffentlichkeit adressierten Verhalten" den durch Art. 8 EMRK geschützten höchstpersönlichen Lebensbereich bewusst und gewollt verlassen. Unter Berücksichtigung von Art. 10 Abs. 2 EMRK sei anzumerken, dass "Rechtsanwälte aufgrund ihrer Funktion im Rechtsstaat auch weitergehende Beschränkungen bei Meinungsäußerungen hinzunehmen habe".
In Deutschland keine Frage des Berufsrechts
Berufsrechtler in Deutschland halten es unterdessen für ausgeschlossen, dass man nach hiesigem Berufsrecht zu einer ähnlichen Disziplinarmaßnahme gelangen würde. So erklärte der ehemalige Geschäftsführer der Rechtsanwaltskammer Köln Martin W. Huff gegenüber LTO, dass die Anwendbarkeit des deutschen Berufsrechts auf außerdienstliches Verhalten ein Fehlverhalten des Anwalts voraussetze, das erheblich auf die berufliche Tätigkeit durschlage. Das sei jedoch bei einem Auftritt in der Fernsehsendung mangels einschlägigen Straftatbestandes zu verneinen. Schließlich könne sich ein Anwalt in Deutschland auch auf die Meinungsfreiheit aus Art. 5 Grundgesetz berufen.
lm/LTO-Redaktion
Österreichischer OGH in Disziplinarsache: . In: Legal Tribune Online, 04.01.2023 , https://www.lto.de/persistent/a_id/50650 (abgerufen am: 06.12.2024 )
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