Julian Reichelt ging mit der Medienkanzlei gegen Berichte über "Machtmissbrauch" bei Axel Springer vor. Weil dieselbe Sozietät auch eine Frau vertritt, die Vorwürfe gegen Reichelt erhebt, stand ein gesetzwidriger Interessenkonflikt im Raum.
Die Generalstaatsanwaltschaft (GenStA) Berlin hat die berufsrechtlichen Ermittlungsverfahren gegen die Namenspartner der Berliner Medienkanzlei Irle Moser eingestellt. Das teilte die Kanzlei am Montag mit. Hintergrund des Verfahrens ist die Presseberichterstattung über einen vielfach als solchen bezeichneten “Machtmissbrauch” des ehemaligen Bild-Chefredakteurs Julian Reichelt. Die GenStA übernahm die Ermittlungen auf Antrag der Rechtsanwaltskammer (RAK) Berlin. Es handelte sich nicht um strafrechtliche Ermittlungen. Vielmehr ging es um einen möglichen Verstoß gegen das berufsrechtliche Verbot, dass Anwälte derselben Kanzlei in demselben Rechtsstreit gegnerische Mandanten vertreten.
Dr. Ben M. Irle vertritt Julian Reichelt seit 2023 in Streitigkeiten gegen Medien, die Vorwürfe von "Machtmissbrauch" Reichelts gegenüber weiblichen Angestellten bei Axel Springer zum Gegenstand haben. Im Zuge des Skandals war Reichelt im Oktober 2021 entlassen worden. Christian-Oliver Moser, neben Irle der andere Namenspartner der Kanzlei, vertritt eine frühere Dienstleisterin von Axel Springer, die Reichelt machtmissbräuchliches Verhalten vorwirft.
Dass zwei Partner derselben Kanzlei zwei Mandanten mit – vermeintlich – entgegengesetzten Interessen in – vermeintlich – derselben Sache vertreten, rief breite Kritik hervor. Die Süddeutsche Zeitung (SZ) etwa titelte "Wenn Anwälte zu Verrätern werden", tagesschau.de "Eine Kanzlei, zwei Lager". Die SZ fragte zudem bei der RAK Berlin an, ob diese hier einen gesetzwidrigen Interessenkonflikt erkenne. Daraufhin leitete die RAK – aufgrund von Zeitungswissen – ein berufsrechtliches Verfahren ein und stellte den Vorwurf einen Verstoßes gegen anwaltliches Berufsrecht in den Raum. Die RAK legte Irle und Moser in dem Schreiben von April 2023 nahe, ihre Mandate niederzulegen. Nach Anhörung der Anwälte folgte unter Verweis auf Zeitungsberichte im Mai eine zweite, "dringende Aufforderung", die Mandate unverzüglich niederzulegen. Zudem übergab sie die Sache an die GenStA Berlin zur weiteren Untersuchung. Die kam jedoch zu dem Schluss, dass kein Verstoß gegen die anwaltlichen Berufspflichten vorliegt.
Vertretung von Prozessgegnern verboten
Die genaue Begründung ist nicht bekannt. Wie die FAZ am Dienstag berichtete, handle es sich bei der staatsanwaltlichen Verfügung, das Verfahren einzustellen, nur um einen "Zweizeiler". Auf LTO-Anfrage teilte die GenStA Berlin zur Begründung der Einstellungsentscheidungen nur mit, dass "keine belastbaren Tatsachen ermittelt werden konnten, die den Tatvorwurf hätten erhärten können". Weitere Auskünfte könnten mit Blick auf die "überwiegenden Persönlichkeitsrechte der Betroffenen" nicht erteilt werden, so GenStA-Sprecher Sebastian Büchner.
Gegenstand der Prüfung war § 43a Abs. 4 der Bundesrechtsanwaltsordnung (BRAO). Satz 1 definiert als eine der "Grundpflichten" des Rechtsanwalts, nicht tätig zu werden, "wenn er einen anderen Mandanten in derselben Rechtssache bereits im widerstreitenden Interesse beraten oder vertreten hat". Satz 2 stellt klar, dass dies auch für verschiedene Anwälte derselben Sozietät gilt. Eine Ausnahme hiervon enthält Satz 4, wenn beide betroffenen Mandanten zustimmen und "geeignete Vorkehrungen die Einhaltung der Verschwiegenheit des Rechtsanwalts sicherstellen". Es muss also gewährleistet sein, dass die beiden Anwälte nicht miteinander über den Fall kommunizieren – in der Rechtspraxis spricht man von "Chinese Walls". Insofern geben Irle Moser an, diese Vorgaben umgesetzt zu haben.
Ob die GenStA das genauso beurteilt oder ob sie schon einen Verstoß gegen das Verbot der Vertretung widerstreitender Interessen verneint hat, ist nicht bekannt. Im Ergebnis jedenfalls hat sie Irle und Moser Recht gegeben. Die Einstellung des berufsrechtlichen Ermittlungsverfahrens "bestätigt unsere von Anfang an vertretene Rechtsauffassung, dass der Vorwurf des Vorliegens einer Interessenkollision aufgrund der Vertretung widerstreitender Interessen stets unbegründet war", kommentiert Oliver Moser die Entscheidung der GenStA in einer Presseerklärung.
"Verfahren fußte vollständig auf uninformierten Presseberichten"
Rechtsanwalt und Strafverteidiger Dr. Nikolaos Gazeas von der Kölner Kanzlei Gazeas Nepomuck, der Irle in dem Verfahren vertritt, betonte, dass die Vorverurteilung der Kanzlei durch Medien und die RAK auf unvollständigen Informationen beruht habe. "Wie bei jedem Vorwurf gilt die goldene Grundregel, dass man über keinen Fall urteilen sollte, dessen Sachverhalt man nicht kennt", so Gazeas.
Das bekräftigte Rechtsanwalt Manuel Operhalsky von der Berliner Kanzlei Danckert, Bärlein & Partner, der Moser in dem Verfahren vertritt. "Das Verfahren vor der Anwaltskammer fußte vollständig auf uninformierten Presseberichten, mündete aber gleichwohl in der Abgabe an die Verfolgungsbehörde, um ein angebliches Berufsvergehen ahnden zu lassen", so Operhalsky. Irle selbst sieht den Fall als Beispiel für "besorgniserregende Tendenzen der medialen Einflussnahme auf die Rechtspflege".
Kern des Vorwurfs unzureichender Information ist: Die Medien sowie die RAK Berlin hätten nicht berücksichtigt, welcher Beratungsauftrag dem jeweiligen Mandat zugrunde lag und um wessen Ansprüche gegen wen es konkret ging. In einer Presseerklärung der Kanzlei zur Verfahrenseinstellung heißt es dazu, die jeweils zu prüfenden Rechtsfragen wiesen "keinerlei Überschneidungen" auf. Zudem seien die Mandanten auch formal keine Prozessgegner. Schließlich geht Reichelt gegen Medien und Verlagshäuser vor, die von Moser beratene Frau hatte Ansprüche gegen die Axel Springer SE prüfen lassen, nicht aber gegen Julian Reichelt. Ansprüche habe Moser im Übrigen verneint, sodass dieser Teil des Mandats damit beendet war.
Gutachten erkannte keinen Verstoß
Dass die GenStA ihre Rechtssauffassung im Ergebnis stützt, überrascht die beiden Anwälte nach eigener Aussage nicht. Schon Prof. Dr. Martin Henssler, Direktor des Instituts für Anwaltsrecht an der Uni Köln, war in einem von Irles Anwalt Gazeas in Auftrag gegebenen Gutachten zu dem Schluss gekommen, dass kein Verstoß gegen die anwaltlichen Grundpflichten vorliege. Das 88-seitige Gutachten liege seit Mai 2023 vor und sei im Ergebnis "eindeutig", sagt Gazeas zu LTO. Die RAK Berlin hatte dieses Gutachten nicht abgewartet. Inwiefern die GenStA dieses berücksichtigt hat, ist nicht bekannt.
Die Zuständigkeit der GenStA in diesem berufsrechtlichen Ermittlungsverfahren ergibt sich aus § 120 BRAO. Danach nimmt die GenStA beim Anwaltsgericht die Rolle der Staatsanwaltschaft wahr. Die Einstellung erfolgte hier nach § 116 Abs. 1 S. 2 BRAO i. V. m. § 170 Abs. 2 Strafprozessordnung. Die GenStA sah keinen hinreichenden Verdacht für einen Verstoß gegen die BRAO. Rechtsanwalt Gazeas spricht deshalb von einer Einstellung in der "bestmöglichen Form, nach der eine Einstellung erfolgen kann".
Erfolgt ist die Einstellung laut GenStA-Sprecher Büchner schon am 13. März 2024. Mit der Presseinformation hat die Kanzlei Irle Moser abgewartet, bis feststand, dass die RAK Berlin kein Rechtsbehelf gegen die Einstellungsentscheidung einlegen kann.
Laut Anwalt Gazeas verdeutlicht der Fall, dass eine Rechtsanwaltskammer auch Fehler mache. "Es spricht für den betroffenen Anwalt, wenn er nach professioneller Prüfung an dem Mandat festhält, dem Druck der Rechtsanwaltskammer standhält und seinen Mandanten nicht im Regen stehen lässt", so der Strafrechtler zu LTO. Welche praktischen Schwierigkeiten eine Vertretung unterschiedlicher Interessenträger in einem Verfahrenskomplex haben können und welche Anforderungen für die Errichtung von "Chinese Walls" gelten, hat LTO anlässlich des Verfahrens im April 2023 dargestellt.
Aktualisierte Version vom 08.01.2025, 11:52 Uhr (mk)
GenStA stellt Ermittlungsverfahren gegen Irle Moser ein: . In: Legal Tribune Online, 07.01.2025 , https://www.lto.de/persistent/a_id/56279 (abgerufen am: 15.01.2025 )
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