Erleichterung bei den deutschen Anwaltsverbänden über ein Urteil aus Luxemburg: Der EuGH hält das Beteiligungsverbot reiner Finanzinvestoren an Rechtsanwaltsgesellschaften für gerechtfertigt, um anwaltliche Unabhängigkeit zu gewährleisten.
Das sogenannte Fremdkapitalverbot für deutsche Anwaltskanzleien, also das Verbot, dass sich Investoren an Anwaltsgesellschaften beteiligen dürfen, verstößt nicht gegen die Vorschriften des europäischen Rechts. Das entschied heute der Europäische Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg (Urteil vom 19.12.2024, Az. C-295/23).
Das im deutschen Recht verankerte Verbot schränke zwar die Niederlassungsfreiheit ein, sei aber durch zwingende Gründe des Allgemeinwohls, hier die anwaltliche Unabhängigkeit, gerechtfertigt, so das Gericht. Die Beschränkung der Niederlassungsfreiheit und des freien Kapitalverkehrs gewährleiste, dass Rechtsanwälte ihren Beruf unabhängig und unter Beachtung ihrer Berufspflichten ausüben können. Damit folgte das Gericht auch nicht dem EuGH-Generalanwalt. Dieser hatte in seinen Schlussanträgen kürzlich noch Verstöße gegen die EU-Niederlassungsfreiheit moniert.
Mit dem Urteil reagierte der EuGH überraschend deutlich auf eine Vorlage des Bayerischen Anwaltsgerichtshof (AGH) vom April 2023. Deutsche Anwaltsverbände begrüßten die Luxemburger Entscheidung.
EuGH: Beschränkungen in die EU-Niederlassungsfreiheit gerechtfertigt
Nach Ansicht der Großen Kammer des EuGH sind die Beschränkung der Niederlassungsfreiheit und des freien Kapitalverkehrs durch zwingende Gründe des Allgemeininteresses gerechtfertigt. Ein Mitgliedstaat könne legitimerweise davon ausgehen, dass ein Rechtsanwalt nicht in der Lage wäre, seinen Beruf unabhängig und unter Beachtung seiner Berufs- und Standespflichten auszuüben, wenn er einer Gesellschaft angehörte, zu deren Gesellschaftern Personen zählen, die ausschließlich als reine Finanzinvestoren handeln, ohne selbst anwaltlich tätig zu sein.
Und selbst für den Fall, dass die Investoren keinen Einfluss auf die inhaltliche anwaltliche Tätigkeit haben, hält der EuGH das Verbot für verhältnismäßig.
Das mit Spannung erwartete Urteil macht nun die Hoffnung so mancher Anwälte und Investoren zunichte, die gehofft hatten, durch das Öffnen der Tür für Investoren den Rechtsmarkt verändern zu können.
Der vorlegende AGH hatte seinerzeit noch europarechtliche Bedenken, wenn sich nicht alle Dritten, die es möchten, an einer Rechtsanwaltsgesellschaft beteiligen dürfen. Und zwar selbst dann nicht, wenn im Gesellschaftsvertrag die Einflussnahme auf die anwaltliche Tätigkeit ausgeschlossen ist und die Geschäftsführung Rechtsanwälten vorbehalten ist.
Auseinandersetzung zwischen Rechtsanwaltsgesellschaft und RAK München
Hintergrund des Verfahrens ist eine Auseinandersetzung der Halmer Rechtsanwaltsgesellschaft UG mit der Rechtsanwaltskammer (RAK) München. Der Gründer der Gesellschaft, Rechtsanwalt Dr. Daniel Halmer, hat bereits mit verschiedenen Gesellschaften zum Beispiel mit der Gesellschaft Mietright zur Überprüfung der Mietpreisbremse durch nichtanwaltliche Gesellschaften, für erhebliche Unruhe im anwaltlichen Markt gesorgt.
Halmer hatte Ende 2020 die Unternehmergesellschaft (UG) gegründet und im Juni 2021 eine knappe Mehrheit, nämlich 51 Prozent seiner 100 Geschäftsanteile, an die österreichische SIVE Beratung und Beteiligung GmbH abgetreten. In der Satzung der UG waren dabei weitreichende Regelungen vereinbart worden, die die anwaltliche Berufsausübung in der Gesellschaft dem Einfluss der Gesellschafter weitgehend entzogen. So müssen die Geschäftsführer der Gesellschafter Rechtsanwälte sein, die Gesellschaft darf nicht gegen die Regelungen der Bundesrechtsanwaltsordnung verstoßen und weitere, auch Verbraucher schützende Regelungen waren dort enthalten.
Nachdem die Abtretung der Gesellschaftsanteile der RAK München mitgeteilt worden war, widerrief diese mit Bescheid vom 9.11.2021 die Zulassung der UG als Rechtsanwaltsgesellschaft. Gegen diesen Widerruf richtet sich die Klage der UG vor dem Bayerischen AGH. Dabei steht die UG dezidiert auf dem Standpunkt, dass das grundsätzliche Fremdkapitalverbot für Rechtsanwaltsgesellschaften verfassungsrechtlich und europarechtlich nicht haltbar sei.
Vermeidung von Interessenskonflikten
Dem hat der EuGH nun eine Absage erteilt. Nach Ansicht des Gerichts ist es für die Ausübung des Rechtsanwaltsberufs unerlässlich, dass es nicht zu Interessenkonflikten kommt. Einflussnahmen von Investoren seien auch durch Regelungen für die Berufsausübung für nicht auszuschließen.
Das Gericht schreibt: "Das Bestreben eines reinen Finanzinvestors, seine Investition ertragreich zu gestalten, könnte sich nämlich auf die Organisation und die Tätigkeit einer Rechtsanwaltsgesellschaft auswirken. So könnte ein solcher Investor, sollte er den Ertrag seiner Investition für unzureichend halten, versucht sein, auf eine Kostensenkung oder das Bemühen um eine bestimmte Art von Mandanten hinzuwirken – gegebenenfalls unter der Androhung, dass er andernfalls seine Investition zurückziehen werde, was seine Einflussmöglichkeit, und sei sie auch nur mittelbar, hinreichend ausmacht."
Nicht berühren dürfte die EuGH-Entscheidung die seit August 2022 geltenden Erleichterungen für die Zusammenarbeit in Berufsausübungsgesellschaften. Nach § 59c BRAO dürfen sich Rechtsanwälte seither auch mit den meisten anderen freien Berufen (Ärzten, Sachverständigen, Architekten, Unternehmensberater etc.) in einer Berufsausübungsgesellschaft zusammenschließen, auch wenn hier noch bestimmte Beschränkungen einzuhalten sind. Eine Kapitalbeteiligung anderer freier Berufe an einer Kanzlei ist somit aktuell möglich.
BRAK sieht sich betätigt
Die Bundesrechtsanwaltskammer (BRAK) reagierte am Donnerstag erfreut auf die Entscheidung aus Luxemburg: Das Urteil bestätige vollumfänglich die Position der BRAK, erklärte André Haug, der für das Thema zuständige Vizepräsident der Kammer. "Das Fremdbesitzverbot ist gerechtfertigt, um die anwaltliche Unabhängigkeit zu gewährleisten. Und so sieht es ja auch die überwältigende Mehrheit der Anwältinnen und Anwälte in Deutschland, wie die Umfrage des BMJ eindrücklich gezeigt hat." Haug bezieht sich dabei auf eine Umfrage, über die auch LTO ausführlich berichtet hatte.
BRAK-Präsident Ulrich Wessels wertete das Urteil als Bekenntnis zu den Kernwerten der Anwaltschaft: "Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte müssen ihren Beruf frei ausüben können. Dies dient in besonderem Maße auch dem Schutz der Mandantinnen und Mandanten, die sich auf die Unabhängigkeit der sie beratenden Anwältinnen und Anwälte verlassen müssen!" Dies zu gewährleisten, sei Sinn und Zweck des Fremdbesitzverbots.
DAV: "Anwaltliche Unabhängigkeit ein Wert an sich"
Auch der Deutsche Anwaltverein DAV begrüßte "im Interesse der Rechtspflege und der Rechtssuchenden in Deutschland" die EuGH-Entscheidung. In Deutschland bestehe zwar ein kategorisches Verbot einer reinen finanziellen Beteiligung an Kanzleien. Zeitgleich seien aber – insbesondere nach der großen Reform der BRAO im Jahre 2022 – zahlreiche nicht anwaltliche Berufe sozietätsfähig. "Darin sieht der EuGH nach seiner heutigen Entscheidung keinen Widerspruch und bestätigt die anwaltliche Unabhängigkeit als Wert an sich", freute sich der DAV in einer Erklärung am Donnerstag.
DAV-Präsidentin Edith Kindermann reagierte erleichtert: "Die Unabhängigkeit ist ein entscheidender Kernwert der Anwaltschaft. Und diese ist – nun auch mit ausdrücklichem 'Segen' des EuGH hinsichtlich des Beteiligungsverbots reiner Finanzinvestoren – nicht verhandelbar." Damit Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte ihrer Rolle im Rechtsstaat nachkommen könnten, sei es unverzichtbar, dass sie unabhängig seien – "sowohl von staatlichen Stellen als auch von rein wirtschaftlichen Interessen", so Kindermann.
Nach Meinung des DAV sind die aus einem Fremdbesitz resultierenden Gefahren für die Berufsausübung und für den Schutz der Interessen der Rechtssuchenden hoch: In Erwartung eines "Return of Investment", also der Sorge, dass das Kapital des Investors wieder entzogen wird, würden Mandate dann häufig nur noch rein ertragsorientiert begründet und beendet werden. Einsatz und Entzug von Kapital würden finanziellen Druck auf Anwaltskanzleien ausüben und so deren berufliche Unabhängigkeit und Integrität gefährden. "Ein seiner Rendite verpflichteter Investor muss in Verfolgung seiner Ziele marktsteuernde Interessen verfolgen", so Kindermann. "Wir sind erleichtert, dass wir dies im Kontext deutscher Rechtsanwaltsgesellschaften weiterhin nicht befürchten müssen."
Politische Initiativen aussichtslos
Das ungewöhnlich klare Urteil der Luxemburger Richter wird dazu führen, dass es jedenfalls in nächster Zeit zu keinen weiteren Lockerungen der Beteiligung an Anwaltskanzleien, also an Berufsausübungsgesellschaften, kommen wird. Zwar hatte die FDP im Koalitionsvertrag der Ampel-Regierung noch eine Überprüfung des Fremdkapitalverbots angekündigt. Entsprechende politische Initiativen dürften aber in der Zukunft keinen Erfolg mehr haben.
Schließlich hat der EuGH ein sehr klares Verständnis von der anwaltlichen Unabhängigkeit, das insgesamt die anwaltliche Stellung auch der deutschen Rechtsanwälte gegenüber staatlichen und wirtschaftlichen Interessen stärkt.
EuGH zum Fremdkapitalverbot für Anwaltskanzleien: . In: Legal Tribune Online, 19.12.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/56160 (abgerufen am: 24.01.2025 )
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