Bayern will im Bundesrat die Verteidigung durch Laien in einem Strafprozess einschränken. Es bestehe die Gefahr, dass der Gerichtssaal von Extremisten oder Reichsbürgern zur Propaganda genutzt werde. BMJ und die BRAK winken ab.
Ein wenig erinnert die Thematik an die Debatte, ob damit zu rechnen ist, dass rechtsextreme Schöffen die Justiz unterwandern. Bei einer aktuellen bayerischen Bundesratsinitiative (BR-Ds.206/1/24) geht es allerdings nicht um Extremisten als ehrenamtliche Richter, sondern um Anwälte bzw. um deren Ersatz.
Grundsätzlich ist die Strafverteidigung in Deutschland Rechtsanwälten und Rechtslehrern an deutschen Hochschulen vorbehalten. Allerdings dürfen im Einzelfall auf Antrag auch Laien als Verteidiger ausgewählt werden, wenn das Gericht dies erlaubt. Die betreffenden Personen müssen weder Rechtsanwalt noch Volljurist sein. Es genügt, dass sie nach Ansicht des Gerichts ausreichend sachkundig und vertrauenswürdig für eine ordnungsgemäße Verteidigung sind und auch sonst keine Bedenken gegen die gewählte Person bestehen. Wenn sich der Laienverteidiger im Verlauf des Verfahrens doch als ungeeignet erweist, kann die Zulassung außerdem vom Gericht zurückgenommen werden. Geregelt ist das in § 138 Abs. 2 der Strafprozessordnung (StPO).
Bayern befürchtet ein "Sprengen" der Gerichtsverhandlung
Bayern möchte nun die Regelung enger fassen und auf bestimmte Personen- und Berufsgruppen beschränken. Über einen entsprechenden Gesetzentwurf entscheidet am 14. Juni der Bundesrat. Der Freistaat bezweifelt, dass die Strafgerichte mit der geltenden Rechtslage hinreichend ausgestattet sind. "Die Möglichkeit der Zulassung als Laienverteidiger nach § 138 Abs. 2 StPO birgt die Gefahr, dass aus Unkenntnis auch Personen als Verteidiger zugelassen werden, die Anhänger einer extremistischen oder staatsfeindlichen Weltanschauung sind, oder die ihre Stellung im Verfahren nicht zur Wahrung der Rechte des Beschuldigten, sondern als Plattform für öffentlichkeitswirksame Propaganda im Gerichtssaal nutzen wollen", heißt es im Entwurf.
Nach Ansicht Bayerns geht es Extremisten, Reichsbürgern, aber auch Aktivisten "in manchen Fällen" nicht um eine – zulässigerweise auch hart geführte – sachliche Auseinandersetzung mit der Anklage im Rahmen der Strafprozessordnung, sondern um ein "Sprengen" der Gerichtsverhandlung, etwa um Verhinderung einer Verurteilung oder zumindest eine starke Verzögerung. "Oder die Hauptverhandlung und das Rederecht der Verteidigung soll als Bühne genutzt werden, um – möglichst vor den Augen der Öffentlichkeit – verfahrensfremden politischen Aktivismus darzubieten", so der Gesetzentwurf.
Gerichte derzeit der Aufgabe nicht gewachsen?
Dass Strafgerichte mit der geltenden Rechtslage solche Auswüchse verhindern können, glaubt Bayern nicht. "Das Gericht kennt bei der Zulassungsentscheidung unter Umständen die Hintergründe und Absichten des potenziellen Laienverteidigers nicht und lässt ihn dennoch zu." Weiter unterstellt Bayern der Justiz, am Ende leichtfertig der Prozessökonomie den Vorrang einzuräumen und sich im Zweifel für weniger Arbeit zu entscheiden: "Wenn sich erst im Verlauf der Hauptverhandlung die wahre Motivation der aktivistischen Laienverteidiger zeigt, kann zwar die Zulassung als Verteidiger nachträglich wieder entzogen werden; dies ist für das Gericht allerdings – in einem unter Umständen ohnehin schon aufgeheizten Verfahren – ein erheblicher Aufwand und mit dem Risiko weiterer Eskalation verbunden."
Vor diesem Hintergrund schlägt Bayern nun vor, § 138 Abs. 2 zu ergänzen und die Laienverteidigung auf bestimmte "geeignete" Personen- und Berufsgruppen zu beschränken. Dazu sollen neben volljährigen Angehörigen des Beschuldigten insbesondere Vertreter von Berufsverbänden, Gewerkschaften oder Vereinigungen von Arbeitgebern sowie von Zusammenschlüssen solcher Verbände für ihre Mitglieder oder für andere Verbände oder Vertreter von Zusammenschlüssen mit vergleichbarer Ausrichtung und deren Mitglieder gehören.
"Gesinnungsgenossen scheiden als Laienverteidiger aus"
Bayern orientiert sich dabei an vergleichbaren Regelungen zur Prozessvertretung, u.a. in der Zivilprozessordnung (§ 79 Abs. 2 S. 2) oder im Arbeitsgerichtsgesetz (§ 11 Abs. 2 S. 2). Explizit verwiesen wird auf Fälle, in denen z. B. beschuldigte Polizeibeamte oder Lehrer von Juristen der jeweiligen Gewerkschaft verteidigt würden. "Auch hier werde vom Gesetzgeber ein Bedürfnis anerkannt, dass sich eine Partei nicht von zugelassenen Anwälten, sondern von anderen Personen vertreten lassen will, zu denen eine besondere Nähe- und Vertrauensbeziehung besteht (Familienangehörige) oder die bei berufsbezogenen Prozessen ein besonderes Fachwissen einbringen und gleichzeitig eine kostengünstige Vertretungsmöglichkeit bieten (Gewerkschaften und Berufsverbände, soweit der Betroffene deren Mitglied ist."
Fern von jeglicher Strafverteidigung halten will Bayern Aktivisten bzw. Gleichgesinnte: "Gesinnungsgenossen, die nur dieselbe Weltanschauung teilen, oder Mitstreiter, die derselben Gruppierung angehören (und vielleicht an den angeklagten Aktionen selbst beteiligt waren oder sich wegen vergleichbarer Aktionen in anderen Verfahren selbst vor Gericht verantworten müssen), scheiden demnach als Laienverteidiger von vornherein aus."
Ob die Länderkammer dem Antrag Bayerns am kommenden Freitag mehrheitlich zustimmen wird, bleibt abzuwarten. Der Rechtsausschuss der Länder ist dafür und empfiehlt den Ministerpräsidenten, den Gesetzentwurf im Deutschen Bundestag einzubringen.
BRAK, DAV und BMJ sehen keinen Handlungsbedarf
Wie es ausschaut, dürfte er dort allerdings auf wenig Gegenliebe stoßen. Sowohl die Bundesregierung als auch die Anwaltsverbände lehnen ihn ab. Der Ausschuss Strafprozessrecht der Bundesrechtsanwaltskammer (BRAK) etwa kritisiert in einer Stellungnahme gegenüber LTO die bayerische Initiative mit deutlichen Worten:
"Wie zunehmend üblich, soll einer gesellschaftlich unerwünschten Entwicklung begegnet werden, indem im Straf- und Strafprozessrecht Beschuldigtenrechte eingeschränkt werden." Die jetzige Gesetzeslage sei jedoch ausreichend, "um 'Anhänger einer extremistischen oder staatsfeindlichen Weltanschauung' als gewählte Personen i.S.v. § 138 Abs. 2 StPO von der Verteidigung auszuschließen", so die BRAK. Die Kammer ist davon überzeugt, dass die Gerichte bereits heute ungeeignete Laien als Verteidiger – ggf. auch erst im Nachhinein – ausschließen können. "Der Gesetzentwurf bleibt einen Nachweis dafür schuldig, dass dies mit einem unzumutbaren 'Aufwand und mit dem Risiko weiterer Eskalation oder Verzögerung verbunden' ist, bzw. dem nicht mit professionellem gerichtlichem Agieren adäquat begegnet werden könnte", heißt es.
Auch das Bundesministerium für Justiz (BMJ) sieht keinen Anlass, an der geltenden Regelung der Laienverteidigung etwas zu ändern: "Die Bundesregierung sieht für die Änderung kein praktisches Bedürfnis", so eine Sprecherin gegenüber LTO. Den restriktiven Ansatz Bayerns hält das Haus von Marco Buschmann (FDP) Ministerium für falsch. "Hebt man im Gesetz bestimmte Personengruppen ausdrücklich hervor, könnte das eher dazu führen, dass künftig häufiger Laien beantragen, als Verteidiger zugelassen zu werden. Das ist nicht im Sinne einer professionellen und sachgerechten Verteidigung."
Für völlig abstrus hält man die bayerische Initiative beim Deutschen Anwaltverein (DAV). Die Laienverteidigung habe in der Justizpraxis keine praktische Relevanz, sagt Prof. Dr. Stefan Kirsch, Fachanwalt für Strafrecht und Mitglied im entsprechenden Fachausschuss des DAV. "Schon deswegen bezweifele ich, dass die in dem Gesetzentwurf beschriebene Gefahr in einer Weise besteht, die ein gesetzgeberisches Handeln erforderlich macht."
Bayerns Justizministerium sind keine Problemfälle bekannt
Auf LTO-Anfrage, ob es konkrete Fälle und Prozesse nennen könne, in denen Laienverteidiger in der Vergangenheit derart querulatorisch aufgefallen seien, musste das bayerische Justizministerium passen:
"Bislang sind in Bayern keine relevanten Problemfälle seitens der staatsanwaltschaftlichen Praxis berichtet worden", so eine Sprecherin. Gleichwohl könne "vor dem Hintergrund zunehmender Strafverfahren mit Konfliktpotenzial, etwa gegen Personen aus dem Reichsbürgermilieu", nicht ausgeschlossen werden, dass die Laienverteidigung künftig für verfahrensfremde Zwecke missbraucht würde.
Laien als Strafverteidiger: . In: Legal Tribune Online, 11.06.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/54747 (abgerufen am: 09.12.2024 )
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