Ab August endlich auch in Deutschland: Online eine GmbH gründen oder Anmeldungen zum Handelsregister einreichen. Doch wie weit sind wir wirklich auf dem Weg zum digitalen Notariat? Astrid Plantiko zum aktuellen Stand der Dinge.
Bei der Digitalisierung ist Deutschland eher selten Vorreiter. Bevor ab August 2022 Gründungen und bestimmte Beglaubigungen endlich auch bei uns per Videokommunikation und elektronischer Signatur möglich werden, hat die Bundesrepublik aber erst einmal die eigentlich für "langsamere" EU-Mitgliedstaaten vorgesehene Verlängerung der Umsetzungsfrist voll ausgeschöpft. Noch vor diesem Startschuss steht aber schon fest, dass das Gesetz zur Umsetzung der EU-Digitalisierungsrichtlinie (DiRUG) schon Ergänzungsbedarf hat.
Was dem Gesetz fehlt, lässt der jüngste Referentenentwurf eines Gesetzes zur Ergänzung der Regelungen zur Umsetzung der Digitalisierungsrichtlinie (DiREG) vom 22. März 2022 des Bundesministeriums der Justiz erkennen. Künftig können Handelsregisteranmeldungen per Video notariell beglaubigt werden, das persönliche Erscheinen im Notariat entfällt. Das gilt nach dem DiRUG aktuell nur für Einzelkaufleute und Kapitalgesellschaften sowie deren Zweigniederlassungen. Nach dem Referentenentwurf soll dieser Service nun allen Rechtsträgern offenstehen und gleichzeitig auch Anmeldungen zum Partnerschafts-, Genossenschafts- und Vereinsregister umfassen. Das ist schon mal ein Upgrade.
Ferner sollen nicht - wie bisher im DiRUG vorgesehen - nur GmbH-Bargründungen, sondern mit Ausnahmen auch Sachgründungen online vorgenommen werden können. Gesellschafterbeschlüsse zur Änderung von Gesellschaftsverträgen einschließlich Kapitalmaßnahmen sollen ebenfalls digital möglich sein. Immerhin.
Aber geht das weit genug, um Deutschland mittelfristig als attraktiven Wirtschaftsstandort international konkurrenzfähig zu halten?
DiREG – ein richtiger, aber zu kleiner Schritt in die richtige Richtung
Zweifellos sind die vorgeschlagenen Änderungen zu begrüßen, und sei es nur, damit wir bei der Digitalisierung den Anschluss an unsere EU-Nachbarn nicht verlieren. Insbesondere Österreich zeigt mit beständiger und konsequenter Ausweitung des inhaltlichen Anwendungsbereichs digitaler Beurkundungen, was hier möglich ist.
In ihrer Stellungnahme zum DiRUG bemerkt die Bundesnotarkammer (BNotK) völlig zurecht, dass die fachliche Beratung und Belehrung der Beteiligten bei Gründungen und Registeranmeldungen via Videokonferenz genauso gut wie im Präsenztermin sichergestellt werden kann.
Vor allem die Online-Identifizierung wird ein Thema sein
Die Gegenargumente und Sorgen aber - auch aus der eigenen Zunft - sind vielfältig und verdienen durchaus Beachtung. Große Bedenken gibt es etwa bei der Frage, wie online eine fälschungssichere Identifizierung gewährleistet werden kann. Ein brisantes Thema, denn Notar:innen sind mit der Identifizierung der Beteiligten und zwingenden Meldungen bestimmter Vorgänge an die Financial Intelligence Unit (FIU) wichtige Pfeiler der Geldwäscheprävention. Die Notwendigkeit, Geldwäsche und Missbrauchsfällen vorzubeugen, wird bei Online-Beurkundungen gewiss nicht geringer. Ganz im Gegenteil könnte die (vermeintliche) Anonymität des Internets verstärkt zu Versuchen führen, Identitätsbetrug zu begehen. Das lässt sich vorrangig nur mit technischen Mitteln bekämpfen. Denn die rechtssichere Identifizierung der Beteiligten ist nicht nur für die Geldwäschebekämpfung von Bedeutung, sondern bildet auch die Grundlage für die Richtigkeitsgewähr des deutschen Registerwesens und den damit verbundenen Gutglaubensschutz.
Um Risiken von softwarebasierten Identifikationslösungen wie etwa dem Video-Ident-Verfahren zu begegnen, wie sie das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik schon 2019 identifizierte, verwendet das Online-Beurkundungstool der BNotK bereits die sogenannte eID (Online-Ausweisfunktion z.B. des Personalausweises) zur Identifizierung. Gegenüber Österreich, wo solche deutlich weniger sicheren Video-Ident-Verfahren zugelassen sind, hat Deutschland hier die Nase vorn, denn es geht um nichts Geringeres als die Wahrung des Vertrauens der Bürger:innen in das Notariatsamt und den sorgsamen Umgang mit ihren sensiblen Daten. Hier ist die BNotK also tatsächlich einmal Vorreiter in der Digitalisierung.
Nachteil der durch eID gewonnenen Sicherheit: Nach aktuellem Stand sind nur Ausweisdokumente mit eID auf dem Sicherheitsniveau „hoch“ im Sinne der eIDAS-Verordnung für die Online-Beurkundung geeignet. Das trifft momentan auf alle gültigen deutschen Personalausweise zu. Bei Ausweisdokumenten aus dem EU-Ausland bleibt der Zugang so lange und so weit unvollständig, wie durch die nationalen Gesetzgeber kein der deutschen eID vergleichbarer hoher Sicherheitsstandard geschaffen wird – derzeit erfüllen diesen nämlich gerade einmal 13 der 27 EU-Mitgliedstaaten.
"Landnotariate" vs. Online-Spezialisierung in den Städten?
Ein weiterer Diskussionspunkt ist, ob mit der Digitalisierung eine Aufweichung des Amtsbereichsprinzips - unabdingbare Voraussetzung für die flächendeckende notarielle Versorgung der Bürger:innen - droht. Diese Sorge teilen Gesetzgeber und einige berufsständische Verbände. Sie befürchten eine frühzeitige Spezialisierung großer, insbesondere städtischer Notariate mit der negativen Folge, dass sich die Arbeit der Notar:innen vornehmlich in den Wirtschaftsmetropolregionen konzentrieren könnte. Das DiRUG und DiREG reagieren darauf mit der ortsgebundenen Zuständigkeit von Notar:innen – und zwar auch in Online-Verfahren.
Diese Bedenken sind aber nur mit Einschränkung plausibel. Digitalisierung bietet nämlich allen Notar:innen gleichermaßen die Chance, sich durch Bereitschaft zum Fortschritt zu behaupten. So können “Landnotariate” gleichermaßen Mandate aus Ballungsgebieten betreuen. Natürlich mag die Gefahr bestehen, dass Mandanten sich umorientieren und ein anderes Notariat aufsuchen, wenn sie sich im Rahmen der Online-Beurkundung besonders gut aufgehoben fühlen. Doch faktisch stehen Notar:innen bereits heute in ständiger Konkurrenz.
Ob Anwaltsnotariat oder hauptberufliches Notariat: Schon längst entscheiden sich Mandanten aufgrund von Empfehlungen, wegen Beratungs- und Betreuungskompetenz und mit Blick auf Wartezeiten auf Termine für oder gegen ein Notariat. Das Internet wird – Online-Buchung hin, Offline-Termin her - zur Notarsuche genutzt - und doch nehmen viele Mandanten bewusst und bereitwillig weite Wege auf sich, um von Notar:innen ihrer Wahl und ihres Vertrauens betreut zu werden.
Digitalisierung im Notariat: Fortschritt wagen
Digitale Abwicklung notarieller Vorgänge schafft Erleichterungen für Mandanten und Notar:innen, entlastet aber auch die Rechtspflege. Sie ermöglicht Gerichten und Registern, schneller, effizienter, aber genauso rechtssicher wie bisher Eintragungen vorzunehmen. Gründungsdokumente können noch komfortabler als bisher schon zeitnah per E-Mail übermittelt werden, Eintragungen im Handelsregister erfolgen schnell und bereits heute vollständig digital. Häufig nehmen Kontoeröffnung und Einzahlung des Stammkapitals faktisch viel mehr Zeit in Anspruch.
Digitalisierung bedeutet ersparte Zeit. Sie eröffnet Notar:innen notwendige Freiräume, um sich noch intensiver der Beratung in komplexen oder zeitkritischen Fällen zu widmen. Kranken oder immobilen Beteiligten gewährt sie den ansonsten deutlich erschwerten Zugang zu qualifizierter notarieller Beratung. Digitalisierung ist unverzichtbar, damit Notar:innen auch in Zukunft ihrem Mandat der unabhängigen Beratung für Bürger:innen effizient und wirkungsvoll gerecht werden können.
Je mehr wir Digitalisierung im Notariat als Chance betrachten, und uns die Möglichkeiten digitaler Technologien zu erschließen, desto deutlicher wird, welches Maß an Service und Qualität Notar:innen eigentlich bieten können. Dieser Entwicklung sollten wir uns nicht verschließen, sondern sie vielmehr willkommen heißen.
Die Autorin Dr. Astrid Plantiko ist Notarin in Frankfurt am Main.
Online-Notariat in Deutschland: . In: Legal Tribune Online, 06.04.2022 , https://www.lto.de/persistent/a_id/48070 (abgerufen am: 09.12.2024 )
Infos zum Zitiervorschlag