Es wird keine sanktionsbewehrte Fortbildungspflicht geben. Ein Gespräch mit Ulrich Wessels über eine Niederlage für die anwaltliche Selbstverwaltung, die Überprüfbarkeit von Fortbildung und den Wunsch, das Sanktionssystem für Anwälte umzubauen.
LTO: Am vergangenen Donnerstag hat der Bundestag in zweiter und dritter Lesung das nationale Umsetzungsgesetz zur europäischen Berufsanerkennungsrichtlinie beschlossen – und zwar ohne die vom Bundesministerium der Justiz (BMJV) vorgeschlagene und von der Bundesrechtsanwaltskammer (BRAK) befürwortete sanktionsbewehrte Fortbildungspflicht für Anwälte. Herr Dr. Wessels, warum hätte die BRAK die Ermächtigung der Satzungsversammlung zur Ausgestaltung einer Fortbildungspflicht für nötig gehalten?
Wessels: Fortbildung ist ein elementarer Bereich unseres Berufs. Das ist schon gesetzlich festgelegt, in § 43a BRAO (Anm. d. Red: Bundesrechtsanwaltsordnung). Deshalb sollte die Fortbildung auch einen Stellenwert im Bewusstsein der Kolleginnen und Kollegen bekommen, der gewährleistet, dass wir die Qualität unseres Berufs hochhalten können.
Dieser gesetzlichen Fortbildungspflicht kommen sehr viele Kollegen bereits nach - und das gilt nicht nur für die Fachanwälte nach der Fachanwaltsordnung. Die Kollegen wissen ganz überwiegend, dass eine qualitativ hochwertige Rechtsberatung nur möglich ist, wenn man sich fortbildet.
"Die BRAK hätte finanziell nicht von Pflichtfortbildungen profitiert"
LTO: Mit genau diesem Argument hat die Union eine sanktionsbewehrte Fortbildungspflicht abgelehnt: Die Anwälte bildeten sich schon genug fort, eine weitere Konkretisierung der Pflicht aus § 43a BRAO brauche es nicht - sie würde vielmehr nur den Seminaranbietern nutzen, die an Pflichtfortbildungen erheblich verdienen könnten.
Wessels: Die erste Aussage ist durchaus richtig. Das ändert aber nichts daran, dass wir uns gewünscht hätten, dass die Satzungsversammlung im Rahmen der Selbstverwaltung die Möglichkeit bekommt, diese vorhandene Fortbildungspflicht näher zu konkretisieren. Ob man Verstöße auch sanktionieren müsste, ist ja eine völlig andere Frage. Die Ausgestaltung der Fortbildungspflicht wäre aber in unserem Interesse gewesen - nicht zuletzt, um den Kollegen zusätzliche Anreize zu geben und zu zeigen, wie vielseitig und hochwertig Fortbildung sein kann.
Dabei geht es der BRAK keineswegs darum, irgendwelche Gelder zu generieren. Nur zur Klarstellung: Die BRAK bietet keine Fortbildungsveranstaltungen an. Sie profitiert in finanzieller Hinsicht nicht von den Fortbildungsveranstaltungen: Das Deutsche Anwaltsinstitut, das von den Kammern und der BRAK getragen wird, ist vollkommen eigenständig, es werden - anders als beim Deutschen Anwaltverein, an den die Akademie Beträge abführt - keine Gelder an die BRAK abgeführt.
"Auch das Selbststudium hätte als Fortbildung gezählt"
LTO: Wie hätte denn, in einer idealen Welt, die Ausgestaltung der Fortbildungspflicht aus Sicht der BRAK ausgesehen?
Wessels: Das zu entscheiden, wäre nicht die Aufgabe der BRAK, sondern der Satzungsversammlung.
LTO: Die sich darüber aber ja durchaus schon Gedanken gemacht hat...
Wessels: In der Tat, sehr intensiv sogar. Es gibt Vorschläge des zuständigen Ausschusses, die 40 Stunden Pflichtfortbildung pro Jahr vorsehen. Diese können allerdings in ganz unterschiedlicher Art und Weise absolviert werden - nicht nur durch den Besuch von Seminaren, sondern auch durch Selbststudium oder durch Anrechnung der Fachanwaltsfortbildung. Ein bunter Strauß, in dem sich jeder Kollege und jede Kollegin hätte wiederfinden können.
Schwieriger zu beantworten ist naturgemäß die Frage, ob und wie man die Einhaltung der Fortbildungspflicht kontrollieren kann, vor allem natürlich, wenn es um das Selbststudium durch zum Beispiel die Lektüre von Fachzeitschriften oder wissenschaftlicher Literatur geht.
"Die Idee mit der Geldbuße war ein Schnellschuss"
LTO: Zu dieser Nachweispflicht gab es also noch keine weiteren Ideen?
Wessels: Noch keine detaillierten. Die Satzungsversammlung hatte nicht vorgesehen, dass jede Stunde dokumentiert werden muss. Es ging eher darum, welche Art der Fortbildung man gemacht hat, zum Beispiel durch das Lesen von Fachliteratur. Der Nachweis ist schwierig, ohne Zweifel. Aber auch da hätte es sicherlich gute Möglichkeiten gegeben, die den Verwaltungsaufwand sowohl für die Anwälte als auch für die Kammern verhältnismäßig gehalten hätten.
LTO: Wie stand die Satzungsversammlung zur Frage der Sanktionierung bei einer Verletzung der Fortbildungspflicht?
Wessels: Die Bußgeldbewehrung ist in der Satzungsversammlung nach meiner Erinnerung nicht der Kern der Diskussion gewesen. Diese Forderung kam aus dem politischen Raum - ob die Geldbuße adäquat gewesen wäre, kann man sicherlich bezweifeln. Wir haben schließlich auch nach dem bisherigen System Sanktionsmöglichkeiten, die über eine Rüge oder einen belehrenden Hinweis hinausgehen.
Nach meiner persönlichen Einschätzung war die Idee einer Geldbuße ein Schnellschuss - der dann auch noch erweitert wurde auf sämtliche Berufspflichtverletzungen. Aber das Ganze ist ja gekippt worden: es wird also keine Möglichkeit der Kammern geben, Bußgelder für die Verletzung von Berufspflichten zu verhängen.
2/2: "Der Wahlkampf hat es noch schwerer gemacht"
LTO: Die Diskussion im Gesetzgebungsverfahren hat sich sehr lang hingezogen, die Union und SPD konnten sich konnten sich nicht einigen. Wissen Sie mehr dazu, warum am Ende von dem ursprünglichen Reformvorhaben lediglich Teilaspekte beschlossen wurden? Wie stark war die BRAK in das Gesetzgebungsverfahren eingebunden?
Wessels: Wir werden genauso stark eingebunden wie der DAV und wir bringen uns genauso ein wie dieser, indem wir die nach unserer Meinung gebotenen Stellungnahmen zu den inhaltlichen Fragen abgeben.
Die eigentlichen politischen Diskussionen sind aber weder vom DAV noch von der BRAK unmittelbar zu beeinflussen. Dass die sog. Kleine BRAO-Reform letztendlich in wesentlichen Punkten gescheitert ist und bloß noch - wenn auch in Teilbereichen sehr sinnvolle - einzelne Punkte regelt, hat aus meiner Sicht zwei Gründe: Durch die Kombination mit der Umsetzung der Berufsanerkennungsrichtlinie, für die die Frist schon abgelaufen ist, gab es einen erheblichen Zeitdruck. Dadurch ist die inhaltliche Diskussion um die kleine BRAO-Reform etwas zu kurz gekommen.
Das wird noch verstärkt durch den zweiten Grund, nämlich das vor der Tür stehende Ende der Legislaturperiode. Der Wahlkampf hat es noch einmal schwerer gemacht, eine Kompromisslinie zu finden, die man bei mehr Ruhe und Zeit für Sachlichkeit sicherlich hätte finden können.
"Wer keine 150 Euro für eine Fortbildung hat, sollte keine Kanzlei gründen"
LTO: Auch die geplante Berufspflicht, sich vor oder kurz nach der Zulassung zur Anwaltschaft zehn Stunden berufsrechtlich zu informieren, ist auf diesem Wege verschwunden. Weshalb?
Wessels: Wir hätten es sehr begrüßt, diesen Kenntnisstand zu erweitern. In der Ausbildung wird das ja, auch wenn man dem Berufsrecht in der Anwaltsstation begegnen sollte, eher vernachlässigt. Und es geht schließlich nicht nur um unser Berufsrecht, sondern dieses begünstigt und schützt ja die Mandanten, wie zum Beispiel bei der Verschwiegenheitspflicht.
Dass es auch dazu nicht gekommen ist, wurde damit begründet, dass die jungen Anwälte einerseits keine Zeit und andererseits das Geld dafür nicht hätten. Beides überzeugt mich nicht - zumal nur zehn Stunden vorgesehen waren, die man zudem über einen bis auf maximal sieben Jahre zu streckenden Zeitraum auch schon vor der Zulassung hätte erbringen können.
Das Kostenargument ist kaum überzeugender, wenn man sich die Preise für Fortbildung - sowohl der gewerblichen Anbieter als auch der Kammern - ansieht. Man kann davon ausgehen, dass man die zehn Stunden für 150 Euro hätte bekommen können - wer das Geld nicht hat, sollte keine Kanzlei gründen und nicht Anwalt werden.
"Verpflichtende Briefwahl schwächt die Bedeutung der Kammerversammlung"
LTO: Zukünftig ist aber, um mal zu den von Ihnen angesprochenen positiven Aspekten zu kommen, eine verbindliche Briefwahl zu den Kammerversammlungen vorgesehen. Versprechen Sie sich davon eine höhere Wahlbeteiligung – und damit mehr demokratische Legitimation in den regionalen Kammern?
Wessels: Die Einführung einer verpflichtenden Briefwahl entsprach oder entspricht nicht dem Vorschlag und der Anregung der BRAK. Vorgesehen war eine Öffnungsklausel im Hinblick auf die Briefwahl, so dass die Kammerversammlung als höchstes und wichtigstes Entscheidungsgremium zwischen einer Präsenz– und Briefwahl hätte entscheiden können. Das wäre eine Stärkung der Selbstverwaltung gewesen, die wir uns gewünscht hätten, zumal bei den Wahlen in einzelnen Kammern auch regionale Besonderheiten bei der Zusammensetzung des Kammervorstandes zu berücksichtigen sind. Diese Argumente haben auch den Rechtsausschuss des Bundesrates überzeugt.
Natürlich wünschen wir uns eine hohe Wahlbeteiligung und diese wird voraussichtlich auch durch eine Briefwahl gesteigert werden können. Dass damit die Bedeutung der Kammerversammlung, in der ja wichtige Entscheidungen zum Haushalt und zu berufsrechtlichen und berufspolitischen Weichenstellungen getroffen werden, geschwächt wird, weil die Kollegen die Briefwahl wichtiger einschätzen als die Teilnahme an der Kammerversammlung, sehe ich durchaus kritisch.
LTO: Die Stimmzettel können aber auch weiterhin in der Kammerversammlung abgegeben werden. Trägt das aus Ihrer Sicht den Bedenken von Kammervertretern, dass durch eine Briefwahl die Kammerversammlung entwertet werden könnte, hinreichend Rechnung?
Wessels: Nein. Die Möglichkeit der Abgabe von Stimmzetteln in der Kammerversammlung ist meines Erachtens nur ein "Deckmantel". Mit einer wirklichen Öffnungsklausel hat dies nichts zu tun.
LTO: Die Wahl kann auch als elektronische Wahl durchgeführt werden. Können die Anwälte in zwei Jahren über das besondere elektronische Anwaltspostfach wählen?
Wessels: Die BRAK wird sicher prüfen, welche Möglichkeiten es gibt, für die Kammern ein elektronisches Wahlverfahren anzubieten.
"Das ganze System zur Sanktionierung von Berufspflichtverletzungen überprüfen"
LTO: Möglich wird auch wieder die Zustellung von Anwalt zu Anwalt.
Wessels: Das ist eine große Erleichterung in der Zusammenarbeit. Das funktionierte ja jahrzehntelang hervorragend und wir begrüßen es sehr, dass die Satzungsversammlung nun sofort mit Inkrafttreten des Gesetzes beschließen kann, dass die Zustellung von Anwalt zu Anwalt wieder möglich ist. So können wir nach der Kehrtwende der Rechtsprechung im Jahr 2015 (BGH, Urt. v. 26.10.2015, Az. AnwSt(R) 4/15) sofort den alten Zustand wieder herstellen, der über Jahrzehnte gut funktioniert hat.
Ebenso positiv ist die Rückwirkungsmöglichkeit bei den Syndizi. Diese werden nun nach § 46a BRAO ab dem Eingang ihres Zulassungsantrags Mitglied in der jeweiligen Anwaltskammer. Diese positiven Elemente, die umgesetzt worden sind, ändern aber nichts daran, dass die Stärkung der Selbstverwaltung in den wichtigen Bereichen der generellen und der berufsrechtlichen Fortbildung für die Zulassung ausgeblieben ist.
LTO: Ist das das Thema, für das Sie weiter kämpfen werden?
Wessels: Sicherlich, neben vielen anderen. Vielleicht wird man auch die Diskussion über Sanktionierungen einer Berufspflichtverletzung wieder aufnehmen. Dabei könnte man nicht nur fragen, ob es zusätzlich zur Rüge eine Geldbuße geben soll, sondern man könnte durchaus einmal das ganze System überprüfen. Zum Beispiel über die schon häufiger diskutierte Möglichkeit, dass Anwaltskammern Unterlassungsverfügungen erlassen können, sollte dann einmal gesprochen werden.
Es bleibt unsere Aufgabe, das Berufsrecht an die Anforderungen der Zukunft anzupassen. Und zwar so, dass einerseits die wesentlichen Werte des Anwaltsberufs und dadurch auch unsere spezielle Stellung als Organ der Rechtspflege erhalten bleiben, und dass unser Berufsrecht andererseits zum Beispiel für die Digitalisierung gewappnet ist.
LTO: Herr Dr. Wessels, wir danken Ihnen für das Gespräch.
Dr. Ulrich Wessels ist Vizepräsident der BRAK und Präsident der Rechtsanwaltskammer Hamm. Der Rechtsanwalt und Notar in der Sozietät Dr. Koenig & Partner GbR in Münster ist zudem Vorstandmitglied und Schatzmeister des Deutschen Anwaltsinstituts.
Das Gespräch führte Pia Lorenz.
Pia Lorenz, BRAK-Vize zur Fortbildungspflicht für Anwälte: "Am Wahlkampf gescheitert" . In: Legal Tribune Online, 04.04.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/22570/ (abgerufen am: 23.04.2024 )
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