BMI verärgert Juristenverbände beim Hate-Speech-Gesetz: "Einmal mehr keine ein­ge­hende Prü­fung mög­lich"

von Hasso Suliak

03.12.2020

Ganze fünf Arbeitstage räumte das BMI den Verbänden ein, um zum Hate-Speech-Reparaturgesetz inhaltlich Stellung zu beziehen. In der Kürze der Zeit ist das für viele fundiert kaum möglich. BRAK und Co. sind empört.

Als im Spätsommer bekannt wurde, dass der Bundespräsident das von vielen erwartete Gesetz zur Bekämpfung von Rechtsextremismus und Hasskriminalität aufgrund verfassungsrechtlicher Bedenken nicht unterzeichnen wollte, rechneten viele mit einer schnellen Reparatur der fraglichen Regelungen. Zuständig ist das Bundesministerium des Inneren, für Bau und Heimat (BMI).  

Doch es dauerte, bis das Ministerium schließlich Ende November einen Gesetzentwurf vorlegte. Er soll die Bestandsdatenauskunft im Telekommunikationsgesetz (TKG) sowie im Bundeskriminalamtgesetz (BKAG), im Bundespolizeigesetz (BPolG) und im Zollfahndungsdienstgesetz (ZFdG) neu regeln und dabei die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) berücksichtigen. Steinmeier hatte sich geweigert, das Hate-Speech-Gesetz zu unterzeichnen, weil der Beschluss aus Karlsruhe vom 27. Mai dieses Jahres nicht hinreichend berücksichtigt worden war. Die Verfassungsrichter hatten die Bestandsdatenauskunft bei Telefonanbietern bereits zum zweiten Mal als zu weitgehend erachtet. 

Um die Verbändeanhörung einzuleiten, versandte das BMI am 24.November sein Reparaturgesetz an eine Vielzahl von Verbänden zur kritischen Einschätzung. In einem Schreiben u.a. an Bundesrechtsanwaltskammer (BRAK), Deutscher Anwaltverein (DAV), Deutscher Richterbund (DRB), Neue Richtervereinigung (NRV) und an die Strafverteidigervereinigungen bittet das zuständige BMI-Referat darum, "Anmerkungen oder Ergänzungen" zum Gesetzentwurf bis zum 1. Dezember 2020 mitzuteilen. "Die Kürze der Frist bitte ich zu entschuldigen, sie ist der Eilbedürftigkeit des Verfahrens geschuldet", heißt es in dem Schreiben aus dem BMI-Referat "ÖS I 3".

52 Seiten Gesetzentwurf in 5 Tagen prüfen?

Bei dem versandten 52-seitigen Gesetzentwurf geht es um Vorschriften im Telekommunikationsgesetz (TKG), in der Strafprozessordnung (StPO) und in mehreren weiteren Gesetzen, die es verschiedenen Sicherheitsbehörden des Bundes – etwa dem Bundeskriminalamt (BKA), der Bundespolizei, dem Verfassungsschutz, dem Bundesnachrichtendienst (BND) und dem Militärischen Abschirmdienst (MAD) – erlauben, Bestandsdaten bei Telekommunikationsanbietern abzufragen. Gemeint sind Kundendaten wie Name, Anschrift, Emailadresse sowie Zugangsdaten, zu denen auch (verschlüsselte) Passwörter gehören können. Keine triviale Rechtsmaterie und man möchte meinen, dass dabei vor allem die Expertise der juristischen Verbände gefragt ist.

Doch wie LTO erfuhr, sehen sich die meisten Juristenorganisationen angesichts der gerade einmal fünf Arbeitstage umfassenden Frist zu einer seriösen Stellungnahme nicht in der Lage. Sie haben die Frist deshalb verstreichen lassen. So haben Richterbund, Neue Richtervereinigung, DAV und auch die Strafverteidigervereinigungen keine Stellungnahme eingereicht. Bei einigen von ihnen ist die Empörung über das Vorgehen des BMI groß:

"Eine Stellungnahmefrist von fünf Werktagen bei derartigen Gesetzgebungsvorhaben wäre für die Verbände selbst dann nicht einzuhalten, wenn sie über einen ministerialen Mitarbeiterstab vom Ausmaß des BMI verfügten", sagt etwa Thomas Uwer vom Organisationsbüro der deutschen Strafverteidigervereinigungen. 

Auch Carsten Löbbert, Sprecher des Bundesvorstandes der Neuen Richtervereinigung, zeigt sich gegenüber LTO verärgert: "Es ist anscheinend modern geworden, bei den Verbändebeteiligungen die Fristen immer häufiger so kurz zu setzen, dass eine fundierte Befassung mit der Materie kaum noch möglich ist, auch wenn kein Grund für die kurzen Fristen ersichtlich ist. Gelegentlich kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass auf kritische Stellungnahmen nicht wirklich Wert gelegt wird. Ein offener Diskurs ginge wohl anders."

BRAK: "Rechtstaatlich bedenklich"

Kritik kommt auch vom DAV: "Leider müssen wir immer häufiger feststellen, dass die Stellungnahmefristen derart kurz bemessen sind, dass eine fundierte Auseinandersetzung mit dem jeweiligen Gesetzesvorhaben kaum möglich ist", sagt Dr. David Albrecht, Mitglied des Ausschusses Gefahrenabwehrrecht im DAV. Eine solche Anhörungspraxis erwecke den fatalen Eindruck, dass die Verbändeanhörung nur noch als bloße Formsache betrachtet wird. Albrecht zufolge ist die Anhörung "kein Selbstzweck", sondern diene der gesetzgeberischen Qualitätssicherung. "Gerade die Beteiligung der Anwaltschaft ist von Bedeutung, weil sie wichtigen rechtsstaatlichen Forderungen Gehör verschafft."

Auch die BRAK zeigt sich verärgert und bitte das BMI "eindringlich", künftig angemessene Fristen vorzusehen. "Die Stellungnahmefrist wurde leider – einmal mehr – so kurz bemessen, dass eine eingehende Prüfung dieses komplexen Gesetzgebungsvorhabens in der Kürze der Zeit nicht erfolgen konnte." Einwöchige Rückmeldezeiträume seien rechtsstaatlich bedenklich und der Qualität der Gesetzgebungsvorhaben in der Regel nicht zuträglich, schreibt die BRAK in einer Kurz-Stellungnahme.

Keine Eile geboten?

Auch im konkreten Fall vermag die Kammer die Eile des Ministeriums nicht nachvollziehen: "Angesichts der vom Bundesverfassungsgericht bis zum 31.12.2021 gesetzten Umsetzungsfrist erscheint die Kürze der Frist vorliegend nicht objektiv geboten.Die damit möglicherweise bezweckte Beschleunigung des Gesetzgebungsverfahrens ist gerade dann gefährdet, wenn etwaiger Verbesserungsbedarf aufgrund der begrenzten anfänglichen Öffentlichkeitsbeteiligung erst spät im Verfahren erkannt wird."

Anders als die Strafverteidiger oder der DAV hat die BRAK immerhin in einer Mini-Stellungnahme von knapp einer Seite ein paar inhaltliche Einschätzungen zum Gesetzentwurf abgegeben. Allein aus diesen wenigen Zeilen wird klar, dass der Entwurf aus Sicht der Anwaltschaft alles andere als geeignet ist, die verfassungsrechtlichen Bedenken zu heilen: "Das vom BVerfG entwickelte 'Doppeltür-Modell', nach welchem die Auskunft fordernde Behörde einerseits und der Auskunft gebende TK-Dienstleister andererseits je einer eigenen Verantwortlichkeit mit entsprechend spezifischen Anforderungen unterliegt, (…) ist im Entwurf nicht adäquat umgesetzt."

Zitiervorschlag

BMI verärgert Juristenverbände beim Hate-Speech-Gesetz: "Einmal mehr keine eingehende Prüfung möglich" . In: Legal Tribune Online, 03.12.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/43629/ (abgerufen am: 29.03.2024 )

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