Legal Privilege: In Deut­sch­land unbe­kannt

von Prof. Niko Härting

18.07.2018

Die Beschlüsse des BVerfG zu Beschlagnahmen bei Jones Day haben für viel Verwirrung gesorgt. Mancherorts reibt man sich ungläubig die Augen: Wie kann es sein, dass das BVerfG dem "Legal Privilege" in Deutschland so wenig Bedeutung beimisst?

Die Antwort ist erstaunlich einfach: Das angelsächsische "Legal Privilege" und das US-amerikanische "Attorney Client Privilege" sind Instrumente des englischen und amerikanischen Prozessrechts. Wer schon einmal in Großbritannien oder den USA einen Prozess begleitet hat, kennt "Disclosure" und "Discovery". Die Prozessparteien sind verpflichtet, der Gegenseite und dem Gericht in großem Umfang Korrespondenz und Unterlagen zur Verfügung zu stellen, die für den Prozess relevant sein können. Eine solche Vorlagepflicht ist dem deutschen Zivilprozessrecht fremd. Hierzulande gilt der Beibringungsgrundsatz, der den Tatsachenvortrag und die Vorlage von Beweismitteln grundsätzlich der freien Entscheidung der Prozessparteien überlässt.

Von der amerikanischen prozessualen Vorlagepflicht gibt es nur wenige Ausnahmen. Eine besonders wichtige ist die Korrespondenz, die eine Prozesspartei mit ihren Anwälten geführt hat. Für diese Korrespondenz gilt das Legal Privilege, sie unterliegt daher nicht der Vorlagepflicht. "Privilegiert" ist die Korrespondenz somit weniger gegenüber einer Beschlagnahme oder anderen staatlichen Zwangsmaßnahmen. Das "Privileg" verschafft den Prozessparteien vielmehr einen Vertraulichkeitsschutz gegenüber dem Prozessgegner und den Gerichten und befreit die Korrespondenz von den umfangreichen Offenlegungspflichten.

Das Legal Privilege ist leicht – und auch konkludent – verzichtbar. Gerät anwaltliche Korrespondenz einmal in Umlauf und zur Kenntnis Dritter, kann das leicht als Verzicht ("Waiver") verstanden werden. Um den Eindruck eines solchen Verzichts zu vermeiden, ist es üblich, Anwaltskorrespondenz ausdrücklich als "Privileged" zu bezeichnen – etwa in E-Mail-Betreffzeilen oder –Footern. Da es hierzulande indes kein Privilege gibt, sind die auch in Deutschland verbreiteten Vertraulichkeitshinweise weitgehend sinnfrei.

Vom Unterschied zwischen Legal Privilege und Verschwiegenheitspflicht

Beim Legal Privilege und dem Attorney Client Privilege handelt es sich um Prozessrecht. Davon zu unterscheiden ist die berufsrechtliche Verschwiegenheitspflicht, die "Duty of Confidentiality", die den Anwalt – in England und den USA ebenso wie in Deutschland – zum Schweigen verpflichtet. Das Legal Privilege und die Verschwiegenheitspflicht sind keineswegs deckungsgleich. Während Ersteres sich auf die Korrespondenz zwischen Anwalt und Mandant beschränkt, geht die Verschwiegenheitspflicht im angelsächsischen Raum ähnlich weit wie hierzulande, sie umfasst alle Informationen, die der Anwalt im Zusammenhang mit einem Mandat erlangt hat.

Um den Schutz der Verschwiegenheitspflicht in einem Strafverfahren geht es bei dem deutschen  Beschlagnahmeverbot des § 97 Abs. 1 Strafprozessordnung (StPO). Es soll in einem Strafverfahren den Beschuldigten davor schützen, dass über den Umweg der Beschlagnahme Informationen zur Staatsanwaltschaft und den Gerichte gelangen, die der anwaltlichen Verschwiegenheitspflicht unterliegen.

Dieses Beschlagnahmeverbot des § 97 Abs. 1 und das Zeugnisverweigerungsrecht des § 53 Abs. 1 StPO sind flankierende Maßnahmen zum Schutz der Verschwiegenheit des Strafverteidigers. Für Informationen, die der Beschuldigte diesem anvertraut, sind dessen Kanzleiräume ein geschützter Raum: Er entzieht diese Informationen dem Zugriff der Strafverfolgungsbehörden.

Gesteigerten Schutz haben die anwaltlichen Kanzleiräume nach Art. 13 Grundgsetz (GG) auch, wenn es um Durchsuchungen geht. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) muss die Durchsuchung einer Anwaltskanzlei besonders kritisch auf ihre Verhältnismäßigkeit hin überprüft werden. Ihr können im Einzelfall die Geringfügigkeit der zu ermittelnden Straftat, eine geringe Beweisbedeutung der zu beschlagnahmenden Gegenstände sowie die Vagheit des Auffindeverdachts entgegenstehen (BVerfG, Beschl. v. 29.01.2015, 2 BvR 497/12 u.a., Rdnr. 19).

Schon häufig haben sich Kanzleien vor dem BVerfG erfolgreich gegen Durchsuchungen gewehrt. Die Verfassungsbeschwerde von Jones Day blieb in diesem Punkt jedoch erfolglos, weil die Kanzlei in der Rechtsform einer General Partnership nach englischem Recht organisiert und daher nicht grundrechtsfähig ist (Art. 19 Abs. 3 GG, BVerfG vom 27.6.2018, 2 BvR 1287/17 u.a., Rdnr. 26 ff.).

Interne Untersuchungen als Service von Kanzleien, Legal Privilege inklusive

Mehr als den Beschlagnahmeschutz nach § 97 Abs. 1 StPO und den gesteigerten Durchsuchungsschutz aus Art. 13 GG gibt das deutsche Recht nicht her, wenn es um den staatlichen Zugriff auf Anwaltskorrespondenz geht. Von einem "Privileg" kann nicht die Rede sein, jedweder Vergleich mit dem Legal Privilege oder dem Attorney Client Privilege ist wegen deren Einbettung in das US-amerikanische Prozessrecht verfehlt.

Wenn amerikanische Unternehmen interne Untersuchungen vornehmen möchten, um Betrugsfälle oder andere gravierende Vorkommnisse aufzuklären, begeben sie sich gerne unter den Schutz des Legal Privilege. Denn dieser Schutz gilt auch für die Kommunikation mit Unternehmensjuristen (Inhouse Counsel). Leitet also der Inhouse Counsel die Untersuchungen, so lässt sich verhindern, dass Untersuchungsbefunde und –ergebnisse in einem späteren Prozess offengelegt werden müssen.
Englische und amerikanische Großkanzleien bieten großen Unternehmen interne Untersuchungen (Internal Investigations) als Service an. Auch dies selbstverständlich unter dem Schutz des "Legal Privilege", der die Preisgabe unliebsamer Ergebnisse verhindert.

In Deutschland gelten andere Regeln

Der Fall VW hat gezeigt, dass für einen solchen Service in Deutschland gänzlich andere Rahmenbedingungen gelten. Dem Zugriff deutscher Strafverfolgungsbehörden lassen sich die Untersuchungsergebnisse nicht entziehen. Wenn jetzt in manchen großen US-Kanzleien laut darüber nachgedacht wird, für interne Untersuchungen nur noch ausländische Cloud-Dienste zu nutzen, wird dies mittelfristig wenig nutzen.

Spiegelbildlich zum US-Cloud-Act beabsichtigt die Europäische Kommission in ihrem jüngst vorgelegten Entwurf einer E-Evidence-Verordnung, europäischen Behörden den Zugriff auf Daten zu ermöglichen, auch wenn diese auf Servern ausländischer Cloud-Dienstleister gespeichert sind. Unklar ist zudem, ob und inwieweit die Nutzung ausländischer Cloud-Dienste mit dem Anwaltsgeheimnis vereinbar ist. Der neue § 43e Abs. 3 BRAO verlangt eine ausdrückliche Verpflichtung des Dienstleisters zur Verschwiegenheit. Die Vorschrift erlaubt die Nutzung eines ausländischen Cloud-Dienstes zudem nur, wenn in dem betreffenden Land ein Geheimnisschutz besteht, der mit dem inländischen Schutz vergleichbar ist.

Die Jones-Day-Entscheidungen des BVerfG können ein Weckruf sein, der englische und amerikanische Großkanzleien daran erinnert, dass sie sich in Kontinentaleuropa von gewohnten Vorstellungen eines "Legal Privilege" befreien müssen. Da es keine umfangreichen Offenbarungspflichten im Zivilprozess gibt, gibt es davon auch keine Befreiungen ("Privilegien"). Jeglichen Bemühungen, auf "Privilegien" Geschäftsmodelle aufzubauen und deutschen Mandanten interne Untersuchungen in einem (vermeintlich) geschützten Raum anzubieten, setzt das naturgemäß Grenzen.

Zitiervorschlag

Niko Härting, Legal Privilege: In Deutschland unbekannt . In: Legal Tribune Online, 18.07.2018 , https://www.lto.de/persistent/a_id/29815/ (abgerufen am: 17.04.2024 )

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