Bayern möchte Rechtsschutzversicherern erlauben, ihre Versicherungsnehmer außergerichtlich zu beraten und zu vertreten. Dafür soll das Rechtsdienstleistungsgesetz geändert werden. Die Anwaltschaft ist in großer Sorge.
Zunächst war es nur ein Gerücht, dass Bayern bei der am Freitag anstehenden Konferenz der Justizministerinnen und -minister (JuMiKo) in Leipzig einen Beschlussvorschlag auf die Tagesordnung setzen lassen wollte, in dem es um eine weitreichende Änderung auf dem deutschen Rechtsdienstleistungsmarkt gehen sollte. Nunmehr steht der Vorschlag offiziell als Tagesordnungspunkt I Ziff.10 auf der Tagesordnung der Konferenz.
Danach soll den deutschen Rechtsschutzversicherern mit ihren rund 23,4 Millionen Versicherungsverträgen grundsätzlich erlaubt werden, die Versicherungskunden außergerichtlich zu beraten und sie auch gegenüber Dritten rechtlich zu vertreten. Der bayerische JuMiKo-Vorschlag kann hier heruntergeladen werden.
Nach den Vorstellungen Bayerns bzw. des bayerischen Justizministers Georg Eisenreich (CSU) soll im Wege einer Änderung des Rechtsdienstleistungsgesetzes (RDG) den Rechtsschutzversicherungen künftig die Beratung und Vertretung ihrer Versicherungsnehmer grundsätzlich ermöglicht werden. Wenn auch mit bestimmten organisatorischen Beschränkungen, etwa hinsichtlich von Interessenkonflikten. Bislang ist den Versicherern diese originär anwaltliche Tätigkeit untersagt.
Versicherer als "erste Anlaufstelle bei rechtlichen Problemen"?
Begründet wird der Vorstoß damit, dass Rechtsschutzversicherer die "erste Anlaufstelle bei rechtlichen Problemen" seien und dieses Potential zur Konfliktlösung genutzt werden müsse. Aber stimmt das auch?
Wollen Versicherungsnehmer ihre vertraglichen Pflichten nicht verletzen, sind sie verpflichtet, eine Deckungszusage für eine anwaltliche Beratung einzuholen. Dies geschieht in der Praxis entweder durch den Versicherten selbst oder der Rechtsanwalt holt diese Zusage ein. Ob Verbraucher wirklich den Rechtsschutzversicherungen zutrauen, hier auch eine kompetente Rechtsberatung zu erbringen, ist bisher nicht untersucht und in der bayerische Beschlussvorlage nur eine Annahme.
Dass Versicherer mit Anwälten künftig ein stückweit gleichgestellt werden sollen wird im bayerischen JuMiKo-Vorschlag mit erstaunlich oberflächlichen Erwägungen gerechtfertigt: So verfolgten Rechtsanwälte wie Rechtsschutzversicherer wirtschaftliche Interessen, "dennoch" traue ihnen die Rechtsordnung zu, fremde Rechtsangelegenheiten wahrzunehmen. Von der Stellung des Anwaltes als unabhängiges Organ der Rechtspflege, wie in § 1 Bundesrechtsanwaltsordnung klargestellt, ist keine Rede.
Und der Vergleich mit den Versicherungen mutet schon erstaunlich an, wenn es weiter heißt: "Für Rechtsschutzversicherungen gelten vergleichbare Mechanismen: Sie stehen im Wettbewerb, sind auf langfristige Kundenzufriedenheit angewiesen, und die vertragliche geschuldete Erbringung von Versicherungsleistungen ist justiziabel."
"Verbesserter niedrigschwelliger Zugang zu Rechtsdienstleistungen"
Aus Sicht des bayerischen Justizministers Eisenreich ist die Änderung des RDG erforderlich, um einen verbesserten, niedrigschwelligen Zugang zu qualifizierten Rechtsdienstleistungen aus einer Hand zu gewährleisten. Auch die Versicherungswirtschaft sieht dieses Bedürfnis: "Bei der Lösung von rechtlichen Problemen erwarten Verbraucherinnen und Verbraucher eine direkte rechtliche Beratung und eine außergerichtliche Vertretung auch durch juristische Mitarbeiter/-innen ihres Rechtsschutzversicherers", heißt es seit Jahren mantramäßig in entsprechenden Broschüren des Gesamtverbands der Versicherungswirtschaft (GDV).
Indem der bayerische Justizminister diese Forderung aufgreift, unterstellt er der deutschen Anwaltschaft, dass diese einen niedrigschwelligen Zugang zu qualifizierten Rechtsdienstleistungen dies nicht erbringen könne oder wolle. Im Beschlussvorschlag heißt es: "Gerade bei alltäglichen Rechtsfragen oder niedrigen Streitwerten, bei denen eine anwaltliche Tätigkeit wirtschaftlich nicht darstellbar ist, kann der Versicherer eine Versorgungslücke schließen."
Das seltsame an dieser Argumentation: Bisher ist von einer solchen Versorgungslücke nichts zu spüren. Vielmehr ist eine effektive Rechtsberatung in Deutschland durch Rechtsanwälte aber auch durch die Interessenvertretungen von Mietern und Vermietern, von Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden, von Vereinen und Versschutzverbänden umfassend gewährleistet. Und bezweifelt werden darf auch, ob die neue Kompetenz der Versicherer, wie Bayern behauptet, zu einer Entlastung der Justiz führen würde.
Drängen der Versicherungslobby
Hintergrund der bayerischen Initiative dürfte vielmehr das Drängen der Versicherungslobby sein: Gerade in Massenverfahren, wie etwa bei Klagen im Dieselskandal, bei Widerrufen von Verträgen etc. mussten die Rechtsschutzversicherer in der Vergangenheit erhebliche Summen an Rechtsanwälte bezahlen. Dies war Ihnen ein Dorn im Auge. Zunehmend wird versucht, kleine Klagen zu vermeiden. So ist zu hören, dass etwa bei Anfragen zur Deckung von Schadensersatzforderungen bei Verstößen nach der Datenschutzgrundverordnung Rechtsschutzversicherungen ihren Versicherungsnehmern bestimmte Summen zahlen, um keine Deckung gewähren zu müssen. Die Bundesrechtsanwaltskammer führt zu diesem Komplex gerade eine Umfrage bei allen zugelassenen Rechtsanwälten durch. Insgesamt zahlen die Rechtsschutzversicherer rund 2,5 Milliarden Euro an Rechtsanwälte und haben daher ein hohes wirtschaftliches Interesse daran, hier Kosten einzusparen.
Was wenig überrascht: Sowohl der Deutsche Anwaltverein (DAV) als auch die Rechtsanwaltskammer Berlin haben den bayerischen Vorschlag massiv kritisiert. Beide sehen erhebliche Probleme für Verbraucher sowie Anwaltschaft, denen viele Mandate, nicht nur mit Verbrauchern, sondern auch im gewerblichen Bereich, wegbrechen würden.
Würde der bayerische Vorschlag umgesetzt, stellt sich zudem die Frage, ob damit nicht grundsätzlich das Fremdkapitalverbot für deutsche Anwaltskanzleien neu überprüft werden müsste. Schließlich müsste die Chancengleichheit mit den kapitalstarken Versicherern auf dem Rechtsdienstleistungsmarkt gewahrt werden kann.
Viele Fragen offen
Daneben stellen sich noch eine Reihe weiterer praktischer Fragen, dies bisher weder das bayerische Justizministerium noch der GDV beantworten möchte. Zum Beispiel:
Welche Qualifikation sollen die Mitarbeiter der Rechtsschutzversicherung haben, die die Rechtsberatung und -vertretung der Kunden übernehmen sollen? Wie soll mit Interessenkollisionen umgegangen werden, etwa wenn beide Seiten Kunden der Rechtsschutzversicherung sind und Deckung beantragen? Soll die Rechtsberatung und -vertretung auch für gewerbliche Kunden gelten? Wer übernimmt die Kosten für die Rechtsberatung und Vertretung bzw. wie teuer werden Rechtschutzversicherungen künftig?
Und schließlich: Wie ist die Absicherung der Kunden für den Fall einer Falschberatung durch den Versicherer vorgesehen? Soll hier der Abschluss einer Vermögensschadenshaftpflichtversicherung Pflicht werden?
Bayerisches Justizministerium gibt keine Auskunft
Antworten auf diese Fragen hatten sich die Verfasser dieses Beitrags vom bayerischen Justizminister erhofft, doch das Ministerium lehnte ein solches Gespräch auf Nachfrage ab.
Wie auch immer: Sollte der Vorschlag Bayerns auf der JuMiKo kommenden Freitag eine Mehrheit finden, würde die Bundesministerin der Justiz und für Verbraucherschutz gebeten, einen entsprechenden Gesetzentwurf zu erarbeiten.
Aber ob Stefanie Hubig (SPD) dann ebenfalls der Argumentation der Versicherungswirtschaft folgt, ist längst nicht ausgemacht.
JuMiKo-Initiative Bayerns: . In: Legal Tribune Online, 05.11.2025 , https://www.lto.de/persistent/a_id/58545 (abgerufen am: 14.11.2025 )
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