1998 untersuchte der Psychologe Larry Richard die Persönlichkeitsmerkmale von Anwälten. Zwanzig Jahre später möchte das Bucerius Center on the Legal Profession herausfinden, ob sich etwas geändert hat. Von Markus Hartung und Emma Ziercke.
Wenn wir an Katzen denken, sehen wir neugierige, extrem unabhängige, ein wenig selbstsüchtige und zynische Kreaturen vor unserem inneren Auge – Comic-Kater Garfield ist ein gutes Beispiel. Aber was haben Katzen mit Anwälten zu tun? Die Redensart, wonach das Führen von Anwälten dem Hüten einer Herde Katzen gleicht ("managing lawyers is like herding cats"), gibt es seit vielen Jahren.
Dabei ist eine Partnerschaft prinzipiell die perfekte Plattform, um gemeinsame Ziele zu verwirklichen. Die Herausforderungen, individuelle und gemeinsame Interessen in einer Kanzlei zu vereinbaren, sind bekannt. Der Redewendung "managing lawyers is like herding cats" liegt dabei die Idee zugrunde, dass Anwälte aufgrund ihrer katzenähnlichen Natur eher nicht davon zu überzeugen sind, einer gemeinsamen Richtung zu folgen, geschweige denn sich führen zu lassen.
1998 machte sich Dr. Larry Richard daran, den Wahrheitsgehalt des Sprichwortes zu überprüfen. Basierend auf dem Caliper-Profile-Persönlichkeitstest untersuchte er die Persönlichkeitsmerkmale von mehreren Hundert Anwälten und fand einige herausstechende Muster, die er 2002 in seinem bekannten Artikel "Herding Cats: The Lawyer Personality Revealed" veröffentlichte. Er kam zu dem Ergebnis, dass das alte Sprichwort einen wahren Kern hatte – zumindest zum damaligen Zeitpunkt.
Ist das heute auch noch so?
Der Caliper-Persönlichkeitstest ist ein psychologischer Test, der anhand von 18 allgemeinen Persönlichkeitsmerkmalen wie etwa Aggressivität, Empathie und Risikofreude ein Teilnehmerprofil erstellt. In seiner Studie identifizierte Richard fünf allgemeine Merkmale, welche Anwälte von ihrem Mitmenschen unterschieden: Er fand heraus, dass Anwälte besonders skeptisch waren und unter größerem Handlungsdruck standen. Darüber hinaus waren sie weniger kontaktfreudig und resilient, dafür sehr viel eigenständiger als andere Menschen. Es liege vor allem an der Kombination dieser Persönlichkeitsmerkmale, dass der Anwalt an sich so schwierig zu managen ist.
Da die Frage, wie die Generation Y tickt, weiterhin die HR-Abteilungen der Kanzleien beschäftigt, wollten wir am Bucerius Center on the Legal Profession herausfinden, ob sich die Dinge seit 1998 geändert haben. Ein vollumfänglicher Caliper-Persönlichkeitstest war dabei unter den gegebenen Umständen nicht möglich.
Deswegen fragten wir die Anwälte von Morgen stattdessen, ob sie sich mit den 18 Persönlichkeitsmerkmalen des Caliper-Tests identifizieren können. Wer am Test teilnehmen mag, kann das übrigens hier tun. Bislang befragten wir Studenten der Bucerius Law School und Studenten aus dem Bucerius International Program sowie Bucerius Alumni im Alter von 18 bis 38 Jahren. So viel vorab: Im Vergleich zu 1998 hat sich etwas getan.
Naturgemäß misstrauisch, aber weniger skeptisch
Richard fand damals heraus, dass Anwälte extrem skeptisch sind. Das ist vielleicht auch nicht überraschend: Vom ersten Tag unseres Jurastudiums an werden wir darauf trainiert, alles in Frage zu stellen, wir sind grundsätzlich misstrauisch und unterziehen jeden und alles einer genauen Überprüfung.
Während ein gewisses Maß an Skepsis durchaus notwendig ist, um gute Entscheidungen zu treffen, bedeutet dies aber auch, dass man naturgemäß misstrauisch gegenüber den Motiven anderer ist – auch seiner Kollegen. Vertrauen ist aber nun einmal das Fundament einer Partnerschaft, wenn auch ein sehr fragiles, und so ist das hohe Maß an Skepsis bei Anwälten für ein vertrauensvolles Zusammenwirken vielleicht nicht immer hilfreich.
Die gute Nachricht: Auch wenn die jungen Anwälte nach unseren bisherigen Auswertungen skeptischer sind als ihre Mitmenschen, so ist das Maß der Skepsis doch sehr viel geringer als bei den Anwälten aus 1998. Ein Grund dafür könnte sein, dass die jüngere Generation eher dazu neigt, optimistisch zu sein und Dinge am Karriereanfang positiv zu sehen. Zumindest so lange, bis sie die harte Realität der Arbeitswelt trifft und sie abstumpfen und skeptisch werden lässt. Ob das Maß an Skepsis im Laufe der Karriere bei den jungen Anwälten steigt, wird sich zeigen.
Noch immer unter Druck
Sowohl die von uns jungen Befragten als auch die damaligen Probanden von Richard stehen unter einem hohen Handlungsdruck, und zwar stärker als der Rest der Welt. Insgesamt fühlt die neue Generation sogar noch einen höheren Druck als die Anwälte aus 1998. Dies kann der Tatsache geschuldet sein, dass viele noch am Beginn ihrer Karriere stehen. Ein hoher Handlungsdruck oder innerer Antrieb zeichnet viele gute Anwälte aus, weil sie die Belange ihrer Mandanten proaktiv verfolgen und Prozesse oder Deals vorantreiben, nicht aber nur verwalten.
Ein allzu hoher Druck kann wiederum in Ungeduld oder Stress ausarten, sollte es nicht so laufen wie geplant. Das Bedürfnis, die Dinge voranzutreiben, wirkt sich auch auf die chronische Geschäftigkeitskultur in den Kanzleien aus, in der sich nur diejenigen Associates zu den Top-Performern zählen dürfen, die 2.500 Stunden pro Jahr in Rechnung stellen.
Weniger Katze, mehr Teamplayer
Obwohl Katzen in Gruppen leben können und es auch tun, so sind sie doch zuallererst Einzelgänger – genau wie Anwälte. Das wichtigste der sogenannten Myer-Briggs-Typenmerkmale, das bei Anwälten zum Tragen kommt, ist INTJ, das für "Introverted, Intuititive, Thinking, Judging" steht. So ist es nicht weiter verwunderlich, dass die von Richards untersuchten Anwälte eine niedrigere soziale Kompatibilität als ihre Mitmenschen hatten. Aber was ist mit den jungen Anwälten von heute?
Hier findet sich der größte Unterschied zwischen den Generationen: Während Richards Probanden noch Einzelgänger waren, hat die neue Generation eine überdurchschnittlich hohe soziale Kompatibilität – sie ist kontaktfreudig und arbeitet gerne mit anderen zusammen.
Das deckt sich mit den Ergebnissen unserer übrigen Forschung, die zeigen, dass junge Anwälte eine team-basierende Arbeitsatmosphäre der konkurrenzgetriebenen, die in den meisten Kanzleien vorherrscht, vorziehen.
Unsichere Streber – wenig Bewusstsein für die eigene Arbeit?
Anwälte sind weniger widerstandsfähig als ihre Mitmenschen - auch dies ergab die Studie von Richard. Resilienz oder auch "Ich-Stärke" beschreibt die Fähigkeit, Kritik anzunehmen und angemessen darauf zu reagieren. Das mag auf den ersten Blick überraschen, denn Anwälte wirken häufig extrem selbstbewusst, jedenfalls treten sie so auf. Wie passt das also zueinander?
Richards Studie kommt zu ähnlichen Ergebnissen wie aktuelleren Untersuchungen aus Harvard: In ihrem Bestreben, Perfektion zu erreichen, tendieren Anwälte oftmals dazu, auf Kritik sensibel zu reagieren und eine defensive Haltung bei negativem Feedback einzunehmen. Die Kombination aus innerem Antrieb und einem Defizit an Resilienz führt dazu, dass Anwälte den tatsächlichen Wert ihrer Leistungen häufig schwer einschätzen können. Sie sind auf Feedback angewiesen, vertragen aber keine negativen Rückmeldungen – sie sind, in der Diktion der Harvard-Untersuchungen, "insecure overachievers".
Auch eine aktuelle Studie von Laura Empson (Leading Professionals, OUP 2017) kommt zu dem Ergebnis, dass einige Professional Service Firms gerade diese unsicheren Streber mit Vorliebe rekrutieren. Interessanterweise scheinen die jungen Anwälte unserer Erhebung robuster zu sein als ihre Vorgänger. Mit einem überdurchschnittlichen Ergebnis beim Persönlichkeitsmerkmal Resilienz haben sie weniger Schwierigkeiten damit, Kritik anzunehmen und angemessen darauf zu reagieren als die Vorgängergeneration.
Mehr Rudeltier als Eigenbrötler
Die besondere Bedeutung der Unabhängigkeit unterschied die Anwälte aus der Studie von Richard ganz wesentlich von ihren Mitmenschen. Anwälte schätzen ihre Autonomie - daraus resultierend tun sie sich schwerer, Anweisungen von anderen anzunehmen. Nach der Studie ist es vor allem dieser Führungswiderstand, der den Vergleich vom "Hüten einer Herde Katzen" nahelegt.
Die Kombination von hoch ausgeprägter Skepsis und besonderer Bedeutung der Autonomie macht es einem Managing Partner besonders schwer, eine Kanzlei auf Linie zu bekommen, besonders wenn damit verbunden ist, dass einzelne Anwälte sich anderen, und seien sie auch eine große Mehrheit, unterordnen sollen. Das ist der Grund dafür, warum in vielen Kanzleien sehr selten streitige Entscheidungen getroffen werden, sondern man bemüht ist, einen Konsens zwischen den vielen Egos und angedrohten Vetos zu finden.
Und die neue Generation? Sie sind weniger autonom als die Anwälte in 1998, arbeiten generell sogar lieber in Organisationen, in denen die Richtung ganz klar definiert ist, und – das wissen wir aus früheren Studien – sie möchten bei Managemententscheidungen der Organisationen involviert werden.
Sind die Anwälte der Zukunft immer noch wie Katzen?
Unsere Studie ist noch nicht abgeschlossen, daher mag es zu früh sein, um schlüssig darüber Auskunft zu geben, ob die neuen Anwälte immer noch mit Katzen vergleichbar sind. Trotzdem ist es - basierend auf dem, was wir bislang erfahren haben und nach eingehender Beschäftigung mit den Resultaten der Bucerius und den internationalen Studenten – vielleicht nicht sehr überraschend, dass das einzige Persönlichkeitsmerkmal aus der ursprünglichen Studie von Richard, das es in die fünf Top-Charakteristika der Anwälte von Morgen schaffte, der hohe Handlungsdruck ist.
Ansonsten stuften sich Probanden als sorgfältig, vorsichtig und auf Details bedacht ein. Sie sind entgegenkommend und können die Gefühle anderer gut einordnen. Obwohl die Studenten resilienter als ihre Vorgänger sind, war Resilienz kein Charakteristikum, mit dem sich die Studenten stark identifizierten. Dies ähnelte auch der Einschätzung der Bucerius Alumni, die sich in den Persönlichkeitsmerkmalen Sorgfalt, Empathie und abstraktes Denkvermögen wiederfanden.
Sind die neuen Anwälte also wie Katzen? Sie sind mindestens sehr viel umgänglicher und weniger autonom als ihre Vorgänger - und deutlich selbstsicherer und kritikfähig. Andererseits bringen sie nach wie vor eine gesunde Dosis Skepsis mit und ihr innerer Antrieb ist noch immer ziemlich stark. Vielleicht könnte man sich darauf einigen, dass heute der Vergleich mit der Katze nicht mehr passt, sondern die nächste Generation von Anwälten mehr Mensch ist, als es der über die Juristen spottende Volksmund meint.
Emma Ziercke ist non-practising solicitor und wissenschaftliche Mitarbeiterin am Bucerius Center on the Legal Profession in Hamburg. Markus Hartung ist Rechtsanwalt und Direktor des Center on the Legal Profession, Berlin/Hamburg.
Persönlichkeitsmerkmale von Juristen: . In: Legal Tribune Online, 12.09.2018 , https://www.lto.de/persistent/a_id/30881 (abgerufen am: 11.12.2024 )
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