Aufatmen für Anwälte: Angestellte in Steuerberatungs- und Wirtschaftsprüfungsgesellschaften können sich von der gesetzlichen Rentenversicherung befreien lassen. Sie sind keine Syndikusanwälte, so das BSG. Das Urteil erklärt Martin W. Huff.
Anwälte, die bei Steuerberatungs- und Wirtschaftsprüfungsgesellschaften angestellt sind, können von der gesetzlichen Rentenversicherungspflicht befreit werden. Dies ergibt sich aus den jetzt vorliegenden schriftlichen Entscheidungsgründen eines Urteils des Bundessozialgerichts (BSG, Urt. v. 15.12.2016, Az. 5 RE 7/16 R).
Nach der Entscheidung der Richter aus Kassel sind diese Anwälte, die Mandanten ihres Arbeitgebers weisungsfrei anwaltlich beraten, keine Syndikusanwälte im Sinne der Urteile des BSG vom 3. März 2014. Vielmehr handelt es sich um eine eindeutige anwaltliche Tätigkeit bei einem nichtanwaltlichen Arbeitgeber. Für diese Tätigkeit kann eine Befreiung von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung gemäß § 6 Sozialgesetzbuch (SGB) VI erfolgen. Eine Zulassung als Syndikusrechtsanwalt nach den neuen gesetzlichen Vorschriften ist daher für die rentenrechtliche Befreiung in diesen Fällen nicht erforderlich. Martin W. Huff fast die umfangreichen Entscheidungsgründe zusammen.
Kein anwaltliches Arbeiten in Abhängigkeiten
Mit seinen aufsehenerregenden Urteilen vom April hatte das BSG entschieden, dass angestellte Rechtsanwälte, die bei einem nichtanwaltlichen Arbeitgeber beschäftigt sind, grundsätzlich nicht von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung zugunsten der anwaltlichen Versorgungswerke befreit werden können. Als Begründung führten die Richter an, die Tätigkeit im Unternehmen oder Verband könne aufgrund der Abhängigkeiten nie eine anwaltliche Tätigkeit sein.
Diese Urteile hatten dazu geführt, dass der Gesetzgeber mit Wirkung zum 1. Januar 2016 den neuen "Syndikusrechtsanwalt" geschaffen hatte, der als Rechtsanwalt zugelassen ist und dann auch die Befreiung erhalten kann. Rund 12.000 Anträge auf diese Zulassung liegen den regionalen Rechtsanwaltskammern mittlerweile vor.
Jetzt hat der gleiche Senat des BSG für eine Berufsgruppe von angestellten Rechtsanwälten seine Auffassung geändert. In den Urteilen vom 15.12.2016 sehen die BSG-Richter Tätigkeiten von Rechtsanwälten, die als Angestellte bei Steuerberatungs- und Wirtschaftsprüfungsgesellschaften für die Mandanten ihres Arbeitgebers tätig sind, dann eine berufsspezifische anwaltliche Tätigkeit an, wenn die Rechtsberatung im wesentlichen weisungsfrei erfolgt.
Nur noch Aufklärung weiterer Sachverhaltsfragen
Damit hatte die Klage eines Rechtsanwalts bei einem der großen Wirtschaftsprüfungsunternehmen im wesentlichen Erfolg. Er hatte die Befreiung von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung mit Beginn seiner Tätigkeit und der Zulassung als Rechtsanwalt vom Juli 2010 an geltend gemacht.
Das BSG hat zwar den Rechtsstreit an das bayerische Landessozialgericht (LSG) zurückverwiesen, dies aber nur noch zur Aufklärung weiterer Sachverhaltsfragen. Die grundsätzliche Linie haben die Sozialrichter bereits jetzt vorgegeben. In dieser Auseinandersetzung hatte die Deutsche Rentenversicherung (DRV) eine Befreiung verweigert und gegen die stadtgebenden Urteile des Sozialgerichts München des bayerischen LSG die Auffassung vertreten, dass auch diese Berufsgruppe unter die Urteile des Senats vom 3. April 2014 fielen.
2/2: Anwalt in WP-Gesellschaft ist anders als in Unternehmen
Die Richter begründen ihre für viele doch überraschende Auffassung wie folgt: Die Tätigkeit des Klägers sei ohne jeden Zweifel einer anwaltlichen Tätigkeit zuzuordnen. Der Kläger berate Mandanten seiner Arbeitgeberinnen in steuerrechtlichen Angelegenheiten. Er bedarf hierzu sowie zur Vertretung vor Gericht der Zulassung als Rechtsanwalt nach den Vorschriften des Steuerberatungsgesetzes und der Finanzgerichtsordnung. Ob die Tätigkeit des Klägers eine anwaltliche Tätigkeit darstellt, beurteile sich nach den Vorschriften der Bundesrechtsanwaltsordnung (BRAO). Solche Tätigkeiten seien von denen eines Syndikus zu unterscheiden, der nur seinen Arbeitgeber berät.
Wörtlich schreiben die Richter: "Die Beratung vom Mandanten einer Wirtschaftsprüfungsgesellschaft durch deren juristischen Angestellten ist im Lichte der heutigen Bundesgerichtshof (BGH)-Rechtsprechung in Verbindung mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts mit dem Berufsbild eines Rechtsanwalts vereinbar zu bewerten."
Auch Fachanwaltschaften sind bei Weisungsfreiheit möglich
Die Richter stützen sich dabei insbesondere auf ein Urteil des Anwaltssenats des BGH vom 6. März 2006. Dort hatte der Anwaltssenat entschieden, dass ein Rechtsanwalt, der bei einer Steuerberatungsgesellschaft weisungsfrei Fälle bearbeitet, die Zulassung als Fachanwalt für Steuerrecht erhalten kann. Dies sei eine klassische anwaltliche Tätigkeit, auch wenn sie für einen nicht anwaltlichen Arbeitgeber erbracht werde.
Aus Sicht der Rechtssuchenden entspreche das äußere Erscheinungsbild des dort angestellten Anwaltes dem Berufsbild des Rechtanwaltes. Das auch angesichts der Vielzahl der in Rechtsanwaltskanzlei angestellten Rechtsanwälten, definieren die Richter. Dies gelte allerdings nur, wenn der Arbeitgeber keinen richtungsgebenden Einfluss auf die Beratung ausüben könne. Dies müsse im Arbeitsvertrag oder durch Erklärungen, die Bestandteil des Arbeitsvertrags sind, nachgewiesen werden. Liege diese Voraussetzung vor, dann liege auch eine anwaltliche Tätigkeit vor, die auch bei einem nichtanwaltlichen Arbeitgeber ausgeübt werden könne.
BSG knüpft an Zulassung für Syndikusrechtsanwälte an
Das Urteil des BSG knüpft damit, ohne es zu benennen, an die neu geschaffenen Zulassungsvoraussetzungen für Syndikusrechtsanwälte an. Denn § 46 Abs. 3,4 der BRAO in der neuen Fassung verlangt vom Arbeitgeber die Erklärung, dass der Syndikusrechtsanwalt seine Tätigkeit fachlich weisungsfrei ausüben kann.
Einen Unterschied gibt es allerdings: Der Syndikusrechtsanwalt berät in der Regel seinen Arbeitgeber, der damit sein Mandant ist. Ob der Arbeitgeber dem Rechtsrat folgt, entscheidet der Arbeitgeber als Mandant. Der Rechtsanwalt bei einer Steuerberatungs- und Wirtschaftsprüfungsgesellschaft muss weisungsfrei die ihm übertragenen Mandate ausüben können. Offen bleibt dabei, ob diese weisungsfreie Beratung auch zum Beispiel durch mehrere Anwälte gemeinsam erfolgen kann und was genau unter den Begriff "richtungsgebenden Einfluss" zu verstehen ist.
Befreiung seit Tätigkeitsbeginn denkbar
Für die in der Steuerberatung und Wirtschaftsprüfung tätigen Rechtsanwälte ist das Urteil insbesondere für Zeit vor der Einführung der neuen Regeln zum Syndikusrechtsanwalt von Bedeutung. Bisher galt: Wer schon vor Januar 2016 nicht mehr als Syndikus tätig war, konnte eine Befreiung für die Vergangenheit nicht mehr erhalten. Viele anhängige Verfahren vor den Sozialgerichten wären damit erfolglos geblieben. Jetzt kann auch für die Vergangenheit bei offenen Auseinandersetzungen mit der Rentenversicherung auf eine Befreiung schon ab Tätigkeitsbeginn gehofft werden, wenn die vom BSG beschriebenen Voraussetzungen vorliegen.
Zu begrüßen ist die Entscheidung auf jeden Fall, denn diesmal hat sich, anders als in den Urteilen vom März, das BSG intensiv mit dem anwaltlichen Berufsrecht befasst. Jetzt bleibt abzuwarten, wie die DRV dieses Urteil in der Praxis umgesetzt. Es ist zu hoffen, dass dies rasch geschieht, damit Verfahren, die zum Teil seit mehr als fünf Jahren laufen, abgeschlossen werden können.
Martin W. Huff ist Rechtsanwalt in der Kanzlei LLR in Köln und Geschäftsführer der Rechtsanwaltskammer Köln. Er vertritt eine Vielzahl von Kollegen in der Auseinandersetzung mit der Deutschen Rentenversicherung Bund.
Martin W. Huff, BSG: Entscheidend ist weisungsfreies Arbeiten für Mandanten: Keine Rentenversicherungspflicht für angestellte Anwälte in WP-Gesellschaften . In: Legal Tribune Online, 20.05.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/22989/ (abgerufen am: 19.04.2024 )
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