Wegen des Angriffskriegs auf die Ukraine hat die EU Sanktionen gegen Russland verhängt, darunter auch ein Rechtsberatungsverbot. Wann genau das gilt, hat das EuG nun konkretisiert: Russische Einzelpersonen dürfen sich einen EU-Anwalt nehmen.
Das Gericht der Europäischen Union (EuG) hat entschieden, dass die EU-Sanktionen gegen Russland nicht das Recht des Einzelnen auf anwaltliche Beratung infrage stellen. Gleichwohl hat es die Nichtigkeitsklagen (Art. 263 Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV)) gegen die EU-Sanktionen abgewiesen, sodass diese weiterhin Bestand haben (Urt. v. 02.10.2024, Az. T‑797/22, T‑798/22 und T‑828/22).
Um die Beendigung des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine herbeizuführen, erließ der Rat der Europäischen Union 2022 mehrere Sanktionen (Verordnung (EU) 2022/1904) gegen Russland. Dazu gehört unter anderem das Verbot, rechtsberatende Dienstleistungen zu erbringen. Konkret bedeutet das für Anwälte, dass sie keine Rechtsberatung für die russische Regierung sowie in Russland niedergelassene juristische Personen, Organisationen oder Einrichtungen erbringen dürfen. Davon gibt es aber etliche Ausnahmen und Befreiungen.
Welche juristischen Tätigkeiten sind von EU-Sanktionen betroffen?
Die Bundesrechtsanwaltskammer (BRAK) hatte bereits 2022 die Verfassungsmäßigkeit dieser Sanktionen angezweifelt, LTO berichtete hier ausführlich. Seitdem beschäftigen Einzelfragen zur Auslegung der Sanktionen und den Ausnahmen immer wieder die nationalen und europäischen Gerichte.
Anfang September 2024 entschied beispielsweise der EuGH in einem für Notare wichtigen Urteil, dass eine Beurkundung nicht gegen die Sanktionen verstoße (Urt. v. 05.09.2024, Az. C-109/23). Zu den Hintergründen dieser Entscheidung, die durch ein Vorabentscheidungsersuchen des Landgericht (LG) Berlin II zustande kam, berichtete LTO hier.
Anwaltliche Dienstleistung für Einzelpersonen wichtig für die Demokratie
Nun nutzte auch das EuG die durch drei Nichtigkeitsklagen von belgischen Rechtsanwaltskammern (unterstützt von der BRAK und der Anwaltskammer Genf) sowie der Anwaltskammer Paris geschaffene Gelegenheit und stellte klar: Auch das Recht russischer Einzelpersonen auf anwaltliche Beratung in einem gegenwärtigen oder zu erwartenden Rechtsstreit ist von den Sanktionen nicht betroffen. Dieses Recht ergibt sich vorliegend aus Art. 47 Grundrechte-Charta (GrCh).
BRAK-Präsidenet Dr. Ulrich Wessels hatte 2022 noch in Richtung Justizminister Marco Buschmann (FDP) gefordert, "für die Sicherung von Rechtsstaatlichkeit und uneingeschränkter Berufsausübungsfreiheit der Anwaltschaft einzustehen". Jedoch vermochte das EuG die tiefgreifenden rechtsstaatlichen Bedenken nicht zu teilen und kam bei der Auslegung der Sanktionsverordnung, insbesondere den Ausnahmeregelungen in Art. 5n Abs. 5, 6 sowie dem Erwägungsgrund 19, zu dem Ergebnis, dass die aus Art. 47 GrCh garantierten Rechte nicht verletzt seien*.
Das EuG stellte klar, dass sich die Sanktionen nur auf die Beratung der russischen Regierung oder sonstiger Organisationen und Unternehmen ohne Bezug zu einem Gerichtsverfahren bezieht. Gerade nicht betroffen sei die Beratung von Einzelpersonen. Die Sanktionen verfolgen nach Überzeugung des EuG dem Gemeinwohl dienende Ziele, ohne die grundlegende Aufgabe der Anwälte in einer demokratischen Gesellschaft in ihrem Wesensgehalt anzutasten.
jb/LTO-Redaktion
* Ergänzt am Tag der Veröffentlichung, 15:55 Uhr
EuG zur Reichweite der EU-Sanktionen: . In: Legal Tribune Online, 02.10.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/55550 (abgerufen am: 15.10.2024 )
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