Wenn ein Anwalt unerwartet stirbt oder seine Zulassung verliert, muss ein Kollege die Kanzlei abwickeln. Leonora Holling hat das selbst oft genug gemacht und weiß: Es muss vor allem schnell gehen.
LTO: Frau Holling, das Telefon klingelt, die Rechtsanwaltskammer (RAK) ist dran – und teilt Ihnen mit, dass ein Kollege gestorben ist und Sie seine Kanzlei abwickeln müssen. Was tut man da?
Leonora Holling: Man lässt alles stehen und liegen und fährt in die Kanzlei, die abgewickelt werden muss. Und dann kann man eigentlich die nächsten 24 Stunden durcharbeiten. Man muss sich ja einen Überblick über die Akten verschaffen – und das ist meistens nicht ganz einfach, vor allem wenn der verstorbene Anwalt vielleicht schon länger erkrankt war, Akten nicht mehr bearbeitet hat und sich die Post stapelt.
Wie erfährt denn die Kammer davon, dass ein Abwickler bestellt werden muss?
Meistens melden sich entweder die Erben oder Angestellte aus der Kanzlei. Es kommt auch vor, dass sich Mandanten an uns wenden, die ihren Anwalt nicht mehr erreichen oder ein Gericht, wenn auffällt, dass keine Empfangsbestätigungen mehr eingehen. Wir prüfen dann, ob es sich wirklich um einen Todesfall handelt und ob ein Abwickler bestellt werden muss. Und dann versuchen wir, jemanden zu finden - und zwar so schnell wie möglich, meistens innerhalb von Stunden. Schließlich geht es um laufende Mandate, Gerichtstermine und womöglich sehr knappe Fristen.
Was genau macht ein Abwickler?
Er muss die laufenden Mandate erledigen– und zwar möglichst innerhalb von sechs Monaten. In Ausnahmefällen kann diese Frist auch verlängert werden, aber länger als ein Jahr darf die Abwicklung nicht dauern.
Am besten schreibt man sofort alle Beteiligten an, also Mandanten, Gerichte, Dritte, und teilt mit, dass man die Abwicklung übernommen hat. Der Abwickler übernimmt alle anwaltlichen Tätigkeiten, die notwendig sind, um das Mandat zu erledigen, er erstellt also Schriftsätze und nimmt Termine wahr.
Wichtig sind auch die Kostenfestsetzungsverfahren. Sonstige Rechnungen muss der Abwickler eigentlich nicht schreiben – aber die meisten Abwickler übernehmen das, denn die Erben sind damit meistens völlig überfordert.
"Man muss sich tapfer durchfragen"
Der Abwickler kommt also in die Kanzlei, erhält einen Schlüssel und schaut sich die Akten an. Und wie bekommt er Zugriff zum besonderen Anwaltspostfach (beA) und auf das Emailpostfach?
Der Anwalt hat das Recht, die Kanzlei zu betreten, man darf ihn daran nicht hindern. Bei Todesfällen sind ja eigentlich auch alle Beteiligten froh, wenn da jemand kommt, der sich kümmert. Wenn der Abwickler eingesetzt wird, weil jemand seine Zulassung verloren hat, kann das schon mal anders aussehen. Ich weiß von einer Kollegin, die durch die Kanzleifenster im ersten Stock geklettert ist, weil der Anwalt, dessen Kanzlei abgewickelt werden musste, sie nicht reinlassen wollte.
An das E-Mail-Postfach kommt man, wenn nötig, mit Hilfe eines IT-Experten. Das beA ist in dieser Hinsicht ein großes Problem: Die Bundesrechtsanwaltskammer ermöglicht dem Abwickler zwar einen Zugang, aber der führt nur auf die Eingangsoberfläche. Dort sieht man dann zwar, dass ein Schreiben zum Beispiel vom Landgericht Düsseldorf eingegangen ist – aber man findet weder das Aktenzeichen noch den Betreff. Es bleibt einem gar nichts anderes übrig, als zum Telefonhörer zu greifen und sich tapfer durchzufragen, um was es denn gehen könnte. Das sollte die BRAK unbedingt ändern und einen vollen Zugriff schaffen.
Haben die meisten Anwälte nicht genug mit ihrer eigenen Kanzlei zu tun?
Doch, es ist in der Tat oft sehr schwierig, jemanden zu finden, der eine Abwicklung übernimmt. Manchmal schlagen die Erben vor, den Rechtsreferendar die offenen Verfahren abwickeln zu lassen. Das geht nicht, der Abwickler muss auf jeden Fall Volljurist sein. Und junge Kollegen, die vielleicht noch nicht so viele Mandate haben und etwas Zeit übrig, sind meistens auch nicht geeignet, sie wären überfordert. Wir versuchen immer, einen erfahrenen Anwalt zu finden, möglichst jemanden, der sich auch in dem jeweiligen Rechtsgebiet gut auskennt. Und natürlich achten wir auch darauf, dass es nicht immer die gleichen trifft. Denn das ist schon ein großer Aufwand.
"Wer sich geschickt anstellt, nimmt interessante Mandate mit"
Was kriegt der Abwickler für seine Tätigkeit und wer bezahlt ihn?
Am besten ist es, eine Vergütungsvereinbarung mit den Erben abzuschließen. Aber manchmal wollen die Erben nicht – oder vielleicht gibt es gar keine Erben. Oder es ist schlicht kein Kanzleivermögen da, aus dem der Abwickler bezahlt werden könnte. Dann springt die RAK als Bürge ein.
Das Problem: Eigentlich soll sich die Vergütung am Einzelfall orientieren, also wie viel Aufwand ist das, wie viel Erfahrung hat der Abwickler und so weiter. In der Praxis wird von der Kammer aber meistens ein pauschaler Stundensatz festgelegt – und der liegt in der Regel bei weniger als hundert Euro pro Stunde. Da sind dann alle Kosten mit drin, Fahrtkosten, Materialkosten, die Aufwandsentschädigung dafür, dass man seine eigene Arbeit liegen lassen muss. Das ist schon sehr knapp bemessen.
Macht man den Job also eher aus reiner Hilfsbereitschaft?
Oft ist es wirklich so, dass die Kollegen einfach hilfsbereit sind, immerhin ist ja gerade ein Mensch gestorben. Mich hat mal eine Kanzleiangestellte angerufen, die hatte den Anwalt sozusagen tot am Schreibtisch aufgefunden. Natürlich bin ich da schnell hingefahren und habe geholfen. Aber davon abgesehen ist man verpflichtet, eine Abwicklung zu übernehmen, wenn nicht gute Gründe dagegensprechen.
Wenn man einigermaßen erfahren ist und schnell arbeitet, dann kann man dabei auch durchaus vernünftig verdienen. Und im Übrigen kann es ja auch gut sein, dass der Anwalt ganz interessante Mandanten vertreten hat. Wenn man sich da halbwegs geschickt anstellt, kann man diese Mandate mitnehmen. Oft sprechen Mandanten das von sich aus an und möchten das Mandat mit dem Abwickler weiterführen.
Wenn bei der Abwicklung etwas schiefgeht, wer haftet dann?
Der Abwickler mit seiner eigenen Berufshaftpflichtversicherung. Deshalb empfehle ich immer dringend, erstmal die Versicherung zu kontaktieren und zu klären, ob die Übernahme der Abwicklung umfasst ist oder zusätzlich versichert werden muss.
"Jetzt bewahre ich halt noch ein paar Akten dreißig Jahre lang auf"
Und wenn die Abwicklung abgeschlossen ist, was passiert dann?
Der Abwickler ist nur dafür da, die offenen Akten zu bearbeiten. Alles andere müssen die Erben entscheiden, zum Beispiel ob die Kanzlei verkauft wird oder aufgegeben. Das größte Problem sind die alten Akten, die aufbewahrt werden müssen. Es ist nicht ganz klar, wer dafür eigentlich zuständig ist. Meiner Meinung nach ist das jedenfalls nicht Sache der RAK. Eigentlich müssen sich die Erben darum kümmern. Wenn keine Erben da sind, sehen manche Gerichte auch den Vermieter der Kanzleiräume in der Pflicht.
Der wird begeistert sein.
Tja, da ist keiner begeistert. Die eleganteste Lösung ist es eigentlich, die Mandanten aufzufordern, die Handakte innerhalb von sechs Monaten in Empfang zu nehmen mit dem Hinweis, dass sie sonst vernichtet wird. Wenn nachher nur ein paar Akten übrig sind, die aufbewahrt werden müssen, dann übernimmt das meistens der Abwickler – ich habe hier auch noch ein paar Akten aus Abwicklungen rumliegen. Da sind Titel drin, also vollstreckbare Urteile, die muss man dreißig Jahre lang aufbewahren, das mache ich jetzt halt.
Wenn wirklich mal das Telefon klingelt und der Einsatz geht los – wo gibt es Unterstützung?
Die BRAK stellt etwa den Abwicklungskompass zur Verfügung, da werden viele Fragen beantwortet. Und vor allem: Man kann sich jederzeit an seine Kammer wenden. Dort gibt es auf jeden Fall erfahrene Kollegen, die mit Rat und Tat zur Seite stehen.
Leonora Holling ist Strafverteidigerin in Düsseldorf und Vizepräsidentin der RAK Düsseldorf. Sie hat jahrelange Erfahrung mit Kanzleiabwicklungen und berät Kollegen, die Abwicklungen übernehmen.
Was macht ein Kanzleiabwickler?: . In: Legal Tribune Online, 10.08.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/42445 (abgerufen am: 10.12.2024 )
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