Deutsche Insolvenzverwalter hadern mit zu viel staatlicher Unterstützung für kriselnde Unternehmen und der EU-Harmonisierung des Insolvenzrechts. Auf einer Tagung in Berlin setzen sie stattdessen auf den Markt und Altbewährtes.
Es gab schon mal Zeiten, da hatten Anwältinnen und Anwälte, die in Deutschland schwerpunktmäßig im Insolvenzrecht und in der Sanierung von Unternehmen tätig sind, mehr zu tun. Schließlich befand sich die Zahl der Unternehmensinsolvenzen 2021 auf dem niedrigsten Niveau seit 1992. Grund dafür ist die Corona-Krise: Bund und Länder haben mit diversen Kreditprogrammen, Steuerstundungen, Kurzarbeitergeld oder auch der Aussetzung der Insolvenzantragspflicht eine Reihe von Maßnahmen ergriffen, um Firmenpleiten und Entlassungen aufgrund der Corona-Pandemie zu verhindern oder hinauszuzögern.
Dass derartige staatliche Lenkung einen Berufsstand, der mit dem (drohenden) Bankrott von Unternehmen Geld verdient, naturgemäß nicht rückhaltlos erfreut, liegt auf der Hand. Und so bekräftigte Jörn Weitzmann, Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft Insolvenzrecht und Sanierung im Deutschen Anwaltverein (DAV), gleich zu Beginn des 19. Deutschen Insolvenzrechtstages seine grundlegende Skepsis gegenüber einer überbordenden Hilfe durch den Staat: "Der Erfolg der Stützungsmaßnahmen darf nicht in das Fehlurteil münden, dass eine Wirtschaft dauerhaft staatlicher Lenkung und Unterstützung bedarf." Staatliche Hilfen seien geeignet, die Eigeninitiative zu bremsen. "Der Staat kann niemals so gut und schnell - oder besser – handeln wie die Bürger gemeinsam als Individuum", so Weitzmann.
Dass nach Corona im Kontext des Ukraine-Krieges vielleicht bald die nächsten staatlichen Unterstützungsmaßnahmen anstehen, dürfte derartige Sorgen der Insolvenzrechtler:innen nicht gerade minimieren. Denn sollte sich Deutschland zu einem Energie-Embargo gegen Russland durchringen, dürfte der Staat den dann betroffenen Branchen wieder massiv unter die Arme zu greifen. Pläne u.a. für einen entsprechenden Wirtschaftsstabilisierungspakt liegen bei der Bundesregierung bereits in der Schublade.
"Gesetzgeber hat seine Hausaufgaben gemacht"
Doch staatliche Intervention hin oder her: Regelrecht beglückt sind Insolvenzrechtler:innen von den aktuellen rechtlichen Rahmenbedingungen für ihre Tätigkeit in Deutschland. Das deutsche Insolvenzrecht sei im Bereich Restrukturierung vorbildlich und werde nach einer Studie der OECD hinter Finnland an zweiter Stelle gelistet, lobt Weitzmann. Der Gesetzgeber habe hier in den vergangenen Jahren seine Hausaufgaben gemacht und das deutsche Recht verbessert – etwa durch das seit Beginn 2021 geltende Sanierungs- und Insolvenzrechtsfortentwicklungsgesetz (SanInsFoG) und das Unternehmensstabilisierungs- und -restrukturierungsgesetz (StaRUG).
Die Instrumente des Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens können Unternehmen nutzen, bei denen die Zahlungsunfähigkeit droht, aber noch nicht eingetreten ist. Für krisenbefangene Unternehmen wird dadurch der Anreiz erhöht, frühzeitig Maßnahmen zur Überwindung von wirtschaftlichen Schwierigkeiten zu ergreifen. Ob sich das Gesetz tatsächlich so in der Praxis bewährt, wird durchaus auch kritisch beurteilt.
"Frontalangriff auf deutsches Recht"
Aber weil die Insolvenzrechtler:innen nichts über das deutsche Recht kommen lassen wollen, zieht sich durch die Tagung, für die immerhin rund 760 Teilnehmende nach Berlin gekommen sind, eine gehörige Portion Europa-Skepsis.
Der zuständige Referatsleiter aus dem Bundesjustizministerium (BMJ) berichtet, wie es Deutschland seinerzeit geschafft habe, bei der Ausarbeitung der EU-Restrukturierungsrichtlinie, die später mit dem StaRUG in deutsches Recht umgesetzt wurde, einen Frontalangriff auf das deutsche Recht erfolgreich abzuwenden. Eine Harmonisierung des Insolvenzrechts, so betonte der Beamte, dürfe es nicht um jeden Preis geben. Auch bald nicht, wenn es auf EU-Ebene z.B. um die Verteilungsreihenfolge der Vermögensmasse in einem Insolvenzverfahren geht. Während in Deutschland grundsätzlich alle Gläubiger geleichbehandelt werden, privilegiert z.B. Frankreich die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer der betroffenen Unternehmen.
Kollision zwischen Insolvenz- und Arbeitsrecht
Apropos Privilegierung der Arbeitnehmerschaft: Auch das ist für die Insolvenzrechtler:innen ein Thema mit enormem Konfliktpotential - wie überhaupt das Verhältnis zwischen Arbeitsrecht und Insolvenzrecht offenbar alles andere als reibungslos verläuft. Auf dem Insolvenzrechtstag referierte hierzu die Vorsitzende Richterin am Bundesarbeitsgericht (BAG), Karin Spelge. Ihrem 6. Senat ist das Insolvenzrecht zugewiesen. Immer wieder komme es zu "Kollisionen" zwischen Insolvenzrecht und Arbeitsrecht, weiß Spelge.
Besonders aufgewühlt hat die Richterin dabei das Thema Urlaubsgeltung im Insolvenzverfahren. Das BAG hatte hier kürzlich seine Rechtsprechung geändert und für Diskussionen gesorgt. Urlaubsabgeltungsansprüche von Beschäftigten sind seither nicht mehr nur anteilig, sondern in vollem Umfang Masseverbindlichkeiten und damit vorrangig zu bedienen, wenn der vorläufige Insolvenzverwalter die Arbeitsleistung bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses noch in Anspruch genommen hat. Den Insolvenzverwalter:innen, die darum bemüht sind, möglichst viel Vermögen für die Gläubiger zu erhalten, schmeckt dieser Rechtsprechungsschwenk gar nicht.
Keine Pressemitteilungen mehr vom BAG?
Bevor seinerzeit das Urteil jedoch in schriftlicher Form vorlag, diskutierten aufgebrachte Insolvenzrechtler:innen über dieses erst einmal ausschließlich auf Grundlage einer hierzu vom BAG veröffentlichten Pressemitteilung. Ein Vorgang, der offenbar für Unruhe an Deutschlands höchstem deutschen Arbeitsgericht sorgte: "Wir überlegen ernsthaft, in Zukunft keine Pressemitteilungen mehr zu veröffentlichen", verrät Spelge. Schließlich diskutiere man nur noch über diese, die eigentliche Entscheidung lese später keiner mehr, beklagte die Richterin.
Ob man sich beim BAG auch Gedanken macht, dass es vielleicht auch an der Qualität der Pressemitteilung liegen könnte, wie über eine BAG-Entscheidung diskutiert wird?
"EuGH macht alles teuer und kompliziert"
Nach ihren zugespitzten Thesen durfte sich die Bundesarbeitsrichterin am Ende ihrer Rede gleichwohl über viel Applaus freuen. Denn die Insolvenzrechtler:innen sind auch über jedes Verfahren froh, das das BAG nicht dem EuGH vorlegt. Landeten Rechtsmaterien aus dem Bereich Insolvenzrecht, wie z.B. der Umgang mit Urlaub, vor dem EuGH, werde es in aller Regel "teuer, kompliziert und es kommt garantiert zu einer Lösung auf Kosten der Gläubiger", meint Arbeits- und Insolvenzrechtlerin Dr. Ruth Rigol.
Die Rechtsanwältin, die auch im Geschäftsführenden Ausschuss der DAV-Arbeitsgemeinschaft sitzt, ruft deshalb nach der Spelges Rede der Richterin als erstes zu: "Danke, dass Sie uns vor dem EuGH beschützen".
Weitzmann erläutert gegenüber LTO die Europa-Skepsis seiner Zunft: "Es steht zu befürchten, dass eine europäische Harmonisierung hier zu einer 'Verwässerung' und zu Effektivitätsmängeln und Effizienzverlusten führt. Harmonisierung in Europa bedeutet leider nicht zwangsläufig, dass man sich an den Grundsätzen der Effektivität, Effizienz und der ‘Best-Practice'" orientiere.
Wirecard-Verwalter auch unter den Rednern
Von außergewöhnlicher "Best Practice" eines Insolvenzverwalters berichtete auf der Tagung der renommierte Münchner Insolvenzverwalter Dr. Michal Jaffé ". Der Anwalt organisiert die Insolvenz des Skandalkonzerns Wirecard, der plötzlich 1,9 Milliarden Euro weniger in seinen Büchern hatte als zuvor bilanziert. Jaffé berichtete von über 40.000 Forderungsanmeldungen, rund 39.000 stammten von Aktionärinnen und Aktionären, von denen wiederum 18.000 anwaltlich nicht vertreten seien. Dementsprechend bereite der Fall seiner Kanzlei enorm viel Arbeit.
Stolz ist Jaffé darauf, dass es ihm im Verlauf der vergangenen Monate gelungen sei, gehörige Summe in die ihm zu Verfügung stehende Vermögensmasse zurückzuführen. 120 Millionen seien bereits geflossen, weitere 55 Millionen kämen nach Ostern noch hinzu. Und auch, dass es gelungen sei, durch den Verkauf von Wirecard-Tochtergesellschaften 2.600 Arbeitsplätzte zu erhalten, freut den renommierten Insolvenzverwalter aus München.
Weitere Details aus dem Wirecard-Verfahren will Jaffé in Berlin vor seinen Berufskolleg:innen allerdings nicht verraten. Auch Fragen von Journalist:innen lässt er nicht zu.
Eine wichtige Botschaft hat er dennoch noch parat: Noch in diesem Jahr soll die Mega-Pleite des Zahlungsdienstleisters als Doku-Thriller bei Netflix laufen.
19. Deutscher Insolvenzrechtstag in Berlin: . In: Legal Tribune Online, 04.04.2022 , https://www.lto.de/persistent/a_id/48035 (abgerufen am: 01.11.2024 )
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