Eckpunktepapier des BMJV zur Zulassung ausländischer Kanzleien: Ein "Grüner Knopf" für Anwalts­kanz­leien?

Gastkommentar von Prof. Dr. Christian Wolf

20.09.2019

Nach dem Willen des BMJV sollen bald ausländische Kanzleien in Deutschland zugelassen werden können. Das wirft Fragen zu deren Unabhängigkeit auf, mein Christian Wolf. Braucht es ein Qualitätssiegel für Rechtsdienstleistungen?

Das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) hat einen "Grünen Knopf" für die Textilindustrie eingeführt. Unternehmen können sich mit damit bescheinigen lassen, dass sie die Textilien unter menschenwürdigen Bedingungen und ökologisch nachhaltig produziert haben. Damit hat das BMZ darauf reagiert, was ohnehin eigentlich schon jeder wusste: Die Anforderungen, welche ein Unternehmen in Deutschland bezüglich der Arbeitnehmerrechte und Umweltstandards erfüllen muss, sind bei weitem nicht Weltstandard. So ist etwa Kinderarbeit nach wie vor in vielen Ländern üblich. Nach Angaben der UNICEF, basierend auf aktuellen Schätzungen der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO), müssen derzeit 152 Millionen Kinder Kinderarbeit leisten.

Das Prinzip des "Grünen Knopfs" könnte nun auch an ganz anderer Stelle Anwendung finden. Geht es nach den Vorstellungen des Bundesjustizministeriums (BMJV), sollen nämlich künftig Berufsausübungsgesellschaften aus Drittstaaten (Mitgliedsstaaten und Nicht-Mitgliedsstaaten der Welthandelsorganisation) in Deutschland Rechtsdienstleistungen im deutschen und europäischen Recht erbringen dürfen, soweit wenigstens ein hier zugelassener Rechtsanwalt bzw. ein europäischer Rechtsanwalt beteiligt ist.

Recht hat das BMJV jedenfalls damit, dass die rechtlichen Möglichkeiten von ausländischen Anwaltskanzleien dringend einer gesetzlichen Regelung bedürfen. Eine bewusste Entscheidung, Kanzleien aus anderen Ländern in Deutschland zuzulassen, hat der Gesetzgeber bislang allenfalls sehr indirekt getroffen.

Deutsche Perspektive: Anwälte müssen unabhängig sein

In der Begründung zum Gesetz über Partnerschaftsgesellschaften Angehöriger Freier Berufe (PartGG) wird angesprochen, dass das PartGG auch internationalen Zusammenschlüssen dienen soll (BT-Drs 12/6152), jedoch finden sich allenfalls rudimentäre Regelungen. Nach § 5 Abs. 2 PartGG sollen ausländische den Partnerschaftsgesellschaften vergleichbare Gesellschaften, wie die LLP, sich in das Partnerschaftsregister eintragen lassen können, wenn sie in Deutschland eine Niederlassung unterhalten. Vergleichbares gilt für ausländische Kapitalgesellschaften mit einer Niederlassung in Deutschland.

Aus berufsrechtlicher Sicht ist das PartGG eine leere Hülle, weil es bezüglich der berufsrechtlichen Regelungen auf die jeweilige Berufsordnung der Partner verweist (§ 6 Abs. 1 PartGG). Schon alleine deshalb lässt sich aus dem PartGG nicht schließen, welche Anforderungen die Niederlassung einer ausländischen Berufsausübungsgesellschaft aus einem Drittstaat zu erfüllen hat.

An dieser Stelle kommt wieder der "Grüne Knopf" ins Spiel. Nach unserem Verständnis ist der Rechtsanwalt ein unabhängiges Organ der Rechtspflege, § 1 Bundesrechtsanwaltsordnung (BRAO). Unabhängig bedeutet nicht nur, aber vor allem unabhängig von staatlicher Bevormundung. Absicherung und Ausdruck dieser Unabhängigkeit ist die Selbstverwaltung der Rechtsanwaltschaft durch die regionalen Rechtsanwaltskammern. Hierin, wie es in der Gesetzesbegründung der BRAO von 1958 heißt, erschöpft sich aber das Verständnis der freien Berufe nicht. Vielmehr sei deren Eigenart vornehmlich darin begründet, dass sich ihre Angehörigen nicht vom Streben nach Gewinn bestimmen lassen dürfen. So soll sich der Anwalt von der ethischen Aufgabe seines Berufes, das Recht zu verwirklichen, leiten lassen (BT-Drs 3/120, S. 48).

Der Anwalt als "lonely hero" im Kampf um Unabhängigkeit?

Nach den Vorstellungen des BMJV sollen künftig Kanzleien aus 199 Staaten dieser Erde in Deutschland Niederlassungen begründen können und Rechtsberatung betreiben dürfen. Kaum anzunehmen, dass alle 199 Staaten unser Verständnis vom Rechtsstaat und der Unabhängigkeit des Rechtsanwalts teilen. Des Internationalen Tags der verfolgten Rechtsanwälte bedürfte es nicht, wenn es nicht zu massiven Verletzungen der Rechte und der Unabhängigkeit der Anwälte in unterschiedlichen Staaten käme.

Wer eine gesellschaftsrechtliche Verbindung eingeht, verliert einen Teil seiner Autonomie, er unterstellt sich der Leitungsmacht der Geschäftsführung, sprich dem Managing Partner und den diversen Hierarchiezirkeln. Wie aber kann es um die Unabhängigkeit des in Deutschland zugelassenen und tätigen Rechtsanwalts bestellt sein, wenn sich der Sitz seiner Kanzlei und sein Managing Partner in einem Staat befinden, der die Unabhängigkeit des Rechtsanwalts mit Füßen tritt?

Das BMJV weist dem in Deutschland tätigen Rechtsanwalt in solchen Fällen etwas naiv eine Heldenrolle zu. Unabhängig davon, welche Abhängigkeiten bestehen, soll der Berufsträger als "lonely hero" die Einhaltung des Berufsrechts garantieren (Punkt 11 des Eckpunktepapiers). Zu der Frage, wie das in bestimmten Fällen gehen soll, schweigt das Papier. Der Ausweg kann wohl kaum ein "grüner Knopf" für ausländische Anwaltskanzleien mit Niederlassung in Deutschland sein, welcher den Kanzleien verliehen wird, die unserem Verständnis von unabhängiger Anwaltschaft entsprechen.

Jones Day Entscheidung zeigt Probleme auf

Ein weiteres Problem hat die Jones Day Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) aufgezeigt, nämlich den Rechtsschutz für das Mandantenverhältnis. Die Verfassungsbeschwerden der Kanzlei Jones Day, die in der Rechtsform einer Partnership nach dem Recht des US-Bundesstaats Ohio organisiert ist, gegen eine Durchsuchung ihrer Räume im Zuge des Diesel-Skandals war nach Ansicht des BVerfG unzulässig. Da die Kanzlei keine inländische juristische Person im Sinne von Art. 19 Abs. 3 GG ist, war sie nicht beschwerdeberechtigt (2 BvR 1287/17 und 2 BvR 1583/17).

Im Kern hat sich hier gerächt, dass das BVerfG auch dort, wo es eigentlich um die rechtsstaatlichen bzw. verfahrensrechtlichen Positionen des Mandanten geht, das anwaltliche Berufsrecht immer aus der Perspektive der Berufsfreiheit aus Art. 12 Grundgesetz (GG) dekliniert. Will man außereuropäischen Kanzleien die Möglichkeit eröffnen, durch eine Niederlassung in Deutschland Rechtsberatung zu betreiben, muss man auch dafür sorgen, dass sie, soweit es im Kern um die Verletzung von Justizgrundrechten des Mandanten geht, diese als Verletzung eigener Justizgrundrechte geltend machen kann. Ein völliger Systembruch wäre dies nicht, weil die Justizgrundrechte ausländischen Gesellschaften (nicht EU-Gesellschaften) zur Verfügung stehen.

Kein "grüner Knopf", sondern ordre public

Erforderlich wäre somit zweierlei: Zunächst müsste es – in der Terminologie des internationalen Privatrechts gesprochen – einen ordre public Vorbehalt geben. Mit einer inländischen Niederlassung dürfen nur diejenigen Anwaltskanzleien in Deutschland Rechtsdienstleistungen erbringen, die an ihrem Sitz einem Berufsrecht unterstehen, welches dem deutschen Leitbild entspricht. Ist die Unabhängigkeit der Rechtsanwaltschaft am Hauptsitz nicht gewährleistet, kann es auch keine unabhängige Rechtdienstleistung in Deutschland geben.

Wer aber in Deutschland Rechtsdienstleistung betreiben darf, der muss sich auch im eigenen Namen auf diejenigen verfassungsrechtlichen Positionen der Rechtsanwälte berufen können, die im Grunde dem Schutz des Mandanten dienen. Wird das Telefon einer Zweigniederlassung einer ausländischen Kanzlei überwacht, geht es um die vertrauliche Kommunikation mit dem Mandanten. Nicht, ob der Anwalt ohne Vertraulichkeit seinen Beruf noch ausüben kann, steht im Vordergrund, sondern ob das verfassungsrechtlich geschützte Recht des Mandanten auf vertrauliche Kommunikation mit seinem Anwalt verletzt ist.

Schließlich noch ein letzter Punkt: Wir erkennen ausländische Urteile grundsätzlich nur an, wenn die Gegenseitigkeit verbürgt ist. Soviel Schutz sollte das BMJV den deutschen Rechtsanwälten auch gewähren. Die in dem Eckpunktepapier angestrebte Niederlassungsfreiheit der außereuropäischen Rechtsanwälte sollte nur bestehen, wenn in deren Heimatland deutsche Kanzleien gleichfalls Niederlassungen unterhalten dürfen.

Professor Dr. Christian Wolf ist geschäftsführender Direktor des Instituts für Prozess- und Anwaltsrechts der Leibniz Universität Hannover.

Zitiervorschlag

Eckpunktepapier des BMJV zur Zulassung ausländischer Kanzleien: . In: Legal Tribune Online, 20.09.2019 , https://www.lto.de/persistent/a_id/37721 (abgerufen am: 12.12.2024 )

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