Der DAV sieht die Anwaltschaft gerade in der Coronakrise als Garant für den Zugang zum Recht. Sollte sie deshalb auch priorisiert geimpft werden? Edith Kindermann über die Rolle des Berufstands in Zeiten der Pandemie.
LTO: Frau Kindermann, für die Bundesrechtsanwaltskammer (BRAK) und den Deutschen Anwaltverein (DAV) gehören Anwältinnen und Anwälte zu der Personengruppe, die nach § 4 der Coronavirus-Impfverordnung (CoronaImpfV) "mit erhöhter Priorität Anspruch auf Schutzimpfung" haben soll, obwohl in der Verordnung selbst von der Anwaltschaft nicht die Rede ist. Können Sie nachvollziehen, dass viele Ihrer Kolleginnen und Kollegen über diese Position den Kopf schütteln?
Edith Kindermann: Die Aufregung rührt ja auch daher, dass viele die Impfverordnung nicht gelesen haben. Wir haben nicht von höchster oder hoher Priorität, sondern von erhöhter Priorität gesprochen. Wir sehen uns also erst in der dritten Kategorie in der vorgesehenen Reihenfolge. Und damit befindet sich die Anwaltschaft gerade nicht auf gleicher Stufe wie Krankenschwestern, Ärzte, Pfleger oder alte Menschen.
Ich sehe die Anwaltschaft jedoch grundsätzlich als Teil der "Kritischen Infrastruktur", wie sie eben in § 4 Ziff.4 der Verordnung erwähnt wird. Sie ist allerdings in ihrem Beruf in unterschiedlicher Weise gefährdet. Viele Kolleginnen und Kollegen haben nach wie vor täglich viele Kontakte. Zum Beispiel, weil sie in Ermittlungsverfahren viel unterwegs sind, der persönliche Mandantenkontakt wichtig ist oder weil sie aus anderen Gründen viel vor Ort sind. Vor allem dieser Kreis der Anwaltschaft braucht Schutz.
"Digitalisierungsschub in den Kanzleien"
Sie haben gegenüber LTO angedeutet, dass nicht nur aus der CoronaImpfV, sondern auch aus der Systemrelevanz der Anwaltschaft ein Anspruch auf Priorisierung folgen könnte, weil sie Garant für den Zugang zum Recht sei. Ist der Zugang zum Recht ohne geimpfte Anwältinnen und Anwälte denn gefährdet?
Der Hinweis auf die Systemrelevanz ist in diesem Kontext in der Tat etwas unglücklich, weil der Begriff vor allem in einem anderen Kontext eine Rolle spielt, nämlich dort, wo es darum geht, welche Berufsgruppe Anspruch auf eine Notbetreuung in einer Kita hat. Im Zusammenhang mit der Impfreihenfolge sollte man definitiv lieber von der kritischen Infrastruktur sprechen.
Was den Zugang zum Recht anbelangt, so muss man unterscheiden: Der Zugang zum Anwalt ist für viele Menschen weiterhin gut gewährleistet, zumal in den Verordnungen der Länder ein Termin in einer Anwaltskanzlei als "triftiger Grund" gilt, um auch in Zeiten einer Ausgangsbeschränkung das Haus verlassen zu dürfen.
Zudem haben die Umstände der vergangenen Monate zu einem regelrechten Digitalisierungsschub in den Kanzleien geführt. Die Kommunikation zwischen Mandant und Anwalt ist auf vielfältige Weise gewährleistet. Anders sieht es aber beim Zugang zu den Gerichten aus.
"Auskömmliches Einkommen der Anwaltschaft überfällig"
Ist der gefährdet?
Wir haben hier jedenfalls in den vergangenen Monaten sehr unterschiedliche Erfahrungen gemacht. Manche Gerichte haben alle Termine abgesagt, andere haben in Teilen Videokonferenzen abgehalten, andere wiederum haben zwar Termine abgesagt, dafür aber prozessleitende Verfügungen getroffen, und in vielen Verfahren hat Corona so für eine Überleitung ins schriftliche Verfahren gesorgt.
Probleme im Hinblick auf den Zugang zum Recht gab es dort, wo Rechtsantragsstellen aufgrund mangelnder Hygienekonzepte geschlossen wurden. Und z.B in dringenden Nachlasssachen war es wichtig, dass dann anstelle des Gerichts zumindest der Gang zum Notar möglich war.
Der Zugang zum Recht wird für die Rechtsuchenden seit Jahresbeginn teurer, weil Gerichts- und Anwaltsgebühren gestiegen sind. Hätte man damit nicht bis nach der Corona-Zeit warten können?
Nein, die Gebührenerhöhung war überfällig. Wenn ich unter dem Zugang zum Recht auch in erster Linie den Zugang zur Anwaltschaft verstehe, dann setzt das eben auch ein auskömmliches Einkommen dieser Anwaltschaft voraus.
Ich kenne keinen aus der freien Wirtschaft, der Justiz oder der Politik, der seit 2013 bereit gewesen wäre, auf jegliche Lohnerhöhung zu verzichten. Natürlich gibt es Kolleginnen und Kollegen, die auf diese Gebührenerhöhungen nicht angewiesen sind. Aber ich kenne eben auch Strafverteidiger, die seit 2013 keine Erhöhung der Rahmengebühren bekommen haben, oder Sozialrechtler, die für ihre zeitintensive Tätigkeit eine Verfahrensgebühr von gerade einmal maximal 550 Euro bekommen.
"Der DAV ist freier als die BRAK"
Bei vielen Themen sprechen BRAK und DAV nicht dieselbe Sprache. Etwa bei der wichtigen Reform des anwaltlichen Gesellschaftsrechts, aber auch beim Gesetz zum Legal-Tech-Inkasso, wo es auch um eine Liberalisierung des Erfolgshonorars geht. Schadet es nicht der Sache, wenn DAV und BRAK so unterschiedlich agieren?
Es gibt zentrale Vorhaben, wie die angesprochene Gebührenerhöhung im Kostenrechtsänderungsgesetz, bei denen BRAK und DAV abgestimmt und mit gemeinsamen Stellungnahmen an einem Strang gezogen haben. Ansonsten haben beide Organisationen aber auch sehr unterschiedliche Rollen.
Die BRAK mit ihrer Pflichtmitgliedschaft hat – auch vor dem Hintergrund des Neutralitätsgebots - nur gebundene Möglichkeiten, sich zu äußern. Die Kammer kann schlichtweg nicht alles sagen, was man sagen könnte. Der DAV ist da etwas freier.
Und im Übrigen sehe ich das auch nicht als Nachteil. Als ob der Gesetzgeber gleich springen würde, nur weil BRAK und DAV das Gleiche fordern. Nein, ich finde es für den Diskurs förderlich, wenn es an der ein oder anderen Stelle zwischen unseren Organisationen auch unterschiedliche Positionen gibt. Eine Schwächung für die anwaltliche Interessenvertretung sehe ich darin nicht.
Vielen Dank für das Gespräch.
DAV-Präsidentin zur Impfpriorisierung von Anwälten: . In: Legal Tribune Online, 02.02.2021 , https://www.lto.de/persistent/a_id/44159 (abgerufen am: 06.12.2024 )
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