Bald kommt der Gesetzentwurf zum Recht der internen Untersuchungen. Für die Unternehmen geht es um Verfahrensrechte. Für die Anwälte geht es, nicht erst seit dem Jones-Day-Urteil des BVerfG, auch um die Frage: Was macht Strafverteidigung aus?
Ob beim Unternehmensjuristen-Kongress oder beim Strafverteidiger-Symposium: Die internen Untersuchungen stehen auf dem Programm, seit das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) am 27. Juni 2018 entschieden hat, dass die Durchsuchung und Beschlagnahme von VW-Unterlagen in einem deutschen Büro der US-amerikanischen Kanzlei Jones Day rechtmäßig war. Die Staatsanwaltschaft durfte die Ermittlungsergebnisse der Kanzlei beschlagnahmen und – seit dem Urteil aus Karlsruhe – auch auswerten.
Zunächst beschränkte sich, vielleicht im Schockzustand, die Erkenntnis der Anwälte im Wesentlichen auf die Wahrnehmung, dass § 160 a Strafprozessordnung (StPO) eine Durchsuchung bei Rechtsanwälten nicht verhindert. Die Wirtschaftskanzleien, vor allem diejenigen anglo-amerikanischen Ursprungs und mit dem dortigen, von Discovery geprägten Rechtsverständnis, hatten diesen Aspekt des sogenannten Legal Privilege mindestens zehn Jahre lang anders beurteilt.
Auf dieser Grundlage führen sie interne Untersuchungen im Auftrag von Unternehmen durch, die für sie längst ebenso lukrativ wie selbstverständlich geworden sind. Dieses Geschäftsmodell könnte vor dem Aus stehen, wenn sich auf alles, was die hoch bezahlten Anwälte im Auftrag des Unternehmens herausgefunden haben, am Ende die Staatsanwaltschaft Zugriff verschaffen könnte.
Nun hoffen Unternehmen wie Juristen auf den Gesetzgeber. Unterdessen wird ihnen langsam klar, dass es für sie um mehr geht als nur um das lukrative Geschäftsmodell der internen Ermittlungen. Auf dem Prüfstand stehen das Bild und das Selbstverständnis eines Berufsstands, der sich in den vergangenen Jahrzehnten massiv verändert hat. Was macht eigentlich ein Anwalt? Was ein Strafverteidiger? Eine einheitliche Sicht darauf, was anwaltliche Tätigkeit eigentlich ausmacht, gibt es bislang nicht einmal unter den Strafverteidigern.
BMJV will im Frühjahr 2019 Vorschläge vorlegen
Zu den internen Ermittlungen soll ein Gesetzentwurf "zeitnah" kommen, "im Frühjahr" will das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz (BMJV) auch eine Regelung zu den Unternehmenssanktionen vorlegen. Daraus abzuleiten, dass es keinen gemeinsamen Entwurf zur Regelung beider Materien geben wird, wäre wohl zu viel der Interpretation, aus dem BMJV verlautete noch nichts Konkreteres.
Zwingend ist es nicht, Sanktionen gegen Unternehmen und interne Ermittlungen gemeinsam zu betrachten. Aber der Zusammenhang liegt auf der Hand: Wenn man die Haftung der Unternehmen für Rechtsverstöße verschärft, dann dürfe man nicht gleichzeitig ihre Verfahrensrechte beschneiden, ihre internen, häufig äußerst kostenintensiven Untersuchungen zur Aufdeckung und Verfolgung von Rechtsverstößen nicht konterkarieren oder gar bestrafen, so argumentieren die Unternehmen. Wer im Sinne der Compliance-Anforderungen versuche, Verstöße aufzuklären, sollte dafür belohnt und eben nicht bestraft werden. "Kein Unternehmen, das befürchten muss, dass die Ergebnisse einer internen Untersuchung eins zu eins den Behörden übergeben werden, würde mehr für teures Geld interne Untersuchungen in Auftrag geben", fassten Dr. Martin Petrasch, Senior Legal Counsel bei Siemens, und Dr. André Szesny, Partner bei Heuking Kühn Jüer Wojtek , vergangene Woche beim Unternehmensjuristen-Kongress in Berlin lakonisch zusammen.
Der Staat solle sein Verfolgungsmonopol behalten, aber mit den ermittelnden Anwälten kooperieren, so Szesny. Die Wirtschaftsjuristen gingen entsprechend dem letzten Informationsstand aus dem BMJV davon aus, dass das Unternehmen nach den gesetzgeberischen Vorstellungen in einem relativ frühen Stadium einen beschuldigtenähnlichen Status erhalten soll.
Strafrechtler: Keine Beschlagnahme von Untersuchungsergebnissen
Die Frage nach dem Beginn der Beschuldigteneigenschaft beschäftigte auch die Strafrechtler beim Strafverteidiger-Symposium, das ebenfalls vergangene Woche in Frankfurt stattfand. Wer Anwälten eines Unternehmens den Schutz ihrer anwaltlichen Verschwiegenheit (zurück) geben will, der muss regeln, ab wann ein solcher Schutz greifen könnte. Schließlich passieren interne Ermittlungen in aller Regel nicht erst, wenn die Staatsanwaltschaft eingeschaltet wird, sondern häufig viel früher, wenn das Unternehmen Unregelmäßigkeiten entdeckt - und mit internen Ermittlungen die Einleitung eines Verfahrens durch die Staatsanwaltschaft gerade verhindern will.
Einig waren sich die Strafrechtler darüber, dass es nicht darauf ankommen kann, wann die Staatsanwaltschaft ein Unternehmen offiziell als beschuldigt einstuft. Aber kann schon die Einschaltung von Anwälten durch das Unternehmen ausreichen, um die anwaltlichen Schutzrechte aus der Strafprozessordnung auszulösen? Richterin am Bundesgerichtshof Renate Wimmer sprach sich dafür aus, nicht erst auf einen hinreichenden Tatverdacht bei der Staatsanwaltschaft abzustellen, sondern auf den Zeitpunkt, zu dem es genug Anhaltspunkte gibt, um gegen das Unternehmen vorzugehen. "Die Praxis zeigt, dass das meist schon eher spät ist: Die Staatsanwaltschaft ermittelt schließlich meist zunächst gegen Privatpersonen und entscheidet sich erst später, ob sie gegen das Unternehmen ermitteln will, wenn es um die Verhängung von Bußgeldern nach § 30 Ordnungswidrigkeitengesetz geht", so die ehemalige Oberstaatsanwältin.
Sie sehe keinerlei Notwendigkeit, Durchsuchungen in Anwaltskanzleien zuzulassen. "Diese Angst, Anwaltskanzleien könnten zu 'safe houses' werden und der Anwalt unter dem Deckmäntelchen der Verteidigung dazu beitragen, die staatliche Strafverfolgung zu konterkarieren, überzeugt mich nicht", sagte Wimmer.
Um Klarheit zu gewinnen, schlug sie vor, eine Herausgabepflicht zu statuieren für Geschäftsunterlagen, die einer Untersuchung zugrunde liegen, gleichzeitig aber auch klarzustellen, dass die Ergebnisse dieser Untersuchung nicht herausgegeben werden müssen. Das entspricht dem Vorschlag aus dem sogenannten Kölner Entwurf eines Verbandssanktionengesetzes. Und es entspricht nach Wimmer auch der ureigensten Aufgabe der Staatsanwaltschaft: "Der Staat muss selbst und unabhängig ermitteln". Prof. Dr. Thomas Weigend von der Universität Köln wies auf die Gefahr einer Erpressung hin: "Wenn die Staatsanwaltschaft Zugriff auf alle Unterlagen aus internen Ermittlungen hätte, dann wäre es wie in den USA: Sie würde interne Ermittlungen einfordern - und wenn das Unternehmen nichts liefere, damit drohen, von ihren Ermittlungsmethoden Gebrauch zu machen."
Auch Prof. Dr. Stephan Barton von der Universität Bielefeld plädierte für eine gesetzlich geregelte absolute Beschlagnahmefreiheit für Aufzeichnungen aus internen Untersuchungen. Der Rechtslehrer will gleichzeitig Unternehmen für Aufklärung belohnen und parallel deren Mitarbeiter schützen, indem er sie zwar zur Mitwirkung verpflichtet, ihnen aber auch gegenüber internen Ermittlern Beweisverwertungsverbote und Auskunftsverweigerungsrechte zubilligen und Grundregeln für eine faire Befragung festlegen will.
Was macht Strafverteidigung aus?
Barton, selbst Strafverteidiger, zog trotz dieser Vorschläge durchaus Unmut auf sich bei den Strafverteidigern in Frankfurt. Seine Prämisse nämlich war diejenige, dass er die "Unternehmensanwälte" von den Strafverteidigern deutlich abgrenzte. "Das sind unterschiedliche Tätigkeiten". Weigend fragte daraufhin: "Gibt es eine Tätigkeit eines Anwalts oder Unternehmensanwalts, die nicht Anwaltstätigkeit ist, sondern Business Advice?" Und Rechtsanwalt Prof. Dr. Alexander Ignor aus Berlin wies darauf hin, dass interne Untersuchungen vor einem Strafverfahren, die mit Compliance-Argumenten begründet werden, zivilrechtlich begründet seien, aber nicht schon im Hinblick auf eine Strafverfolgung erfolgten, von der man noch gar nicht wisse, ob sie kommt.
Noch vor den Fragen, ab wann ein Schutz der unternehmerischen Verfahrensrechte greifen könnte, wie der funktionieren sollte und ob man eine Abgrenzung der anwaltlichen Tätigkeit sachlich, zeitlich oder nur jeweils im Einzelfall durch Auslegung vornehmen könnte, stand für die Strafrechtler eine viel grundsätzlichere Frage. "Das berührt die Strafverteidigung im eigentlichen Sinne" nannte es Strafverteidiger Prof. Dr. Björn Gercke aus Köln. Denn: Was macht eigentlich einen Strafverteidiger aus?
Wirtschaftsstrafverteidigung – das andere Ding?
Lebhaft diskutierten die Strafrechtler, was der "Unternehmensanwalt" und was die Verteidigung in Wirtschaftsstrafsachen mit der klassischen Strafverteidigung gemeinsam hat. Für Prof. Dr. Matthias Jahn sind das bloß unterschiedliche Ausprägungen desselben Berufsbilds, für ihn hat sich die frühere Vorstellung von Strafverteidigung als reaktive Antwort auf die Vorwürfe des Staates längst gewandelt. "Aus dem klassischen Begriff des 'Beistand Leistens' in § 137 StPO ist doch längst ein aktives 'leistend beistehen'" geworden, so der Universitätsprofessor aus Frankfurt am Main, der auch als OLG-Richter tätig ist. Jahn plädierte dafür, dass die Strafverteidiger sich nicht auseinanderdividieren lassen und dem Gesetzgeber einen umfassenden Schutz vorschlagen sollten - für ein einheitliches Berufsbild mit vielen Facetten.
Barton dagegen fiel es schwer, das Leitbild des Unternehmensanwalts mit der Philosophie der Strafverteidigung zusammen zu bringen. "Ein Strafverteidiger soll die geringere Sache zur stärkeren machen; sich wie ein 'lonesome hero' für einen Beschuldigten einsetzen und der Übermacht trotzen. Wirtschaftliche Tätigkeiten im Dienste eines wirtschaftlich Mächtigen sind eine tolle Dienstleistung, aber nicht die Vertretung des Geringeren. Sie machen die Starken nämlich noch stärker". Seine Aussagen waren provokant, die Entrüstung so mancher Teilnehmer und Redner entsprechend.
Doch Barton bekam Schützenhilfe, nicht zuletzt von Ignor. "Wir reden über Ungleiche, wenn wir über natürliche Personen und über Unternehmen reden", so der Berliner Strafverteidiger, der u.a. Wolfgang Schäuble in der CDU-Spendenaffäre vertreten hat, den Chefredakteur von Cicero gegen die Anordnung der Durchsuchung der Redaktionsräume sowie die Bundesregierung im zweiten NPD-Verbotsverfahren, jeweils vor dem BVerfG. Es dürfe nicht sein, "dass ein Unternehmen sich Zug um Zug gegen die Herausgabe von Unterlagen freikaufen kann" – eine natürliche Person habe nämlich kein ansatzweise vergleichbares Mittel, um denselben Effekt zu erreichen, so Ignor. Und weiter: "Wir dürfen nicht den Blick auf die natürliche Verteidigung verlieren."
Der Vorsitzende des Strafrechtsausschusses der Bundesrechtsanwaltskammer schloss sein Plädoyer mit den Worten "Wir sind doch keine Unternehmensverteidiger. Wir sind Strafverteidiger." Er warnte vor zu weitgehenden rechtspolitischen Forderungen - es sei denn in Form eines speziellen Gesetzes mit dem Unternehmenssanktionsrecht.
Interne Untersuchungen: . In: Legal Tribune Online, 05.02.2019 , https://www.lto.de/persistent/a_id/33673 (abgerufen am: 09.12.2024 )
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